»Chopin?«
»Chopin wurde kritisiert, weil er nur fürs Klavier komponierte. Zeitgenössische Kritiker haben ihm sogar vorgeworfen, beschränkt zu sein .«
Und später: »Liszt konnte Chopin besser spielen als Chopin selbst .«
Ein andermal: »Es gibt Unterschiede zwischen französischen und amerikanischen Pianisten. Die Franzosen bevorzugen Klarheit und Eleganz. Ihre Ausbildung basiert traditionellerweise auf demjeu perle - der perlend gleichmäßigen Artikulation mit relativ festem Handgelenk ...«
Sie spielten jeden Tag eine Aufnahme von Philip Adler und diskutierten darüber.
Nach den zwei Wochen sagte Professor Myers: »Ich gestehe, ich bin beeindruckt, Miss Cameron. Sie sind eine ausnehmend fleißige Schülerin gewesen. Vielleicht sollten Sie daran denken, selbst ein Instrument zu lernen.«
Lara schüttelte lachend den Kopf. »Das wäre des Guten zu-viel!« Sie legte ihm den Scheck hin. »Bitte sehr!«
Sie konnte es kaum noch erwarten, daß Philip zurückkam.
Der Tag begann mit einer guten Nachricht. Terry Hill meldete sich telefonisch.
»Lara?«
»Ja?«
»Wir haben eben von der Kontrollkommission in Reno gehört. Sie hat Ihnen die Lizenz erteilt.«
»Das ist wunderbar, Terry!«
»Die Einzelheiten können wir später besprechen, aber damit haben Sie erst mal grünes Licht. Sie scheinen die alten Knaben ganz schön beeindruckt zu haben.«
»Ich lasse sofort alles anlaufen«, sagte Lara. »Danke.«
Sie erzählte Keller, was sie erfahren hatte.
»Großartig. Die Spielbankeinnahmen können uns vor finanziellen Engpässen bewahren, die sonst ...«
Lara blätterte in ihrem Terminkalender. »Am besten fliegen wir gleich übermorgen hin und sorgen dafür, daß alles in Gang kommt.«
Aus der Gegensprechanlage kam Kathys Stimme. »Am Apparat zwei ist ein Mr. Adler. Soll ich ihm sagen, daß Sie ...?«
Lara war plötzlich nervös. »Nein, geben Sie ihn mir.« Sie nahm den Hörer ab. »Philip?«
»Hallo. Ich bin wieder da.«
»Das freut mich.« Du hast mir gefehlt, dachte sie.
»Ich weiß, daß das sehr kurzfristig ist, aber ich wollte fragen, ob Sie zufällig Zeit hätten, heute abend mit mir essen zu gehen.«
Sie hatte Paul Martin versprochen, mit ihm zu Abend zu essen. »Ja, ich habe Zeit.«
»Wunderbar! Wo möchten Sie essen?« »Das überlasse ich ganz Ihnen.« »Vielleicht im La Cöte Basque?« »Gern.«
»Sollen wir uns gleich dort treffen? Um zwanzig Uhr?«
»Einverstanden.«
»Gut, dann bis heute abend.«
Als Lara auflegte, lächelte sie.
»Ist dasPhilip Adler gewesen?« fragte Keller.
»Mhm. Ich werde ihn heiraten.«
Keller starrte sie verblüfft an. »Ist das dein Ernst?«
»Ja.«
Das war ein Schock. Ich werde sie verlieren, dachte Keller. Und dann: Mach' dir nichts vor. Du hättest sie nie bekommen. »Lara, du . du kennst ihn doch kaum!« Ich habe ihn mein Leben lang gekannt, dachte sie. »Ich möchte nicht, daß du einen Fehler machst.« »Ich mache keinen! Ich weiß genau, was .« Dann klingelte das Telefon, dessen Nummer nur Paul Martin kannte. Lara nahm den Hörer ab. »Hallo, Paul.« »Hallo, Lara. Wann treffen wir uns heute abend? Um acht?« Sie hatte plötzlich ein schlechtes Gewissen. »Ich ... tut mir leid, Paul, aber ich kann heute abend nicht. Mir ist was dazwischengekommen. Ich wollte dich gerade anrufen.« »Oh? Sonst alles in Ordnung?«
»Ja. Aber aus Rom sind Leute gekommen« - zumindest das war nicht gelogen - »mit denen ich mich treffen muß.« »Pech für mich. Schön, dann ein andermal.« »Natürlich.«
»Wie ich hörte, hast du die Lizenz für dein Hotel in Reno bekommen.« »Ja.«
»Das wird uns noch viel Spaß machen.«
»Ich freue mich schon darauf. Tut mir leid, daß es heute
abend nicht klappt. Ich rufe dich morgen wieder an.« Am anderen Ende wurde aufgelegt. Lara ließ langsam den Hörer sinken.
Keller beobachtete sie. Aus seiner Miene sprach deutliche Mißbilligung. »Stört dich irgendwas?«
»Yeah. Das ganze moderne Zeug in deinem Büro.« »Was soll das heißen?«
»Auf deinem Schreibtisch stehen zu viele Telefone, finde ich. Dieser Kerl ist gefährlich, Lara.«
Lara setzte sich ruckartig auf. »Der >Kerl< hat uns schon ein paar mal gerettet, Howard. Sonst noch was?« Keller schüttelte den Kopf. »Nein.« »Gut, dann an die Arbeit!«
Philip war schon da, als Lara ins La Cöte Basque kam. Viele Gäste sahen sich nach ihr um, als sie das Restaurant betrat. Als Philip aufstand, um sie zu begrüßen, hatte Lara schon wieder das Gefühl, ihr Herz setze einen Schlag aus. »Ich komme hoffentlich nicht zu spät«, sagte sie. »Nein, keineswegs.« Aus Philips Blick sprach Bewunderung. »Sie sehen wundervoll aus.«
Lara hatte sich fünf- oder sechsmal umgezogen. Sie hatte sich nicht entscheiden können - schlicht, elegant oder sexy? Zuletzt hatte sie sich für ein einfaches Dior-Kleid entschieden. »Danke, Philip.«
Als sie saßen, fuhr er fort: »Ich komme mir wie ein Idiot vor, Lara.« »Oh? Warum denn?«
»Ich habe Ihren Namen nie damit in Verbindung gebracht. Dabei sind Siedie Cameron.« Sie lachte. »Ich bekenne mich schuldig.« »Großer Gott! Ihnen gehören Hotelketten, Wohnanlagen und Verwaltungskomplexe. Auf Reisen sehe ich in ganz Amerika
Ihren Namen.«
»Um so besser«, sagte Lara lächelnd. »Dann erinnert er Sie an mich.«
Philip schüttelte den Kopf. »Das wäre überflüssig. Hören Sie überhaupt noch hin, wenn Männer Ihnen sagen, daß Sie sehr schön sind?«
»Ich freue mich, daß Sie es mir sagen«, wollte Lara sagen, aber statt dessen fragte sie: »Sind Sie verheiratet?« Am liebsten hätte sie sich die Zunge abgebissen.
»Nein«, antwortete er lächelnd. »Ich könnte unmöglich heiraten.«
»Warum nicht?« Sie hielt einen Augenblick den Atem an. Er war doch nicht etwa .?
»Weil ich fast das ganze Jahr auf Tournee bin. Eine Nacht in Budapest, die nächste in London, Paris oder Tokio.«
Sie atmete erleichtert auf. »Ah. Erzählen Sie mir mehr von sich, Philip.«
»Was möchten Sie wissen?«
»Alles!«
Er lachte. »Das würde mindestens fünf Minuten dauern.«
»Nein, das ist mein Ernst. Ich möchte wirklich alles über Sie wissen.«
Er holte tief Luft. »Nun, meine Eltern stammen aus Wien. Mein Vater war Dirigent, meine Mutter Klavierlehrerin. Sie mußten vor den Nazis aus. Wien flüchten und sind nach Boston ausgewandert. Ich bin dort geboren.«
»Wollten Sie schon immer Pianist werden?«
»Ja.«
Er war sechs Jahre alt. Während er Klavier übte, kam sein Vater hereingestürmt. »Nein, nein, nein! Kannst du keinen Durakkord von einem Mollakkord unterscheiden?« Sein plumper behaarter Finger tippte aufs Notenblatt, »Das ist ein Mollakkord. Moll! Hast du verstanden?«
»Vater, darf ich bitte zum Spielen rausgehen? Meine Freun-de warten auf mich.«
»Nein! Du übst weiter, bis du's kannst.«
Er war acht Jahre alt. Er hatte an diesem Vormittag schon vier Stunden lang geübt und sich deswegen mit seinen Eltern gestritten. »Ich hasse mein Klavier!« rief er weinend. »Ich will nie wieder darauf spielen!«
»Schön«, sagte seine Mutter. »Jetzt will ich noch mal das Andante hören.«
Er war zehn Jahre alt. In der Wohnung drängten sich Gäste, hauptsächlich Freunde seiner Eltern. Alle waren Musiker.
»Philip spielt jetzt etwas für uns«, kündigte seine Mutter an.
»Ja, wir würden gern hören, wie der kleine Philip spielt«, sagten sie gönnerhaft.
»Spiel den Mozart, Philip.«
Philip starrte in ihre gelangweilten Gesichter und setzte sich ärgerlich ans Klavier. Ihre angeregte Unterhaltung ging in unverminderter Lautstärke weiter.
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