Gegen Mitternacht klingelte Lara nach Max, ihrem Chauffeur. »Fahren Sie den Wagen vor«, wies sie ihn an. »Ja, Miss Cameron.« Der Wagen stand für sie bereit. »Wohin, Miss Cameron?« fragte Max.
»Wir machen eine Rundfahrt durch Manhattan. Ich möchte sehen, was ich geleistet habe.« Er starrte sie an. »Wie bitte?« »Ich möchte mir meine Gebäude ansehen.« Sie fuhren durch die nächtliche Stadt und hielten vor allen
Gebäuden, die Lara errichtet hatte: Cameron Square, Cameron Plaza, Cameron Center, die noch nicht fertiggestellten Came-ron Towers. Lara saß in ihrer Limousine, starrte auf die Fassaden und dachte an die Menschen, die dort wohnten und arbeiteten. Sie hatte ihrer aller Leben verändert.
Ich habe diese Stadt besser gemacht, dachte sie. Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Warum bin ich trotzdem so ruhelos? Was fehlt mir? Aber sie wußte es genau.
Am nächsten Morgen rief sie William Ellerbee an, der Philips Agent war.
»Guten Morgen, Mr. Ellerbee.«
»Guten Morgen, Miss Cameron. Was kann ich für Sie tun?« »Ich wüßte gern, wo Philip Adler diese Woche spielt.« »Philip ist auf Europatournee. Morgen abend spielt er in Amsterdam, dann reist er nach Mailand, Venedig und . Wollen Sie das wirklich alles genau hören?«
»Nein, nein, das genügt mir. Ich wollte nur wissen, wo er gerade ist. Vielen Dank.« »Kein Problem.«
Lara erschien in Kellers Büro. »Howard, ich muß nach Amsterdam.«
Er sah überrascht auf. »Wo haben wir uns dort engagiert?«
»Vorläufig noch gar nicht«, antwortete Lara ausweichend. »Sollte etwas daraus werden, erfährst du's rechtzeitig. Läßt du den Jet für mich bereitstellen?«
»Damit hast du Bert nach London geschickt. Aber ich kann die Maschine zurückbeordern, damit du morgen .«
»Nein, ich möchte noch heute abreisen.« Auf für sie selbst unerklärliche Weise stand Lara wie unter einem inneren Zwang. »Ich fliege mit einer Linienmaschine.« Sie ging in ihr Büro zurück und sagte zu Kathy: »Reservieren Sie mir einen Platz in der nächsten KLM-Maschine nach Amsterdam.«
»Ja, Miss Cameron.«
»Bleibst du lange fort?« fragte Keller, der Lara gefolgt war.
»In nächster Zeit finden ein paar wichtige Besprechungen statt, die ...«
»Ich bin in zwei, drei Tagen wieder da.«
»Soll ich mitkommen?«
»Danke, Howard. Diesmal nicht.«
»Ich habe mit einem Freund gesprochen, der in Washington Senator ist. Er hält es für möglich, daß ein Gesetz zur Abschaffung der steuerlichen Hauptanreize im Wohnungsbau verabschiedet wird. Sollte es wie geplant durchkommen, würde die Kapitalertragsteuer erhöht und die höhere Abschreibung gestrichen.«
»Das wäre dumm«, stellte Lara fest. »Das würde die gesamte Immobilienbranche lahmlegen.«
»Das weiß er auch. Deshalb ist er gegen dieses Gesetz.«
»Dagegen werden viele sein«, sagte Lara. »Ich möchte wetten, daß es nicht durchkommt. Erstens ...«
Das private Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte. Lara starrte es an. Es klingelte erneut.
»Willst du nicht drangehen?« fragte Keller.
Lara schüttelte den Kopf. »Nein.«
Paul Martin ließ es zehn-, zwölfmal klingeln, bevor er langsam den Hörer auflegte. Er blieb in seinem Sessel zurückgelehnt sitzen und dachte über Lara nach. In letzter Zeit hatte er den Eindruck, sie sei zurückhaltender, manchmal fast abweisend. Ob sie einen anderen hatte? Nein, dachte Paul Martin, sie gehört mir! Sie würde immer ihm gehören.
Der Flug mit der KLM war angenehm. Die Sessel in der ersten Klasse der Boeing 747 waren breit und bequem, und das Kabinenpersonal sehr aufmerksam.
Lara Cameron war zu nervös, um einen Bissen herunterbringen zu können. Was tust du bloß? fragte sie sich. Du fliegst uneingeladen nach Amsterdam, und er hat wahrscheinlich überhaupt keine Zeit für dich. Indem du ihm nachrennst, bringst du dich um deine einzige Chance.
Aber es war zu spät, ihre Entscheidung noch zu ändern.
Sie wohnte im Grand Hotel am Oudezijds Voorburgwal, einem der schönsten Hotels Amsterdams.
»Wir haben eine ganz entzückende Suite für Sie, Miss Came-ron«, sagte der Empfangschef.
»Danke. Wie ich höre, gibt Philip Adler heute abend hier in Amsterdam ein Konzert. Wissen Sie zufällig, wo er spielt?«
»Natürlich, Miss Cameron - im Concertgebouw.«
»Könnten Sie mir eine Karte besorgen?«
»Mit Vergnügen, Miss Cameron.«
Als Lara ihre Suite betrat, klingelte das Telefon. Am Apparat war Howard Keller.
»Hast du einen angenehmen Flug gehabt?«
»Ja, danke.«
»Ich wollte dir nur sagen, daß ich mit zwei Banken wegen der Finanzierung des Neubaus auf der Seventh Avenue gesprochen habe.«
»Und?«
Seine Stimme klang triumphierend. »Sie machen beide mit!«
»Siehst du, ich hab's dir gesagt!« rief Lara aus. »Howard, das ist ein Riesenerfolg. Ich möchte, daß du sofort anfängst, ein Team für die Planung zusammenzustellen.«
»Wird gemacht. Ich rufe dich morgen wieder an«, sagte Keller und legte auf.
Nachdem Lara aufgelegt hatte, dachte sie über Howard Keller nach. Er war ein lieber Kerl. Ein Glück, daß sie ihn hatte! Er war immer für sie da. Sie mußte versuchen, eine nette Frau für ihn zu finden.
Philip Adler war vor jedem Konzert nervös. Nach einer Probe mit dem Orchester hatte er eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen
und war danach in ein Kino gegangen, um sich abzulenken. Auch während der Vorstellung ließ die Musik, die er abends spielen würde, ihn nicht los. Philip merkte erst, daß er mit den Fingern auf seine Armlehne trommelte, als sein Sitznachbar ihn aufforderte: »Lassen Sie bitte dieses gräßliche Getrommel!«
»Oh, Entschuldigung!« sagte Philip höflich.
Er stand auf, verließ das Kino und wanderte ziellos durch die Straßen Amsterdams. Nach einem Abstecher ins Rijksmuseum schlenderte er durch den botanischen Garten der Freien Universität und schaute zerstreut in die Schaufenster entlang der P. C. Hooftstraat. Gegen vier Uhr nachmittags kehrte er in sein Hotel zurück, um ein Nickerchen zu machen - und ohne zu ahnen, daß Lara Cameron die Suite direkt über ihm hatte.
Kurz nach neunzehn Uhr stieg Philip Adler vor dem Bühneneingang des altehrwürdigen Concertgebouw aus einem Taxi. In der Eingangshalle drängten sich bereits erwartungsvolle Konzertbesucher.
Philip war eben dabei, seine Frackschleife zu binden, als der Direktor geschäftig in seine Garderobe kam.
»Wir sind restlos ausverkauft, Mr. Adler! Wir haben massenhaft Leute abweisen müssen. Wenn Sie noch ein, zwei Tage bleiben könnten, würden wir . Ich weiß, daß Sie völlig ausgebucht sind ... Ich rede mit Mr. Ellerbee über Ihr Engagement im kommenden Jahr, um vielleicht .«
Aber Philip hörte kaum, was er sagte. Er war in Gedanken schon mitten im Konzert. Der Direktor zuckte endlich verlegen mit den Schultern und ging mit einer knappen Verbeugung. Philip spielte in Gedanken seine Musik weiter, bis ein Page an die Garderobentür klopfte.
»Das Orchester wartet auf Sie, Mr. Adler.«
»Danke.«
Es war soweit. Philip stand auf und betrachtete kurz seine Hände, deren gespreizte Finger leicht zitterten. Die Nervosität vor dem Spielen legte sich niemals. Alle großen Pianisten hatten darunter gelitten - Horowitz, Rubinstein, Serkin. Philips Magennerven waren verkrampft, und sein Herz hämmerte. Warum tue ich mir das immer wieder an? fragte er sich. Aber er kannte die Antwort.
Nach einem letzten Blick in den Spiegel verließ er seine Garderobe, ging den Korridor entlang und stieg die dreiunddreißig Stufen zur Bühne hinunter. Beifall rauschte auf und begleitete ihn, bis er sich am Flügel stehend verbeugte. Als er Platz nahm, war seine Nervosität auf wunderbare Weise wie weggeblasen. Er begann zu spielen.
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