»Demnach hatte Hickman ursprünglich die Absicht, der arabischen Welt mit Hilfe bestimmter historischer Erkenntnisse Schaden zuzufügen«, sagte Hanley nachdenklich, »und dann, als sei es ein Geschenk der Götter persönlich, fällt ihm der Meteorit in den Schoß.«
»Aber das hat nicht das Geringste mit dem Islam oder mit Mohammed zu tun«, stellte Eric Stone fest.
Halpert nickte. »Ich glaube, dass Hickman an diesem Punkt zu der Überzeugung gelangte, dass eher eine unmittelbare Vergeltungsmaßnahme vonnöten war. Ich habe Daten in seinem Computer gefunden, die er sich kurz nach Ackermans Entdeckung beschafft hat. Sie beziehen sich auf die radioaktive Strahlung von Iridium und die damit verbundenen Gefahren.«
»Er beschließt also, sich den Meteoriten zu beschaffen, und was dann?« Hanley runzelte die Stirn. »Ihn mit einem bereits vorhandenen Sprengkopf zusammenzubringen und damit irgendein arabisches Land zu bombardieren?«
»Genau das hat mich viel zu lange beschäftigt«, gab Halpert zu. »Zuerst habe ich den gleichen Gedanken verfolgt — nämlich dass der Meteorit als eine Art nukleare Waffe eingesetzt werden soll. Aber das war eine Sackgasse — es gibt nicht den geringsten Hinweis, dass zwischen ihm und der ukrainischen Atombombe irgendeine Verbindung besteht –, daher habe ich meine Fantasie spielen lassen.«
»Radioaktiver Staub?«, fragte Hanley.
»Das erscheint mir als die einzige logische Einsatzmöglichkeit«, sagte Halpert.
»Was hast du sonst noch in Erfahrung gebracht?«
»Ich habe eindeutige Hinweise gefunden, dass Hickman soeben eine Spinnerei in England, und zwar in der Nähe von Maidenhead, gekauft hat.«
»Also genau dort, wo sich nach den Angaben unserer Peilsender im Augenblick der Meteorit befindet«, sagte Stone.
»Meinst du, er will irgendwelche Kleider damit kontaminieren und sie in den Mittleren Osten schicken?«, fragte Hanley.
»Das glaube ich nicht, Max«, erwiderte Halpert langsam. »Die Fabrik hat von Saudi-Arabien eine Bestellung für eine Ladung Gebetsteppiche erhalten, die demnächst ausgeliefert werden sollen.«
»Also will er den Staub auf die Gebetsteppiche streuen und die Muslime während ihrer Gebete verseuchen«, sagte Hanley. »Das ist ja geradezu teuflisch.«
»Er ist heute Morgen mit seinem Jet in London gelandet«, sagte Halpert. »Ich glaube …«
In diesem Augenblick klingelte Hanleys Telefon, und er gab Halpert ein Zeichen, sich einen Moment zu gedulden, während er das Gespräch annahm. Overholt war am anderen Ende und kam sofort zur Sache.
»Wir haben ein Problem«, sagte er.
»Nein«, sagte der Sicherheitschef von Dreamworld, »ich rufe von meinem privaten Telefon aus an. Ich glaube nicht, dass es abgehört wird.«
Er fuhr fort, indem er von dem Durchsuchungsbeschluss berichtete und die Dinge aufzählte, die die Detectives mitgenommen hatten.
Hickman hörte aufmerksam zu. »Wo sind Sie im Augenblick, Sir?«, fragte der Sicherheitschef. »Sie würden sich nur zu gerne mit Ihnen unterhalten.«
»Es ist besser, dass Sie das nicht wissen«, antwortete Hickman.
»Wollen Sie, dass wir irgendetwas tun?«
»Zurzeit«, erwiderte Hickman, »kann niemand außer mir etwas tun.«
Damit legte Hickman auf und lehnte sich im Schreibtischsessel des Büros bei Maidenhead Mills zurück.
Irgendjemand in der Regierung war ihm dicht auf den Fersen. Es würde nicht allzu lange dauern, bis sie seinen augenblicklichen Aufenthaltsort aufgespürt hätten. Er nahm den Telefonhörer ab und wählte eine Nummer.
Die Mannschaftsmitglieder der Free Enterprise, die in Calais geblieben waren, während das Schiff nach Norden dampfte, waren an diesem Morgen in London eingetroffen. Es waren vier Mann, eine ziemlich magere Mannschaft, aber sie waren alles, was Hickman noch geblieben war. Per Telefon gab er ihnen seine Anweisungen durch.
»Ihr werdet drei Lastwagen stehlen müssen«, sagte Hickman. »Sie zu mieten, dürfte wegen des Feiertags unmöglich sein.«
»Welcher Typ?«, fragte der Anführer.
»Die Fracht besteht aus den üblichen Schiffscontainern, die auf entsprechende Sattelschlepper passen«, erklärte Hickman. »Ich habe meinen Kontaktmann bei Global Air Cargo angerufen, er empfahl mir verschiedene Wagentypen.«
Hickman las dem Mann am anderen Ende die Liste vor.
»Und wenn wir sie haben, wohin sollen wir dann kommen?«
»Schauen Sie auf Ihre Landkarte«, befahl Hickman.
»Nördlich von Windsor liegt eine Stadt namens Maidenhead.«
»Schon gefunden«, sagte der Mann.
»In Maidenhead fahren Sie zu folgender Adresse«, fuhr Hickman fort und gab dem Mann eine Wegbeschreibung durch.
»Wie schnell sollen wir dort sein?«, fragte der Mann.
»So schnell wie möglich«, antwortete Hickman. »Ich habe veranlasst, dass in Heathrow eine 747 der Global Air Cargo bereitsteht, um die Fracht zu übernehmen.«
»Wie haben Sie das zu Silvester geschafft?«, platzte der Mann staunend heraus.
»Mir gehört die Firma.«
»Wir brauchen mindestens eine Stunde«, sagte der Mann.
»Je schneller, desto besser.«
Die Schlinge zog sich allmählich zu, aber noch spürte Hickman sie nicht um seinen Hals.
Judy Michaels lenkte das Wasserflugzeug neben die Oregon, dann schaltete sie den Motor aus und ging zur Frachtraumtür. Während das Flugzeug langsam weitertrieb, wartete sie, bis sie jemanden auf dem Schiffsdeck sah, und warf dann ein Seil zu ihm hinauf. Der Matrose machte das Flugzeug fest, und Cliff Hornsby stieg die Leiter hinunter.
»’n Abend, Judy«, begrüßte er die Pilotin, während er das Material annahm, das zu ihm heruntergereicht wurde, »wie ist das Wetter da oben?«
»Schnee und Matsch«, antwortete Judy, während auch sie sich mehrere Kartons und Säcke reichen ließ.
Rick Barrett kletterte über die Reling. Er hatte eine Reisetasche in der Hand. Auf dem Deck wandte er sich an Judy.
»Darin findest du etwas zu essen und Kaffee«, sagte er. »Alles von mir selbst zubereitet.«
»Danke«, sagte Judy Michaels und verstaute das letzte Paket.
Michael Halpert und Tom Reyes kamen vom Schiff herunter.
»Ist von euch schon mal jemand geflogen?«, fragte Judy Michaels, ehe sie nach vorn zum Cockpit ging.
»Ich nehme zur Zeit Flugstunden«, meldete sich Barrett.
»Koch und Pilot.« Judy Michaels schüttelte den Kopf. »Eine seltsame Kombination. Komm nach vorn — du kannst das Funkgerät bedienen und bei der Navigation helfen.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Halpert.
»Sobald der Matrose das Seil herunterwirft, müsst ihr uns mit diesem Bootshaken vom Schiff abstoßen. Dann schließt die Tür, verriegelt sie und sucht eure Plätze auf. Ich lasse den Motor an, sobald ihr meldet, dass wir freie Bahn haben.«
Sie schlängelte sich in den Pilotensitz, wartete, bis Barrett neben ihr Platz genommen hatte, dann drehte sie sich zum Frachtraum um. »Wir sind bereit«, meldete sie.
Hornsby fing das Seil auf, das heruntergeworfen wurde, Halpert schob sie von der Schiffswand weg, und Reyes schloss die Tür. »Du kannst starten«, sagte Halpert anschließend.
Judy Michaels drehte den Zündschlüssel, die Motoren sprangen brüllend an. Sie lenkte die Maschine von der Oregon weg, wartete, bis die Distanz ungefähr fünfzig Meter betrug, und gab dann Vollgas. Das Wasserflugzeug jagte über die Wellen und stieg auf.
Judy Michaels gewann an Höhe und flog eine scharfe Linkskurve.
Sie befand sich noch immer im Steigflug, als die Außenbezirke von London unter ihnen auftauchten.
Hanley verfolgte über die Außenkameras, wie sich das Wasserflugzeug vom Schiff entfernte, und wandte sich dann an Eric Stone.
»Wie läuft es bei dir?«, fragte er.
Halpert hatte seine Notizen im Kontrollraum zurückgelassen. Stone ging die verschiedenen Hinweise durch.
Читать дальше