»Weshalb?«
»Ich brauche jeden Muslim, den ich kriegen kann.«
»Wer wird sie in Mekka anführen?«
»Keine Sorge«, sagte Cabrillo, »dafür habe ich genau den richtigen Mann.«
Die Oregon lief soeben in die Straße von Gibraltar ein, als Hanley nach seinem Gespräch mit Juan Cabrillo auflegte. Er aktivierte sein Intercom.
»Hali und George sollen sofort in den Kontrollraum kommen«, sagte er und wiederholte die Bitte noch einmal.
Während er auf die beiden Männer wartete, wandte er sich an Eric Stone. »Ändere den Kurs und steuere Israel an, und zwar den Hafen, der Jerusalem am nächsten liegt.«
Eric Stone lud eine Landkarte auf seinen Monitor. Ashdod erfüllte mit seinem Hafen die geforderten Voraussetzungen. Er gab entsprechende Befehle ein, und das Steuerprogramm des Schiffs änderte automatisch seine Parameter. In diesem Moment betrat George Adams den Kontrollraum.
»Was gibt’s?«, erkundigte er sich.
»Du musst sofort deinen Helikopter startklar machen und Hali nach Tanger in Marokko bringen.«
»Und was soll ich danach tun?«, fragte Adams weiter.
»Tank deinen Vogel auf und komm zur Oregon zurück.«
»Wird sofort in die Wege geleitet«, sagte Adams und ging hinaus.
Wenig später erschien Hali Kasim im Kontrollraum.
»Bist du bereit, eine Operation zu führen?«, fragte Hanley.
»Klar, Max, jederzeit«, erwiderte Kasim grinsend.
»Juan ist zwar der Einzige, der Zugang zu euren Personalakten hat«, sagte Hanley, »aber wenn ich dich richtig verstanden habe, bist du Muslim. Stimmt das?«
»Das ist richtig.«
»Gut.« Max Hanley nickte zufrieden. »Die Challenger ist zurzeit von Katar nach Marokko unterwegs. Du musst einen Einsatztrupp nach Mekka bringen.«
»Und zu welchem Zweck, Max?«, fragte Kasim.
»Du« — Hanley sah seinen Kollegen ernst an — »wirst die Aufgabe haben, die heiligsten Orte des Islam zu beschützen.«
»Das wird mir eine große Ehre sein«, entgegnete Hali Kasim feierlich.
Sich als Nichtmuslim in Mekka aufzuhalten löste bei Hickman keinerlei Beklemmungen aus.
Er hasste die islamische Religion und alles, wofür sie stand. Nachdem er sich mit den zwölf Indern um vier Uhr nachmittags in dem Haus in Riad getroffen und sie über die bevorstehende Operation informiert hatte, starteten sie zu ihrer zehnstündigen Fahrt nach Mekka und zur Kaaba. Dazu benutzten sie einen gestohlenen Lieferwagen, dessen arabische Aufschrift auf den Seitenwänden ihn als Dienstfahrzeug einer Reinigungsfirma auswies. Die Inder selbst trugen wallend lange weiße Gewänder, und jeder war mit Schrubber, Putzeimer, Spachtel und Bürsten ausgerüstet.
Hickman hatte gegen ein entsprechendes Honorar an einen Fälscher einen Empfehlungsbrief in arabischer Sprache schreiben lassen, aus dem hervorging, dass der Trupp den Auftrag hatte, auf dem gesamten Gelände möglichst alle Kaugummireste zu entfernen. In einem hellgelben Plastikgerätewagen hatte Hickman hinter einer weißen Stoffabdeckung sowohl den Meteoriten als auch einige Spraydosen versteckt, die Vanderwald seiner letzten Lieferung beigepackt hatte. Bei jedem Hindu war eine Ladung C-6-Sprengstoff mitsamt einem winzigen Zeitzünder mit Klebeband in Taillenhöhe auf dem Rücken befestigt worden. An jedem ihrer Beine, verhüllt von den weiten Gewändern, die sie trugen, klebte außerdem eine Pistole — für den Fall, dass es irgendwelche unvorhergesehenen Schwierigkeiten geben sollte.
Der Lieferwagen stoppte vor dem Tor, durch das man in die riesige Moschee gelangte. Hickman und die anderen stiegen aus, holten den Gerätekarren, Eimer und Schrubber aus dem Lieferwagen und gingen auf den Torwächter zu. Hickman hatte für diesen Augenblick unermüdlich trainiert und sowohl die arabische als auch die Körpersprache erlernt. Er reichte dem Wächter den Empfehlungsbrief und begleitete dies mit einem entsprechenden Kommentar.
»Wir sind im Namen Allahs hier, um die heilige Stätte zu säubern«, sagte er mit gewichtigem Unterton.
Es war schon spät, der Wächter war müde und die Moschee geschlossen.
Es gab keinen Grund für ihn zu glauben, dass die Männer etwas anderes waren als das, wofür sie sich ausgaben — daher winkte er sie kommentarlos durch. Hickman, der den Karren vor sich herschob, erreichte als Erster das Innere des Schreins.
Sobald er sich in der Moschee befand, schob er sich eine Atemmaske mit Filter über Mund und Nase und drapierte seine Kopfbedeckung dergestalt um sein Gesicht, dass nur noch seine Augen zu sehen waren. Er gab den Hindus ein Zeichen, auszuschwärmen und die Sprengladungen rundum zu verteilen. Danach steuerte er gezielt auf die Kaaba zu.
Vier hoch gewachsene Männer in zeremoniellen Uniformen hielten an jeder Ecke des Bauwerks Wache. Alle fünf Minuten verließen sie ihre Standorte an den Ecken des schwarzen Würfels, wobei sie bei jedem Schritt die Füße übertrieben hoch hoben — wie die Wachsoldaten vor dem Buckingham-Palast. Jeder Wächter marschierte im Uhrzeigersinn von seiner Ecke zur nächsten, blieb dann stehen und nahm wieder stramme Haltung an. Sie hatten soeben den Positionswechsel vorgenommen, als sich Hickman mit seinem Karren näherte.
Er griff in den Karren hinein, öffnete eine der Spraydosen und schob sie dicht an den nächsten Wächter heran. Ein oder zwei Sekunden lang rührte sich der Wächter nicht, doch dann sank er auf die Knie, kippte nach vorne auf die Brust und streckte sich bäuchlings auf dem Marmorfußboden aus. Hickman schlüpfte mit dem Karren schnell unter den schwarzen Brokatvorhang.
Nach wenigen Schritten stand er vor dem Stein Abrahams und hebelte ihn mit einem kurzen Stahlstab, den er ebenfalls im Karren versteckt hatte, aus seiner Silberfassung. Schnell tauschte er ihn gegen den Meteoriten aus Grönland aus und deponierte den Stein Abrahams unter der weißen Stoffverkleidung des Gerätekarrens. Außerdem legte er noch einige Sprengladungen und tauchte mit dem Karren wieder unter dem schwarzen Tuch auf.
Vanderwald hatte darauf hingewiesen, dass die Wirkung des Betäubungsgases, das er geliefert hatte, nur drei oder vier Minuten lang anhielt. Danach würde jeder, der das Gas eingeatmet hatte, wieder zu sich kommen. Hickman beeilte sich, den Karren in Richtung Ausgang zu schieben.
Die Hindus gingen zügig zu Werke. Die ersten sechs hatten die dem Eingang am nächsten stehenden Säulen mit Sprengladungen versehen und warteten bereits vor dem Durchgang. Zwei weitere erschienen kurz darauf, danach kamen noch zwei.
Hickman verfolgte, wie die letzten beiden Männer im Laufschritt auf ihn zukamen.
Mit den Hindus im Schlepptau ging Hickman mit dem Gerätekarren an dem Wächter vorbei, der sich am Eingang befand.
»Was hat das zu bedeuten?«, wunderte sich der Wächter über ihre schnelle Rückkehr.
»Wir bitten tausendmal um Entschuldigung«, erwiderte Hickman auf Arabisch, wobei er mit dem Karren zum Lieferwagen weiterging, »man hat uns erklärt, wir sollten erst morgen Abend zum Saubermachen herkommen.«
Hickman und seine Männer zwängten sich in den Lieferwagen und fuhren soeben los, als der Wächter aufwachte. Er wälzte sich einige Sekunden lang benommen herum, bis er sich aufgesetzt hatte, dann sah er sich um, ob jemand etwas bemerkt hatte. Der Wächter an der anderen Ecke blickte in die andere Richtung, wie die Vorschriften es verlangten. Er stand schwankend auf und blickte auf seine Uhr. Noch anderthalb Minuten bis zum Platzwechsel. Der Wächter entschied, die Tatsache seiner Ohnmacht für sich zu behalten. Er wusste: Wenn er jemandem davon erzählte, würden sie ihn noch vor dem Haddsch auswechseln.
Der Mann hatte sein ganzes Leben lang davon geträumt, Wächter am Heiligtum des Islam zu sein. Ein leichter Hitzschlag oder eine harmlose Lebensmittelvergiftung dürften auf keinen Fall die Erfüllung dieses Traums verhindern.
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