Der Mann hatte immer noch kein Wort gesagt. Er starrte einfach nur geradeaus.
„Li, was wissen Sie über den Black-Rock-Damm und wie die Schleusen geöffnet wurden?“
„Ich weiß gar nichts.“
Luke wartete ein paar Sekunden ab, dann sprach er weiter. „Nun, lassen Sie mich Ihnen sagen, was ich weiß. Laut dem aktuellen Stand sind mehr als tausend Menschen gestorben. Wissen Sie, wie sehr mich das mitnimmt? Ich will mich für jeden einzelnen Tod rächen. Ich möchte einen Sündenbock finden und ihn dafür bezahlen lassen. Sie sind der ideale Sündenbock, wissen Sie das, Li? Ein Mann, um den sich niemand kümmert, an den sich niemand erinnert und den niemand vermissen wird. Ich sage Ihnen noch etwas. Ich weiß, dass Sie trainiert wurden, einem Verhör zu widerstehen. Das macht mich nur noch glücklicher. Das bedeutet, dass ich mir Zeit lassen kann. Wir können hier tagelang oder sogar wochenlang bleiben. Wir haben Leute, die den Vorfall genau untersuchen. Sie werden schon herausfinden, was passiert ist. Wir brauchen Ihre Informationen nicht. Ehrlich gesagt will ich sie auch gar nicht. Ich will Ihnen nur wehtun. Je mehr Sie nur hier sitzen und ins Leere starren, desto höher wird mein Verlangen danach.“
Nun kniete Luke sich nieder, um in Lis Gesicht zu blicken. Er war nur wenige Zentimeter entfernt, so nah, dass sein Atem Lis Wangen berührte. „Wir werden uns hier drin ziemlich gut kennen lernen, okay, Li? Irgendwann werde ich alles über dich wissen.“
Luke warf einen Blick auf Swann. Er stand in einer Ecke nahe des stahlverstärkten Fensters. Er hatte kein Wort gesagt, seit sie hier reingekommen waren. Er blickte hinaus auf das Betongelände und die grünen Hügel, die es umgaben. Swann war ein Analytiker, jemand, der sich mit Daten auskannte. Luke konnte sich gut vorstellen, dass er noch nie darüber nachgedacht hatte, wie man an diese Daten gelangte. Todesdrohungen wie die, die er gerade ausgesprochen hatte, waren erst der Anfang.
„Li, der Mann spricht mit Ihnen“, sagte Ed.
Li gelang es zu Lächeln. Es war ein kränkliches Lächeln. „Bitte“, sagte er. „Nennen Sie mich Johnny.“
* * *
Eine Stunde verging. Luke und Ed hatten abwechselnd mit Li geredet, aber ohne wirkliche Ergebnisse. Wenn überhaupt, dann wurde Li immer selbstbewusster. Offenbar war er überzeugt, dass ein paar Schläge von Ed das Schlimmste waren, was er zu befürchten hatte.
Luke blickte erneut zu Swann.
„Ok, Swann“, sagte er. „Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt für dich, einen kleinen Spaziergang zu machen.“
Wenige Minuten zuvor hatte Luke den Schrank mit dem Schlüssel geöffnet, den Pete Winn ihm gegeben hatte. Der Schrank war eher ein kleiner Hauswirtschaftsraum als ein richtiger Schrank. Im Inneren befand sich ein ausklappbarer Tisch, etwas das aussah wie ein Bügelbrett, aber breiter und niedriger und viel stabiler. Es war etwa 2 Meter lang und 1,20 Meter breit.
Als Luke und Ed den Tisch aufbauten, machte sich eine deutliche Neigung bemerkbar. Auf der höheren Seite waren Handschellen für die Knöchel der Person, die darauf festgeschnallt werden würde. Am unteren Ende waren Lederriemen zum Festbinden der Handgelenke, in der Mitte einer für die Taille. Ganz unten befand sich außerdem ein Metallring, um den Kopf zu befestigen.
Es war eine Plattform für Waterboarding.
Als sie den Tisch herausbrachten, wurde Li sichtlich aufgeregt. Er wusste sofort, um was es sich handelte. Natürlich wusste er es. Jeder Geheimdienstagent hatte so etwas im Rahmen der Ausbildung schon einmal gesehen, egal ob Amerikaner oder Chinese. Luke hatte sogar schon einmal einer Live-Demonstration beigewohnt. Ein abgehärteter CIA-Agent, der vorher bei den Navy SEALs gewesen war und schon in zahlreichen Krisengebieten gedient hatte, war das Testsubjekt gewesen.
Wie sie diesen Mann davon überzeugt hatten, sich freiwillig zu melden, hatte Luke nie herausfinden können. Vielleicht hatte er einen ordentlichen Bonus bekommen. Der Agent hatte vor der Demonstration entspannt gewirkt. Er hatte gelacht und mit seinen späteren Folterern gewitzelt. Als die Prozedur begann, war er wie verwandelt. Es dauerte ganze vierundzwanzig Sekunden, bevor er das Sicherheitswort benutzt hatte, um den Vorgang abzubrechen.
„Das verstößt gegen die Genfer Konventionen“, sagte Li mit einem leichten Zittern in der Stimme. „Es ist gegen…“
„Soweit ich weiß, sind wir nicht in Genf“, sagte Luke. „Wir sind im Nirgendwo. Wie ich schon sagte, diese Einrichtung existiert nicht, genau so wenig wie jemand namens Li Quiangguo.“
Luke beschäftigte sich mit den anderen Utensilien, die er aus dem Schrank genommen hatte. Dazu gehörten zwei große Gießkannen, wie sie eine nette ältere Dame zur Bewässerung ihres Gartens verwenden würde. Außerdem gab es Schlösser für die Handfesseln und Lederriemen auf dem Brett. Und schließlich gab es eine Reihe von mittelgroßen schweren Stoffhandtüchern und eine Rolle Zellophan. Luke wusste zufällig, dass die CIA das Zellophan bevorzugte.
„Mann“, sagte Ed. „So etwas habe ich seit Afghanistan nicht mehr gemacht. Das ist mindestens fünf Jahre her.“
„Dann ist es bei dir noch nicht so lange her wie bei mir“, sagte Luke. „Du darfst gerne anfangen. Wie war es damals so?“
Ed zuckte die Achseln. „Beängstigend. Ein paar von denen sind uns weggestorben. Ganz anders, als andere Methoden, die ich kenne. Man kann Leute den ganzen Tag Elektroschocks verpassen, wenn die Spannung stimmt. Das tut weh, aber tötet nicht. Hier passiert das aber ganz leicht. Man kann ertrinken. Hirnschäden davontragen. Herzinfarkte erleiden. Ganz schön ätzend.“
„Hören Sie mir zu“, sagte Li. Inzwischen zitterte er am ganzen Körper. „Waterboarding verstößt gegen sämtliche Kriegsgesetze. Es wird von jedem internationalen Gremium als Folter anerkannt. Sie begehen hier eine Menschenrechtsverletzung.“
„Mann, plötzlich geht es dir nur noch um Regeln und Vorschriften“, sagte Ed. „Wenn jemand absichtlich tausende von Menschen überflutet und hunderte von ihnen umbringt, ist er für mich kein Mensch mehr. Ich würde sagen, du hast deine Menschenrechte verwirkt.“
„Jungs“, sagte Swann. „Ich fühle mich nicht wohl dabei.“
Luke sah ihn an. „Swann, ich habe dir doch gesagt, es ist ein guter Zeitpunkt, um zu gehen. Gib uns etwa 20 Minuten. Das sollte reichen.“
Swanns Gesicht wurde rot. „Luke, nach allem, was ich gehört habe, bekommt man vom Waterboarding nicht einmal vernünftige Informationen. Er wird euch nur anlügen, damit ihr aufhört.“
Swann hatte Luke noch nie in Frage gestellt. Er fragte sich, ob jetzt das erste Mal sein würde und schüttelte den Kopf.
„Swann, du darfst nicht alles glauben, was du liest. Ich habe selbst gesehen, wie man in nur wenigen Minuten verwertbare und genaue Informationen erhalten kann. Und da Herr Li hier noch länger unser Gast sein wird, können wir seine Behauptungen schnell überprüfen und sie auch noch einmal genauer miteinander besprechen, wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen sollten. Man will diese Methode nur nicht anwenden, da sie, wie Herr Li so treffend gesagt hat, als Folter angesehen wird. Aber sie funktioniert, und unter den richtigen Umständen funktioniert sie sogar wirklich, wirklich gut.“
Luke breitete die Arme aus. „Und das sind die richtigen Umstände.“
Swann starrte ihn an. „Luke…“
Luke hob eine Hand. „Swann. Geh jetzt raus. Bitte.“ Er zeigte auf die Tür.
Swann schüttelte den Kopf. Sein Gesicht war rot geworden. Er schien jetzt auch zu zittern. „Warum hast du mich dafür überhaupt herbestellt?“, sagte er. „Ich arbeite nicht mehr für das FBI, und du auch nicht.“
Luke lächelte fast ein wenig. Er wusste nicht, was Swann wirklich dachte, aber er hätte selbst kein besseres Drehbuch schreiben können. Sie spielten guter Cop, böser Cop um das Hundertfache verstärkt.
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