1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 „Also existiert es nicht?“, fragte Luke.
Der Hubschrauber flog jetzt tief, die grauen Gebäude des Lagers ragten um sie herum auf. Luke bemerkte, dass sich an den Gebäuden mit Stahldrähten verstärktes Glas befand.
Der Pilot schüttelte den Kopf lächelnd. „Was existiert nicht? Ich sehe hier nur unbewohnte Wildnis. Hier gibt es nichts als Wald.“
Ein Flugeinweiser in einer gelben Weste stand mit leuchtend orangefarbenen Stäben in der Hand seitlich des Hubschrauberlandeplatzes und winkte ihnen zu. Der Pilot setzte den Hubschrauber perfekt in der Mitte des Landeplatzes ab. Er schaltete den Motor ab und die Rotoren begannen sich sofort unter lautem Heulen zu verlangsamen.
„Wenn Sie den Chinesen sehen“, sagte der Pilot, „verpassen Sie ihm ein paar von mir.“
„So was machen wir nicht“, sagte Luke.
Der Pilot drehte sich um und lächelte. „Natürlich nicht. Ich fliege ständig Leute an solche Orte und zurück. Ich muss Leute wie Sie nur ansehen und weiß, wofür Sie hier sind, glauben Sie mir. Ein Blick hat mir gereicht und mir war klar, dass es für den Kerl langsam brenzlig wird.“
Er, Swann und Ed verließen den Hubschrauber mit eingezogenen Köpfen. Ein Mann wartete bereits auf dem Landeplatz, um sie zu begrüßen. Er trug einen grauen Geschäftsanzug und eine blaue Krawatte. Seine Haare wurden von den langsamen Rotorblättern des Hubschraubers umhergeblasen. Der Stoff seines Anzugs kräuselte sich. Seine schwarzen Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Er sah aus, als sei er gerade aus einem Pendlerzug in Manhattan gestiegen. Er war so fehl am Platz, wie es nur möglich war.
Als Luke näher kam, betrachtete er sein Gesicht näher. Sein Alter war schwer zu schätzen – weder alt, noch jung, irgendetwas dazwischen. Er streckte seine Hand aus. Luke schüttelte sie.
„Agent Stone? Ich bin Pete Winn. Man sagte mir, die Präsidentin hätte Sie geschickt. Danke, dass Sie uns besuchen kommen.“
„Danke, Pete. Bitte nennen Sie mich Luke.“
Luke, Ed und Swann folgten Pete Winn vom Hubschrauber weg zu einer geriffelten Aluminiumhütte auf der anderen Seite des Platzes. Sogar der Hubschrauberlandeplatz war von Stacheldrahtzäunen umgeben. Der einzige Weg zum oder vom Hubschrauberlandeplatz war durch dieses Gebäude. Die Türen zum Gebäude waren kameragesteuert. Sie öffneten sich automatisch, als sich die Männer näherten.
„Was ist das hier für ein Ort?“, fragte Luke.
„Sie meinen unser bescheidenes Lager?“, fragte Winn.
„Ja.“
„Ah, nun ja. Lassen Sie mich Ihnen die Kurzpräsentation geben. Im Grunde ist es ein Internierungslager. Wir haben im Moment etwas über 250 Gefangene, darunter mehr als 70 Kinder. Die meisten sind illegale Einwanderer aus Mexiko und Mittelamerika, deren Leben durch Drogenkartelle oder kriminelle Banden gefährdet wäre, wenn sie nach Hause geschickt werden würden. Sie haben kein Asyl, also bleiben sie hier bei ihren Familien, bis die Einwanderungs- und Einbürgerungsbehörde entscheidet, was mit ihnen geschehen soll. Ihr Immigrationsstatus ist offiziell unbestimmt. Da dieser Ort quasi unsichtbar ist, haben die Banden keine Ahnung, wo sie sind.“
Sie gingen schnell durch das Gebäude. Es war im Grunde ein Pausenraum für Fluglotsen, Signalgeber und Piloten. Es gab ein paar Tische und Stühle, einige Funk- und Videoüberwachungsgeräte, einen Radarschirm, eine Kaffeemaschine und eine alte Schachtel mit abgestandenen Donuts auf dem Tisch.
„Also sitzen sie hier fest?“, fragte Swann.
„Nun ja, festsitzen ist etwas stark ausgedrückt“, sagte Winn. „Aber ja, die Familie, die am längsten hier ist, ist bereits seit sieben Jahren hier.“
Winn bemerkte ihre Blicke.
„Es ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Wirklich nicht. Alle Kinder gehen fünf Tage in der Woche zur Schule. Die Schule ist gleich hier auf dem Gelände. Es gibt jede Menge Aktivitäten, darunter zwei neue Filme an jedem Wochenende, die sowohl auf Englisch als auch auf Spanisch gezeigt werden. Es gibt Fußball und Basketball, und die Erwachsenen können Sprachunterricht und Berufstraining nehmen, zum Beispiel bei den Tischlermeistern, die wir hierher bringen.“
„Hört sich ja toll an“, sagte Swann. „Macht es euch was aus, wenn ich meinen Urlaub hier verbringe?“
„Sie wären überrascht“, sagte Winn. „Den Leuten gefällt es hier. Es ist viel besser, als nach Hause zu gehen und ermordet zu werden.“
Ein schwarzer Geländewagen wartete vor der Hütte auf sie. Sie fuhren durch das Lager und passierten einen weiteren Zaun, der mit Stacheldraht versehen war. Eine Handvoll Männer saßen auf Bänken auf der anderen Seite. Vier oder fünf von ihnen waren Weiße. Ein paar von ihnen waren schwarz. Sie trugen alle hellgelbe Overalls. Sie starrten durch den Zaun auf das vorbeifahrende Auto.
„Diese Typen sehen nicht wie Mexikaner aus“, sagte Ed Newsam.
Pete Winns Gesicht begann sich zu verändern. Zuvor war es freundlich, vielleicht sogar etwas nervös gewesen, Luke und sein Team zu treffen. Jetzt schien es fast abweisend.
„Nein, das tun sie nicht“, sagte er. „Wir haben hier auch ein paar waschechte Amerikaner.“
„Verstecken sie sich vor den Kartellen?“, fragte Swann,
Winn starrte geradeaus. „Meine Herren, ich bin sicher, es gibt Aspekte Ihrer Arbeit, die Sie nicht diskutieren dürfen. Das gilt auch für mich.“
Nach einigen Minuten waren sie am Hubschrauberlandeplatz und den Verwaltungsgebäuden vorbei auf die andere Seite des Lagers gefahren. Der Wagen hielt an. Es war niemand in der Nähe – keine Häftlinge, keine Arbeiter, überhaupt niemand. Eine kleine Hütte stand allein auf einem einsamen Stück Gelände.
Die Männer stiegen aus. Der Boden war unfruchtbare, harte Erde. Jegliches Gefühl von Geschäftigkeit, oder überhaupt irgendeiner Art von Leben war hier nicht mehr zu spüren.
Pete Winn gab Luke einen Schlüsselring. Es befand sich nur ein Schlüssel dran. Winns Gesicht verhärtete sich. Seine Augen waren stählern und kalt. Sein Verhalten hatte sich drastisch gerändert, von dem unsicheren Mann, der sie auf dem Hubschrauberlandeplatz begrüßt hatte, zu dem, was er jetzt war.
„Die Existenz dieser Hütte ist streng geheim. Offiziell existiert sie nicht, ebenso wenig wie dieser Gefangene. Ihr Besuch hier hat nie stattgefunden. Die chinesische Regierung hat keine Nachforschungen über den Verbleib eines Mannes namens Li Quiangguo angestellt, weder offiziell noch durch die Hintertür. Meines Wissens haben die Chinesen so getan, als hätten sie nichts zu verbergen oder zu befürchten und haben sogar Hilfe angeboten, um die Quelle des Hacks in das Betriebssystem des Staudamms zu finden.“
Er gestikulierte mit dem Kopf zur Kabine.
„Die Wände der Kabine sind schalldicht. Der Schlüssel öffnet einen Geräteschrank im Hinterzimmer. Wenn Sie meinen, Sie brauchen Hilfsmittel, um Ihre Befragung zu erleichtern, werden Sie dort vielleicht fündig.“
Luke nickte, sagte aber nichts. Ihm gefiel die Annahme nicht, die diese Leute alle zu machen schienen, dass er hierher gerufen worden war, um den Gefangenen zu foltern.
Hatte er schon mal Menschen gefoltert? Je nach Definition des Wortes, ja. Aber niemand hatte ihn je dafür einberufen mit der expliziten Aufgabenstellung, jemanden zu foltern. Es gab Leute, die sich viel besser damit auskannten als Luke. Wenn er früher Leute gefoltert hatte, hatte es sich stets aus der Situation heraus ergeben und er hatte improvisieren müssen, um an kritische Informationen zu gelangen, die Luke sofort hatte erfahren müssen.
Pete Winn fuhr fort, wieder etwas entspannter.
„Wenn Sie etwas brauchen, Mittagessen, Bier, Abendessen, oder wenn Sie zurück zum Landeplatz wollen, nehmen Sie einfach das Telefon in der Kabine und wählen Sie die Null. Wir schicken Ihnen, was Sie brauchen. Wenn Sie möchten, können wir Sie auch heute Nacht hier unterbringen und Ihnen zur Verfügung stellen, was Sie an Pflegeartikeln brauchen. Seife, Shampoo, Rasierer – wir haben alles da. Wir können Ihnen auch Kleidung zum Wechseln besorgen, wenn Sie sie brauchen.“
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