»Sie tun ganz schön tapfer, Schwester Serghetti. Ich bin schwer beeindruckt.« Jamil betrachtete seine Utensilien, bei denen es sich in erster Linie um Spritzen, Messer verschiedenster Art und Elektrostäbe handelte. »Ach, ist das schön. Das haben wir alles von eurer Inquisition abgeschaut.«
Er nahm eine ellenlange schwarze Stange. Blitzartig wurde sie lebendig. Es war ein Elektroschockstab.
»Mein Lieblingsstück«, sagte er und wedelte damit vor ihr herum. An der Spitze sprühten blaue Funken. »Jeder Schlag hat etwa 75.000 Volt. Nach ein paar Stößen sind Sie bewusstlos. Ein paar mehr – und Sie sind tot.«
»So weit wollen Sie es kommen lassen, Jamil?«
Jamil fluchte und riss ihr den Mund auf. Sie versuchte, sich ihm zu entwinden, aber der Metallstab steckte schon in ihrem Mund. Sie musste würgen, weil Jamil ihn tief hineinschob.
»Die Chinesen rammen ihn den Gefangenen in den Rachen und laden ihn erst dann auf«, sagte er, während sie würgte. »Der Stromschlag zischt durch den Körper, und man liegt im eigenen Blut und den eigenen Exkrementen da. Äußerst schmerzvoll!«
Sie spürte die heißen Metallspitzen im Hals und stöhnte. Jamil zog den Stab heraus und drückte noch einmal auf den Knopf, sodass sie die blauen Elektroströme aufleuchten sah.
»Ich könnte ihn natürlich auch noch woanders hineinrammen.«
Serena drückte unwillkürlich die Schenkel zusammen.
»Also gut«, sagte Jamil lächelnd und legte den Elektrostab auf den Tisch. »Sie haben offensichtlich verstanden.« Dann nahm er eine Spritze und schlug mit dem Finger kurz an die Nadel. Eine gelbliche Flüssigkeit spritzte heraus. »Dann wollen wir mal.«
***
Nach ein paar Stunden kam Serena wieder zu Bewusstsein. Sie starrte auf eine improvisierte Lampe, die Jamil an der Decke befestigt hatte – der Elektrostab schwang an einem Seil und gab bei jedem Aufblitzen ein makabres Zischen von sich. Sie schloss die Augen. Das Gezische schien immer lauter zu werden. Vielleicht war sie auch nur von den Drogen benommen, die man ihr verabreicht hatte.
Sie spürte, dass noch jemand in der Kammer war, und öffnete die Augen. Sie sah einen langen Schatten an der Wand. Und blickte zur Tür, konnte aber nicht genau erkennen, wer da hereinkam.
»Conrad?«
»Schön, dass Sie noch träumen können, Schwester Serghetti.«
Es war Zawas. Serena ließ den Kopf wieder hängen, während er zu dem kleinen Tisch ging, auf dem Jamil seine Folterinstrumente ausgebreitet hatte.
»Ich habe gehört, dass Sie nicht sonderlich kooperativ waren«, sagte er und prüfte Jamils Spielzeug. »Ich konnte Jamil gerade noch davon abhalten, Ihr Gedächtnis mit seinen chemischen Substanzen für immer auszulöschen. Er ist eine Bestie. Er versaut überall den guten Ruf der Araber. Ehrlich, die meisten von uns sind da ganz anders. Ausnahmen gibt's immer. In Ihrer Kirche gibt es schließlich auch Priester, die sich an Kindern vergehen. Trotzdem geben Sie Ihren Glauben nicht auf. Mir geht es genauso.«
Serena schwieg, während er sich im Raum umsah. Der Rucksack auf dem Boden schien seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er ging um ihn herum und beobachtete sie dabei. Dann stellte er den Rucksack auf den Tisch und machte den Reißverschluss auf. Er fing an, den Inhalt zu durchwühlen, und begutachtete ihre Sachen – Desinfektionstabletten für Wasser, Flaschen, ein Leuchtsignal und so weiter.
Dann kam ihre Thermosflasche an die Reihe. Als er den Verschluss aufdrehte, bekam sie ein beklemmendes Gefühl. Sie betete, dass er die Zeichnung in der Ummantelung nicht entdecken würde. Ihr war klar, dass die Karte genügend Informationen enthielt, um jene unerschöpfliche Energiequelle im Heiligtum der Ursonne zu finden.
»Zawas, Sie erinnern mich an den Pharao«, sagte Serena. »Sie wissen schon, den aus der Bibel.«
Der Vergleich schien Zawas zu belustigen. Er stellte die Thermosflasche auf den Tisch. »Dann wissen Sie also, dass mich die Götter höchstpersönlich beauftragt haben und Sie mir jetzt antworten müssen.«
»Die ägyptischen Götter sind schon einmal besiegt worden. Das kann jederzeit wieder passieren.«
»Die Geschichte wird gerade neu geschrieben, Schwester Serghetti. Aber zuerst muss ich das Heiligtum der Ursonne finden. Ich weiß immer noch nicht, wo es sich befindet. Doktor Yeats übrigens auch nicht. Ja, er lebt noch. Ich weiß das, weil ich ein paar meiner Leute vermisse«, sagte er. »Er hat sie getötet, so wie einige andere auch. Immer auf der egoistischen Suche nach den Ursprüngen der menschlichen Zivilisation. Ich kenne diesen Mann nur zu gut. Er schert sich recht wenig um die Folgen seiner Forschungen für die betroffenen Länder, die Völker und die Ausgrabungsstätten selbst. Sie können froh sein, dass ich Sie und das Zepter des Osiris vor ihm bewahrt habe.«
Serena schwieg, weil sie Conrad gegen Zawas' Anschuldigungen nicht verteidigen konnte. Er hatte Recht.
»Anders als der rücksichtslose Doktor Yeats«, fuhr Zawas fort, »schätze ich die Naturschönheiten und möchte sie erhalten, besonders wenn es sich dabei um die weibliche Schönheit handelt. Ich fände es furchtbar, wenn ein Tier wie Jamil Ihnen etwas antun würde.«
Natürlich war das gelogen. »Sie sind also ein einzigartiger Gentleman unter lauter Barbaren.«
Er sah sie genau an. »Wir scheinen uns gut zu verstehen, Schwester Serghetti. Die katholische Kirche hat sich ja auch immer schon mit Edelmut und sozialer Barmherzigkeit ummantelt, nur um dann einen Pakt mit dem Teufel zu schließen, wenn es die Situation erforderte.«
»Dann sind Sie wahrlich ein Held. Nur leider auf der falschen Seite.«
»Genau«, sagte Zawas. »Wie der Pharao während des Exodus. Es war einfach sein Pech, dass der Vulkanausbruch von Thera im Mittelmeer die zehn Plagen ausgelöst hat, die Sie so bereitwillig dem Gott Moses' zuschreiben. Das Rote Meer hatte sich gar nicht aufgetan. Die Israeliten durchquerten das Schilfmeer an einer seichten Stelle in knöchelhohem Wasser. Immerhin so tief, dass die Räder der Wagen des Pharao stecken geblieben sind.«
»Dann war es ein noch größeres Wunder, als ich angenommen hatte«, sagte Serena. »Man stelle sich vor: Alle Soldaten und Pferde des Pharao sind in knöchelhohem Wasser ertrunken.«
Zawas fand ihr Argument offensichtlich gar nicht lustig. Im hellen Licht sah sie, wie seine Miene streng wurde. »Geschichte wird immer von den Siegern geschrieben. Wie könnte man sonst die jüdisch-christliche Begeisterung für einen angeblich barmherzigen Gott erklären, der die Erstgeborenen der Ägypter einfach so umbringen ließ?«
»Er hätte alle Ägypter töten können«, sagte sie und erschrak zugleich über ihre Stimme, die so überzeugt klang.
Zawas zeigte sich verstimmt. »Dann war es also die Schuld des Pharao?«
Serena versuchte, sich zu konzentrieren. Trotz ihrer Schwäche merkte sie, dass jetzt der entscheidende Augenblick gekommen war, um Zawas zu überzeugen. »Sie wissen genau, dass an bestimmten Punkten in der Geschichte alles auf einem Mann oder einer Frau lastet: Noah und die Arche, der Pharao und die Israeliten. Gott gab dem Pharao die Chance, der größte Befreier zu werden. Aber sein Herz blieb störrisch und überheblich. Jetzt ist die Zeit erneut gekommen. Vielleicht sind Sie der richtige Mann.«
»Oder Sie die richtige Frau«, erwiderte Zawas. »Wo ist das Heiligtum der Ursonne?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Ehrenwort.«
»Dann muss ich Sie jetzt Jamil überlassen. Ich habe keine andere Möglichkeit mehr. Ich wasche meine Hände in Unschuld.«
»Sprach Pontius Pilatus.«
»Und ich dachte schon, ich soll ein Pharao sein.« Er schüttelte den Kopf und warf die Arme hoch. »Wollen Sie mich etwa mit den Schurken der Bibel vergleichen? Haben Sie jemals die Möglichkeit bedacht, dass jene Führer die wahren Helden der Menschheitsgeschichte sind und Ihre Heiligen alles nur verändert oder sogar frei erfunden haben?«
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