»Ihnen macht der Flug anscheinend Spaß«, sagte er auf Arabisch.
»Nicht so wie Ihnen«, erwiderte sie. »Vielleicht sollte Ihr Pilot lieber mich ans Steuer lassen.«
Jamil sah sie wutentbrannt an. »Werden Sie nicht unverschämt.«
Serena biss sich auf die Zunge. Sie widmete sich nun ganz der spektakulären Stadt und dem Kanalsystem unter ihr und fragte sich, was wohl mit Conrad geschehen war, wer diese UNACOM-Soldaten wirklich waren und welche Absicht sie verfolgten.
Sie wusste, dass Oberst Ali Zawas sich im Auftrag der Vereinten Nationen in der Antarktis aufhielt und dass diese Männer eindeutig unter seinem Befehl standen. Zweifelsohne brachte man sie jetzt zu ihm. Möglicherweise war der UNACOM-Auftrag jedoch lediglich ein Deckmantel, um eigenmächtige Ziele zu verfolgen. Möglicherweise hatten die Soldaten die ganze Zeit schon darauf gelauert, den Amerikanern ihren Fund im Eis abzuluchsen. Jamil schien über das Zepter des Osiris im Bilde zu sein. Aber woher wusste er davon?
Was ihr dazu einfiel, war alles andere als erfreulich: Die Amerikaner in der Eisstation Orion waren alle vernichtet worden, die russischen Waffeninspekteure ebenso, und jetzt kontrollierten Zawas und seine bewaffnete Truppe die Stadt, bis amerikanische Unterstützung anrückte. Dann war es aber zu spät, um Zawas daran zu hindern, seine fragwürdige Mission auszuführen. Ganz zu schweigen von der weltweiten Naturkatastrophe, die bevorstand.
Der Hubschrauber legte sich nach rechts, sodass Serena die große Wasserstraße unten sehen konnte und dahinter, am Ende einer erhöhten Tempelanlage, eine riesige Stufenpyramide, die wie eine dunkle Festung aufragte. Jamil nannte sie in einem Gespräch mit dem Piloten ›Tempel des Wassermanns‹, und sie erwies ihrem Namen alle Ehre. An den Seiten stürzten zwei Wasserfälle herab, die so groß wie die Niagarafälle waren. Auf einem Vorsprung dazwischen war eine Art Lager errichtet.
Sie flogen über die abgeflachte Ostseite des Tempels zwischen den beiden gewaltigen Wasserfällen hindurch und setzten auf dem Landeplatz eine Stufe weiter unten auf. Als die Tür sich aufschob und die Soldaten ausstiegen, stellte Serena fest, dass die Wasserfälle die Ursache für das leise Grollen waren, das sie die ganze Zeit über in der Stadt gehört hatte. Die vibrierende Kraft des Wassers verursachte bei ihr ein unbehagliches Gefühl. Sie ahnte nichts Gutes.
Serena kletterte hinaus und blickte sich um. Auf beiden Seiten wanden sich zwei schmale, mit Stufen versehene Rampen nach unten. In der Mitte standen Kisten mit Ausrüstungsgegenständen. Weiter hinten, vor dem Eingang zum Tempel, befand sich ein Eisentor. Auf der Pyramidenspitze standen ein Kontrollturm und eine Flugabwehrkanone. Weiter oben musste es noch einen weiteren Landeplatz geben. Sie sah die Rotoren eines Hubschraubers über den Rand hervorstehen. Sie spähte über die Kante. Tief unter ihr standen Sandbuggys, und beim Wasserfall war sogar ein Schlauchboot mit Außenbordmotor festgebunden, wie es die SEALs der Navy benutzten. Wer auch immer diese Leute waren, sie waren gut vorbereitet und hatten offenbar genügend Geldmittel zur Verfügung.
Das behelfsmäßige Eisentor wurde geöffnet, und ein Mann kam lässig auf sie zu. Wie die anderen Soldaten trug auch er einen Kampfanzug der Vereinten Nationen. Der einzige Unterschied war, dass er keinen Helm und keine Rangabzeichen trug. Dennoch erkannte sie ihn sofort.
Es war Ali Zawas, Oberst der ägyptischen Luftwaffe, und Spross einer der bekanntesten Diplomatenfamilien des Landes. In New York geboren und aufgewachsen, hatte er seine Ausbildung an der U. S. Air Force Academy absolviert und war dann nach Kairo zurückgekehrt. Er war mehr Amerikaner als Ägypter. Sie war ihm gelegentlich bei UNO-Konferenzen und einmal auch an der Amerikanischen Universität von Kairo begegnet. Bei diesen offiziellen Anlässen war er allerdings immer in Paradeuniform aufgetreten und nicht in dem bedrohlichen Kampfanzug, den er jetzt trug. Normalerweise hatte er auch dunkles, lockiges Haar, jetzt aber einen kahl geschorenen Schädel.
Zawas blieb in der Mitte des Vorsprungs vor einer Gruppe Soldaten stehen. Jamil trat beflissen vor und salutierte. Zawas hob kurz die Hand. Er sah gut aus, hatte tief liegende Augen. Sie sprachen arabisch miteinander. Serena konnte nicht alles verstehen, aber Zawas verächtlicher Gesichtsausdruck sprach Bände.
Sein Blick schweifte über die Männer und blieb schließlich auf ihr ruhen. Schweigend starrte er sie an und sagte dann etwas zu Jamil, der daraufhin zu ihr kam, sie am Arm griff und sie vor sich herschubste. Sie kämpfte mit der aufkommenden Panik. Angst war das Letzte, was sie jetzt brauchen konnte. Sie nahm sich zusammen und versuchte, möglichst cool zu wirken.
Sie hielt den Kopf gesenkt, aber Zawas fasste sie am Kinn, sodass sie in seine dunklen Augen blicken musste. »Sollten Sie eine Atlantin sein«, sagte er auf Englisch, »dann befinden wir uns in der Tat im Paradies. Aber ich gehe mal davon aus, dass Sie Amerikanerin sind.«
Sie schüttelte den Kopf und sagte leise: »Nein, Oberst, ich bin aus Rom.«
Er brauchte eine Weile, um ihren Akzent zu registrieren. Er war sichtlich bewegt, als er sie schließlich erkannte. Ein aufrichtiges Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Schwester Serghetti? Was um alles in der Welt machen Sie denn hier?«
»Für Sie, Oberst, immer noch Doktor Serghetti. Ich wollte Ihnen gerade dieselbe Frage stellen«, sagte sie und blickte auf die Soldaten. »Sie glauben doch nicht etwa, ich nehme Ihnen ab, dass Sie im Auftrag der Vereinten Nationen hier sind?«
Zawas grinste. Es amüsierte ihn offensichtlich, dass sie die Fragen stellte. »Betrachten Sie uns als Abgesandte der arabischen Ölproduzenten, die durch alternative Energiequellen am meisten zu verlieren haben.« Er nahm sie am Arm und sagte beiläufig über seine Schulter hinweg: »An die Arbeit, Jamil.«
Jamil wartete, bis sie sich entfernt hatten, rief dann etwas Unverständliches, das sofort im Lärm der Soldaten unterging, die mit dem Aufbrechen der Kisten beschäftigt waren. Bohrer, Seismografen, Metalldetektoren, Sprengstoff.
Sie kamen zu der Treppe, die zur Eisentür und zum Tempeleingang führte. Zawas blieb stehen und wandte sich ihr stirnrunzelnd zu.
»Ich habe Sie zuerst tatsächlich nicht erkannt«, sagte er wie zur Entschuldigung. »Es ist schon lange her, dass wir uns gesehen haben, und auf den Titelseiten der Zeitschriften sehen Sie, nun ja, deutlich gepflegter aus.«
»Tut mir Leid, wenn ich Sie enttäusche.«
»Ich bitte Sie. Das bisschen Schmutz steht Ihnen gut.«
Sie betrachtete ihn genau. Gut aussehend und clever wie er war, konnte er, wenn er wollte, sicher auch nett sein.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Es macht sie menschlicher.« Er lächelte, öffnete das Tor und ließ sie hinein.
Der Raum war spärlich möbliert. Tisch, Stühle, ein Computer, ein Feldbett. Nachdem er die Tür zugemacht hatte, nahm er ihr den Rucksack ab und ließ ihn auf einen der Stühle fallen.
»Nehmen Sie doch Platz.«
Er rückte ihr den Stuhl zurecht und setzte sich dann ihr gegenüber hin.
Sie verschwendete keinen Augenblick. »Alternative Energie. Die wollen Sie also hier finden?«
»Nicht irgendeine Energiequelle, Doktor Serghetti, die Quelle! Die legendäre Sonnenenergie, die die Bewohner von Atlantis angeblich genutzt haben. Worauf sollten General Yeats und Doktor Yeats denn sonst aus sein?«
Das konnte Serena auch nicht sagen. Ihr Blick streifte unwillkürlich ihren Rucksack. Sie dachte an die Zeichnungen vom Obelisken, die sie in der Thermosflasche versteckt hatte. Sie musste unbedingt herausbekommen, warum Zawas glaubte, dass es sich bei der Antarktis um Atlantis handelte, und woher er von der kraftvollen ›Energiequelle‹ wusste.
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