„Früher oder später brauche ich dich noch“, sagte Luke. „Aber nicht hierfür. Und jetzt verschwinde. Bitte. Bis jetzt war ich noch höflich. In einer Minute kann ich für nichts mehr garantieren.“
„Ich werde eine formelle Beschwerde einreichen“, sagte Swann.
„Mach das. Du weißt, für wen ich arbeite. Deine Beschwerde wird direkt im Aktenvernichter landen. Das sollte dir klar sein. Aber tu dir keinen Zwang an.“
„Keine Sorge“, sagte Swann. Damit ging er zur Tür hinaus. Er zog sie fest hinter sich zu, ohne sie jedoch zuknallen zu lassen.
Luke seufzte. Er sah Ed an. „Ed, kannst du bitte die Gießkannen auffüllen? Wir werden sie gleich brauchen.“
Ed grinste teuflisch. „Mit Vergnügen.“
Als er die Gießkannen aufhob, starrte er Li an. Er demonstrierte seinen verrückten Blick mit weit aufgerissenen Augen, den er so gut beherrschte. Es war ein Blick, vor dem selbst Luke manchmal Angst hatte. Ed wirkte wie ein Psychopath, wenn er so aussah. Er sah aus wie jemand, dem nichts besser gefiel als Sadismus. Luke war sich manchmal nicht ganz sicher, wie Ed das schaffte. Um ehrlich zu sein, wollte er es auch nicht wissen.
„Oh, Bruder“, sagte Ed zu Li. „Das wird ein ganz schön langer Tag für dich.“
Während Ed sich in der winzigen Küche der Hütte vergnügte, schaute Luke Li genau an. Er zitterte jetzt. Sein ganzer Körper vibrierte, als würde ein schwacher Strom durch ihn fließen. Seine Augen waren groß und sahen verängstigt aus.
„Sie haben das schon einmal gesehen, nicht wahr?“, fragte Luke.
Li nickte. „Ja.“
„An Gefangenen?“
„Ja.“
„Es ist schlimm“, sagte Luke. „Es ist sehr schlimm. Niemand hält das aus.“
„Ich weiß“, sagte Li.
Luke warf einen Blick in die Küche. Ed ließ sich Zeit. „Und Ed… Sie müssen wissen, wie er ist. Er genießt so etwas.“
Li hatte keine Antwort darauf. Seine Gesichtsfarbe wandelte sich langsam von einem hellen in ein dunkles Rot. Es schien, als ob eine Explosion in ihm stattfand und er versuchte, sie einzudämmen. Er drückte seine Augen zu. Seine Zähne knirschten, dann fingen sie an zu klappern. Sein ganzer Körper begann zu zittern.
„Mir ist kalt“, sagte er. „Ich kann nicht mehr.“
In diesem Moment wurde Luke etwas klar.
„Sie haben es schon mal am eigenen Körper erfahren“, sagte er. „Von Ihren eigenen Leuten.“ Das war keine Frage. Er wusste es plötzlich instinktiv. Li war schon einmal Waterboarding ausgesetzt gewesen, und aller Wahrscheinlichkeit nach war es die chinesische Regierung gewesen, die es ihm angetan hatte.
Plötzlich öffnete sich Lis Mund wie zu einem Schrei. Es war ein stiller Schrei, seine Kiefer öffneten sich so weit es nur ging. Luke erinnerte die Grimasse an einen Werwolf, der unter brechenden Knochen die Verwandlung von einem Menschen zu einem Wolf durchmachte und vor Schmerzen heulte. Nur, dass kein Geräusch zu hören war. Fast nichts war von Li zu hören, außer ein leises, würgendes Geräusch tief in seiner Kehle.
Sein ganzer Körper war jetzt steif, jeder Muskel war angespannt, als ob er auf einem elektrischen Stuhl sitzen würde.
„Sie waren ein Verräter“, sagte Luke. „Ein Staatsfeind. Sie wurden im Gefängnis rehabilitiert. Sie haben Sie zu einem Agenten gemacht, aber nicht gerade zu einem besonders wertvollen. Jemand Entbehrliches. Darum waren Sie hier draußen im Einsatz, darum hatten Sie Zyanid-Pillen dabei. Sie sollten sich umbringen, wenn man Sie erwischt. Es stand so gut wie fest, dass man Sie schnappt, nicht wahr? Aber Sie haben es nicht getan, Li. Sie haben sich nicht umgebracht und jetzt sind wir die einzige Hoffnung, die Sie noch haben.“
„Bitte!“, schrie Li. „Bitte hören Sie auf!“
Der Körper des Mannes zitterte unkontrolliert. Mehr noch. Ein Geruch begann von ihm auszugehen. Ein dicker, feuchter Geruch nach Exkrementen.
„Oh mein Gott“, sagte er. „Oh mein Gott. Helfen Sie mir. Helfen Sie mir!“
„Was ist hier los?“, sagte Ed, als er mit den Gießkannen zurückkam. Er verzog das Gesicht, als der Geruch in seine Nase stieg. „Oh, Mann.“
Luke hob die Augenbrauen. Er hatte fast schon Mitleid mit diesem Mann. Dann dachte er an die mehr als tausend Toten und die vielen tausend, die ihr Zuhause verloren hatten. Nichts, keine noch so negative Lebenserfahrung konnte das rechtfertigen.
„Ja, Li ist ein Wrack“, sagte er. „Sieht nach einem Trauma aus. Das ist scheinbar nicht sein erstes Mal Waterboarding.“
Ed nickte. „Gut. Also weiß er schon, wie es läuft.“ Er sah auf Li herab. „Wir machen trotzdem weiter, hörst du, Kleiner? Der Geruch ist uns egal, also wenn das deine große Wette war, hat sie nicht funktioniert.“
Ed warf einen Blick auf Luke. „Ich habe das schon mal gesehen. Die Leute versuchen es, weil sie denken, dass der Geruch so übel ist, dass wir nicht weitermachen wollen. Oder dass wir vielleicht Mitleid mit ihnen haben. Was weiß ich.“
Er schüttelte den Kopf. „Der Geruch ist zwar ekelhaft, aber ich habe noch nie gesehen, dass es funktioniert. Wir wären nicht hier, wenn wir so sensibel wären, Li. Ich weiß wie Männer riechen, nachdem man sie ausweidet. Glauben Sie mir, das ist schlimmer als alles, was auf dem normalen Weg rauskommt.“
„Bitte“, sagte Li wieder. Er sprach leise, seine Stimme fast ein Flüstern. Sein Körper zitterte unkontrolliert. Er ließ den Kopf hängen und starrte auf den Boden. „Bitte tun Sie das nicht. Ich halte es nicht aus.“
„Erzählen Sie uns etwas“, sagte Luke. „Etwas Gutes, und dann sehen wir weiter. Sehen Sie mich an, Li.“
Der Kopf von Li hing jetzt noch tiefer. Er schüttelte ihn. „Ich kann nicht.“ Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Dann fing er an zu weinen.
„Helfen Sie mir. Bitte helfen Sie mir.“
„Sie fangen besser an zu reden“, sagte Luke. „Sonst legen wir jetzt los.“
Luke stand drei Meter entfernt und beobachtete ihn. Li saß zusammengesunken da, mit hängendem Kopf, die Arme hinter dem Rücken und immer noch am ganzen Körper zitternd. Jedes Körperteil von ihm schien sich in einem anderen Rhythmus zu bewegen. Luke sah, dass Lis Overall nun auch im Schritt nass war. Er hatte sich in die Hose gemacht.
Luke seufzte tief. Er bedauerte denjenigen, der ihn nachher sauber machen musste.
„Li?“, sagte er.
Li blickte immer noch zu Boden. Seine Stimme klang, als käme sie vom Boden eines Brunnens. „Es gibt ein Lagerhaus. Ein kleines Lagerhaus, mit einem Büro. Import chinesischer Waren. Im Büro werden Sie alles finden, was Sie brauchen.“
„Wessen Büro ist das?“, fragte Luke.
„Meins.“
„Eine Scheinfirma?“, fragte Ed.
Li versuchte, die Achseln zu zucken. Sein Körper zitterte und bebte. Seine Zähne klapperten, während er sprach. „Größtenteils. Ein wenig Geschäft haben wir schon gehabt, sonst wären wir aufgeflogen.“
„Wo ist es?“
Li murmelte etwas vor sich hin.
„Wie bitte?“, fragte Luke. „Ich kann Sie nicht hören. Wenn Sie uns verarschen, können wir immer noch anders. Ed will immer noch loslegen. Überlegen Sie es sich gut.“
„In Atlanta“, sagte Li, jetzt klar und deutlich, als ob es eine Erleichterung gewesen wäre, das loszuwerden. „Das Lagerhaus ist in Atlanta. Das war unser Hauptquartier.“
Luke lächelte.
„Geben Sie uns die genaue Adresse und wir fliegen sofort vorbei. Wir sind in ein paar Stunden wieder da.“ Er legte seine Hand auf Lis Schulter. „Gott steh Ihnen bei, wenn Sie uns anlügen.“
*
„Gut gemacht, Swann“, sagte Luke. „Ich hätte das Drehbuch selbst nicht besser schreiben können.“
„Habe ich jemals erwähnt, dass ich in der Highschool im Theaterclub war? Ich habe ein Jahr lang Mackie Messer gespielt.“
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