»Danke«, sagte Truitt, während er Anstalten machte, das Cockpit zu verlassen.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?«, fragte Tracy Pilston.
»Klar.« Truitt wandte sich zu ihr um.
»Sag Tiny, er soll mich fliegen lassen; er tut immer so, als seien die Kontrollen sein Eigentum, von dem er sich nicht trennen will.«
Gundersons Mund öffnete sich kaum, während er seinen Kommentar gab: »Der Autopilot ist eingeschaltet.«
»Vertragt euch, Kinder«, sagte Truitt und entfernte sich.
»Ich gebe dir ein Snickers, wenn du mich fliegen lässt«, bot Tracy Pilston an.
»Aber liebend gerne, Frau«, meinte Gunderson, »warum hast du das nicht gleich gesagt?«
Ein Wind, durchsetzt mit feinstem Staub, wehte von Osten nach Westen und deckte auf seinem Weg alles mit einer dünnen knirschenden Schicht zu. Staub war in Saudi-Arabien so beständig wie die Gezeiten des Meeres. Kühle Temperaturen wie an diesem Tag gab jedoch es so selten wie Steaks bei einer Hinduhochzeit.
Saud Al-Sheik betrachtete die leere Schüssel des riesigen Stadions in Mekka.
Saudi-Arabien war gesegnet, denn es besaß enorme Ölreserven, hervorragende Krankenhäuser und Schulen — und mit Mekka den heiligsten Ort des Islam. Es wird empfohlen, dass fromme Muslime die Pilgerfahrt nach Mekka, den so genannten Haddsch, mindestens einmal in ihrem Leben unternehmen sollen, um damit die Ernsthaftigkeit ihres Glaubens zu demonstrieren. Jedes Jahr, gewöhnlich Anfang Januar, kommen hier Tausende von Gläubigen zusammen, wobei die meisten auch noch einen Abstecher nach Medina machen, wo sich das Grab des Propheten Mohammed befindet.
Der Zustrom so vieler Pilger innerhalb einer so kurzen Zeitspanne stellt einen logistischen Albtraum dar. Sie unterzubringen, zu verpflegen, für die Kranken und Gebrechlichen zu sorgen und die Sicherheit der Massen zu gewährleisten, ist ein gleichermaßen übermenschliches wie auch besonders teures Unterfangen.
Saudi-Arabien muss dabei einerseits die Kosten für die Pilger tragen und sich andererseits heftigster öffentlicher Kritik erwehren, falls irgendetwas schiefgeht.
Führte man sich vor Augen, dass amerikanische und englische Streitkräfte Irak und Afghanistan besetzten, so bedeutete der glühende Hass auf den Westen, der in dieser Region herrschte, ein Pulverfass, das jeden Augenblick zu explodieren drohte. Die Erhaltung der Sicherheit in Mekka wäre in diesem Jahr eine nahezu unlösbare Aufgabe. Fundamentalistische Muslime wünschten sich den Westen vernichtet und wie eine todbringende Seuche von diesem Planeten gefegt.
Der Hass fand sein Gegenstück in der westlichen Welt, die nach dem Anschlag auf das World Trade Center jegliche Toleranz gegenüber der fundamentalistischen Botschaft ablehnte. Sollte ein weiterer Angriff unter Beteiligung saudischer Nationalisten stattfinden, würde die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung eine kriegerische Besetzung des Öl exportierenden Landes befürworten. Die Haltung der westlichen Welt war in letzter Zeit um einiges klarer geworden: Es gab zwei Arten von Menschen in der Welt — Freunde oder Feinde. Freundschaft wurde belohnt — Feinde waren rigoros auszulöschen.
Inmitten all dieser Spannungen, dieses Hasses, dieser Gewalt und Wut musste alles für einen sicheren und erfolgreichen Haddsch, der am 10. Januar beginnen würde, an Ort und Stelle sein.
Es blieben weniger als zwei Wochen, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen.
Saud Al-Sheik studierte einen Stapel Dokumente auf seinem Schreibbrett. Es gab immer noch unzählige Details zu berücksichtigen, und die Zeit der Pilgerfahrt rückte unaufhaltsam näher. Das jüngste Problem war soeben erst zutage getreten — die neuen Gebetsteppiche, die er in England bestellt hatte. Ihre Produktion war noch nicht abgeschlossen, und die Fabrik hatte unerwarteterweise den Besitzer gewechselt.
Dies, zusammen mit der Tatsache, dass sich England wegen seiner aktiven Unterstützung der Vereinigten Staaten bei ihrer Besetzung des Irak bei seinen Landsleuten und Glaubensbrüdern keiner besonders hohen Wertschätzung erfreute, könnte für erheblichen Konfliktstoff sorgen. Al-Sheik fragte sich, ob eine Schmiergeldzahlung an die Fabrik in diesem Fall angebracht wäre. Er würde eine erhebliche Sonderzahlung leisten, damit die Bestellung ausgeführt würde, und sie dann über einen Makler in Paris umleiten, um ihre wahre Herkunft zu verschleiern.
Das würde beide Probleme gleichzeitig lösen.
Zufrieden mit seiner Idee, trank er einen Schluck Tee und griff nach seinem Mobiltelefon, um alles Nötige in die Wege zu leiten.
Zur gleichen Zeit schleppte sich der griechische Frachter Larissa in den Ärmelkanal. Der Kapitän betrachtete aufmerksam seine Seekarten. Er hatte den Befehl, den Hafen der Isle of Sheppey anzulaufen. Dort hatte er noch niemals angelegt. Seine üblichen Zielhäfen waren Dover, Portsmouth und Felixstowe. Was der Kapitän nicht wissen konnte, war, dass die englischen Behörden Strahlungsdetektoren in seinen Stammhäfen installiert hatten. Im Gegensatz dazu war die Isle of Sheppey so weit offen und frei zugänglich wie der Grand Canyon. Und das wussten die Leute, die seine Dienste in Anspruch nahmen.
Der Kapitän warf noch einen letzten prüfenden Blick auf die Karte, dann führte er die notwendige Kurskorrektur durch. Anschließend kratzte er sich ausgiebig am Arm. Die Larissa stampfte mühsam weiter, wobei die Abgase des altersschwachen Dieselmotors als schwarze Wolken aus dem einzigen Schornstein wallten. Die Larissa war ein sterbendes Schiff, das eine tödliche Ladung transportierte.
Thomas »TD« Dwyer blickte auf die ausgedörrte Wüstenlandschaft hinab, während der Sikorsky-S-76-Hubschrauber über dem nördlichen Arizona unterwegs war. Einige Kilometer entfernt konnte er links von sich eine Reihe weiß leuchtender Bergspitzen erkennen. Der Anblick dieser schneebedeckten Gipfel überraschte ihn. Wie die meisten Leute, die diesem Staat noch nie einen Besuch abgestattet hatten, war Dwyer davon überzeugt gewesen, dass die Landschaft eine endlose nur aus Sand und Kakteen bestehende Einöde war. Nun hingegen schien es, als hätte Arizona von allem ein wenig.
»Wie oft schneit es hier?«, fragte er den Piloten über das Headset.
»Diese Hügel liegen in der Nähe von Flaggstaff«, erklärte der Pilot. »Sie bekommen ausreichend Niederschlag, so dass dort ein ansehnliches Skigebiet entstehen konnte. Die höchste Erhebung ist der Humphries — immerhin über viertausend Meter.«
»Das hätte ich nicht erwartet«, gab Dwyer zu.
»Die meisten Leute«, sagte der Pilot, »reagieren genauso wie Sie.«
Anfangs, nachdem er Dwyer zwei Stunden zuvor in Phoenix kennen gelernt hatte, war der Pilot eher wortkarg gewesen. Dwyer nahm ihm das nicht übel — er war überzeugt, dass die hochrangigen Vertreter der Sicherheitsbehörden Arizonas dem Piloten nichts über Dwyers Position oder den Zweck dieses Ausflugs verraten hatten. Und die meisten Menschen möchten wenigstens eine vage Vorstellung von den näheren Umständen ihrer jeweiligen Mission haben. Sie wollen einfach nicht im Ungewissen gelassen werden.
»Wir fliegen zum Krater, damit ich dort einige Gesteinsproben einsammeln kann«, sagte Dwyer. »Die sollen in einem Labor später eingehend untersucht werden.«
»Ist das alles?«, fragte der Pilot und entspannte sich sichtbar.
»Das ist es«, bestätigte Dwyer.
»Reizend. Sie können sich nicht vorstellen, was für verrückte Aufträge ich in der letzten Zeit hatte. Es geht schon fast so weit, dass ich es an einigen Tagen geradezu hasse, zur Arbeit zu kommen.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Ich bin nach dem Ende meiner Schicht oft genug unter einer Entgiftungsdusche gelandet«, beschwerte sich der Pilot, »und das ist nicht unbedingt meine Vorstellung von einem angenehmen Arbeitstag.«
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