„Dann sind Sie also ein Cop“, bemerkte Brenner.
„Ich arbeite für die LAPD, Einheit für Vermisste Personen.“
„Ich hoffe, Sie finden Kendra. Sie ist ein toller Mensch. Durch sie ist die Welt ein besserer Ort und sie hat es verdient, glücklich zu sein. Ich hatte schon immer eine Schwäche für sie, aber ich weiß, dass sie in einer anderen Liga spielt. Wenn ich irgendwie helfen kann, sagen Sie bitte Bescheid.“
„Detective Locke“, warf Sergeant Covey ein, „wenn Sie keine Fragen mehr haben, würde ich jetzt sein Alibi überprüfen. Ich gehe davon aus, dass sie noch andere Dinge zu erledigen haben. Es gibt ohnehin noch einiges zu klären. Mr. Brenner hat bei seiner Bewerbung über seinen Bewährungsstatus geschwindelt. Das ist ein Kündigungsgrund.“
Keri sah, wie Coy Brenners Gesicht noch länger wurde. Er gab wahrlich ein armseliges Bild ab, und jetzt war er auch noch arbeitslos. Sie versuchte das Gefühl, dass sie dafür mitverantwortlich war, abzuschütteln.
„Vielen Dank, Sergeant. Es sieht tatsächlich aus, als liefen meine Ermittlungen in eine Sackgasse. Ich sollte mich um andere Spuren kümmern. Danke für Ihre Hilfe.“
Als Covey und die anderen Beamten Coy Brenner zum Verwaltungsgebäude brachten, stieg Keri in ihr Auto und las die Mitteilung, die zuvor auf ihrem Handy eingegangen war.
Die Nachricht war von Brody.
DIE GALA FINDET STATT, WIR SOLLTEN UNS DORT UMHÖREN. ZIEH‘ WAS SCHICKES AN, KLEINES. WIR TREFFEN UNS DORT.
Brody erstaunte sie immer wieder mit seinen unprofessionellen und sexistischen Sprüchen. Ihm fiel scheinbar auch nicht auf, dass eine Gala, deren Gastgeber verschwunden ist, vielleicht nicht der beste Ort ist, um Freunden und Bekannten der Vermissten auf den Zahn zu fühlen.
Abgesehen davon besitze ich gar nichts Schickes anzuziehen.
Das war aber nicht der einzige Grund für ihre Abscheu. Keri musste zugeben, dass diese Veranstaltung sie an ihr altes Leben erinnerte, als sie noch eine hochgeschätzte Professorin war, Frau eines erfolgreichen Talentscouts und Mutter eines bezaubernden kleinen Mädchens. Diese Gala wäre eine prunkvolle und schmerzhafte Erinnerung an ihr perfektes Leben, bevor sie Evie verloren hatte.
Manchmal hasste sie diesen Job.
Keri war schlecht vor Aufregung, als sie im Wartezimmer von Jackson Caves Anwaltskanzlei saß. Er hatte sie bereits zwanzig Minuten warten lassen, lange genug, dass sie ihre Entscheidung zu ihm zu kommen bereits mehrfach in Frage gestellt hatte.
Auf dem Rückweg von San Pedro hatte sie kalkuliert, wie lange sie brauchen würde, um zu ihrem Hausboot zu fahren, sich für die Gala umzuziehen und dann nach Beverly Hills zu gelangen. Als dann aber die Wolkenkratzer von L.A. City in Sicht gekommen waren, hatte ein seltsamer innerer Drang sie in dem Anwalt fahren lassen. Ohne jeden Plan saß sie nun in Caves Kanzlei.
Unterwegs hatte sie noch Brody angerufen, um ihm mitzuteilen, was sie über Coy Brenner herausgefunden hatte und um nach seinen Ergebnissen in San Diego zu fragen.
„Jeremy Burlingames Alibi ist wasserdicht. Er war den ganzen Tag in dieser Praxis, um den anderen Ärzten eine neue Technik bei rekonstruktiven Eingriffen beizubringen.“
„Gut. Leider stecke ich hier noch eine Weile im Stau“, sagte Keri. Das stimmte nur zum Teil. Zu diesem Zeitpunkt war sie schließlich noch im Auto gesessen, aber es war auch eine Ausrede um Zeit für den Besuch bei Cave zu schinden. „Falls ich etwas später zu der Gala komme, warten Sie mit der Befragung bitte auf mich.“
„Wollen Sie mir sagen, wie ich meinen Job zu machen habe, Locke?“
„Nein Brody, aber ich halte es für kontraproduktiv diese Party zu stürmen wie ein Elefant im Porzellanladen. Einige dieser vornehmen Damen würden sich vielleicht eher einer anderen Frau gegenüber öffnen, als einem Mann, dessen innigstes Verhältnis zu seinem Auto besteht.“
„Zum Teufel, Locke, ich rede, mit wem ich will!“, sagte Brody entrüstet. Etwas in seiner Stimme verriet ihr aber, dass ihre Message angekommen war.
„Wie Sie meinen. Wir sehen uns dort.“
Jetzt war es bereits 5 Uhr 30 und sie saß noch immer im Wartezimmer bei Cave. Sie beschloss, sich bei dieser Gelegenheit etwas genauer umzusehen. Sie ging zum Empfang.
„Wissen Sie, wie lange es bei Mr. Cave noch dauern wird?“, fragte sie die Sekretärin, die nur entschuldigend den Kopf schüttelte. „Dann können Sie mir aber bestimmt sagen, wo ich eine Toilette finde.“
„Den Gang hinunter, letzte Tür links.“
Mit offenen Augen ging Keri durch die Kanzlei, in der Hoffnung irgendein hilfreiches Detail zu sehen. Direkt gegenüber der Damentoilette befand sich ein Notausgang. Sie stieß die Tür einen Spalt auf und stellte fest, dass sie in dasselbe Treppenhaus führte, durch das sie den Haupteingang betreten hatte.
Sie sah sich um. Niemand war auf dem Gang zu sehen, also zog sie schnell ein Taschentuch aus ihrer Tasche und steckte es in die Tür, sodass sie zwar zufiel, aber nicht automatisch schloss. Dann ging sie kurz in die Toilette.
Als sie wieder zum Wartezimmer ging, wartete bereits eine attraktive Frau in einem eleganten Anzug auf sie, um sie zu Jackson Caves Büro zu führen. Als sie hinter ihr herging, bemühte sie sich, ruhig zu bleiben. Gleich würde sie den Mann treffen, der vermutlich wichtige Informationen zu Evies Aufenthaltsort verheimlichte – und sie hatte keinen Schlachtplan.
Keri war Cave bereits einmal begegnet, auf der Polizeistation einer Kleinstadt in den Bergen. Er war gekommen, um seinen Klienten Payton Penn, den Bruder des US Senators Stafford Penn, aus der Haft zu holen. Am Ende hat sich herausgestellt, dass Penn derjenige war, der Alan Pachanga damit beauftragt hatte, seine Nichte Ashley Penn zu entführen. Damals hatte Keri gewonnen, aber jetzt war sie auf feindlichem Gebiet, die Situation war eine ganz andere, das spürte Keri.
Jackson Cave hatte einen stadtbekannten Ruf dafür, dass er große Haie aus der Wirtschaft vertrat. Bei der Polizei war er hingegen bekannt für seine Sozialfälle – denn aus unerfindlichen Gründen vertrat er kostenlos Vergewaltiger, Pädophile und Kindesentführer vor Gericht.
Keri war von Anfang an misstrauisch gewesen. Es war eine Sache, jemanden zu verteidigen, der eine Bank überfallen hatte, um seine Familie durchzufüttern. Jedoch war es eine ganz andere Sache, einen Menschen zu verteidigen, der wegen Mordes zum Tod verurteilt werden könnte. Aber dass dieser Mann voller Enthusiasmus und beinahe ausschließlich die brutalsten Täter von sexuellen Strafdelikten verteidigte, ging über Keris Verständnis von Nächstenliebe weit hinaus.
Dennoch hoffte Keri, seine Arbeit zu ihrem Vorteil nutzen zu können. Sie wusste, dass Cave das Passwort zu Alan Pachangas Laptop besaß. Wenn sie es herausfinden konnte, würde sich der Polizei ein ganzes Netzwerk von Auftragstätern eröffnen. Vielleicht waren sogar Informationen über den Mann dabei, der ihre Evie entführt hatte, ein Mann, der sich hinter dem Decknamen „Der Sammler“ verbarg.
Alles an Caves Büro wirkte einschüchternd. Wahrscheinlich sollte es das auch. Die Firma belegte das gesamte siebte Stockwerk des dreiundsiebzigstöckigen US-Bank Towers. Die Außenwände des Gebäudes waren verglast und boten einen atemberaubenden Blick auf Los Angeles. Teure Kunstwerke zierten die übrigen Wände. Die Einrichtung bestand beinahe ausschließlich aus Leder und Mahagoni.
Am Ende des Ganges bogen sie schließlich in ein Büro ohne Namensschild ein. Es war leer. Keri setzte sich auf einen Stuhl gegenüber von Caves Schreibtisch, der makellos sauber und aufgeräumt war.
Als sie allein gelassen wurde, sah sie sich um. Sie hoffte anhand seiner Umgebung etwas Interessantes über diesen Mann zu erfahren. Auf seinem Tisch befanden sich keinerlei persönliche Gegenstände, weder Fotos, noch Notizen. An der Wand hingen nur ein paar Fotos von Cave mit besonders wichtigen Menschen: Cave und der Bürgermeister, Cave und verschiedene Politiker, Cave und diverse Promis. Sein Diplom von College (USC) und Law School (Harvard) hingen ebenfalls gerahmt an der Wand.
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