Wieder herrschte Schweigen. Schließlich fragte Montclair:»Sie meinen, wir sollten weder den Rat der OAS konsultieren noch den CNR verständigen? Das werden die nicht mögen.«»Erstens werden sie nichts davon erfahren«, entgegnete Rodin gelassen.»Wenn wir die Idee allen vortragen wollten, wäre eine Plenarsitzung erforderlich. Das allein würde schon Aufmerksamkeit erregen und die Barbouzes zu verstärkter Tätigkeit veranlassen, um herauszubekommen, aus welchem Grund die Plenarsitzung einberufen wurde. Zudem kann nicht ausgeschlossen werden, daß womöglich irgendein Mitglied eines der beiden Räte nicht dichthält. Wenn wir andererseits jedes Mitglied einzeln aufsuchen wollten, würde es Wochen dauern, bis wir auch nur die grundsätzliche Zustimmung aller eingeholt hätten. Dann würden sie Einzelheiten wissen und über jede neue Planungsphase genauestens orientiert werden wollen. Sie wissen doch, wie diese verdammten Politiker und Komiteemitglieder sind. Sie wollen immer alles erfahren, bloß um mitreden zu können. Sie selbst tun überhaupt nichts, aber jeder einzelne von ihnen kann die gesamte Operation durch ein einziges Wort, das ihm in der Trunkenheit oder aus Unbedachtsamkeit entschlüpft, aufs schwerste gefährden.
Zweitens wären wir, falls der Plan die Billigung des gesamten Rats der OAS wie auch des CNR fände, darum in der Sache doch um keinen Schritt vorangekommen, aber nahezu dreißig Leute wüßten von ihr. Dagegen ständen wir, falls wir uns entschlössen, die Verantwortung selbst zu tragen, und die Sache ginge schief, deswegen doch nicht schlechter da als heute. Selbstverständlich hätten wir Beschuldigungen und Vorwürfe zu gewärtigen, aber mehr doch nicht. Gelingt der Plan jedoch, dann sind wir an der Macht, und niemand wird uns zu dem Zeitpunkt noch zur Rechenschaft ziehen wollen. Die Frage nach der genauen Art und Weise der Beseitigung des Diktators dürfte dann eine rein akademische geworden sein und nur noch die Historiker interessieren. Kurzum, sind Sie bereit, mir als einzige Mitarbeiter bei der Planung, Organisation und Ausführung des Unternehmens, das ich Ihnen soeben erläutert habe, zur Seite zu stehen?«
Wiederum blickten Casson und Montclair einander an, wandten die Köpfe dann Rodin zu und nickten. Es war das erste Mal, daß sie seit der drei Monate zuvor erfolgten Verschleppung Argouds mit ihm zusammentrafen. Als Argoud Stabschef war, hatte sich Rodin stets im Hintergrund gehalten. Jetzt erwies er sich seinerseits als nicht weniger profilierter Führer. Der Chef der Untergrundbewegung und der Schatzmeister waren beeindruckt.
Rodin blickte beide an, stieß langsam den Rauch seiner Zigarette aus und lächelte.
«Gut«, sagte er,»dann können wir uns jetzt den Einzelheiten zuwenden. Die Idee, einen professionellen Killer zu engagieren, kam mir an dem Tag, an dem ich über das Radio die Nachricht von dem Mord an dem armen Bastien-Thiry hörte. Seither habe ich nach dem Mann gesucht, den wir brauchen. Daß solche Leute schwer zu finden sind, versteht sich; sie machen keine Werbung, ich bin seit Mitte März auf der Suche gewesen, und das Ergebnis liegt hier vor.«
Er hielt drei Hefter hoch, die auf dem Tisch gelegen hatten. Neuerlich hoben Montclair und Casson die Brauen, wechselten einen Blick und schwiegen.
Rodin fuhr fort.»Ich halte es für das beste, wenn Sie die Dossiers jetzt lesen und wir dann anschließend unsere erste Wahl treffen könnten. Ich persönlich habe mir alle drei nach vorrangiger Eignung für den Fall notiert, daß der an erster Stelle Angeführte den Auftrag entweder nicht übernehmen kann oder nicht übernehmen will. Von jedem Dossier existiert nur ein Exemplar, so daß Sie sich in der Lektüre abwechseln müssen. «Er griff in den Ordner und entnahm ihm drei dünnere Akten, von denen er eine Montclair und eine Casson überreichte. Die dritte behielt er in der Hand, warf aber keinen Blick darauf, da er alle drei Akten genau kannte. Es gab wenig genug zu lesen, und wenn Rodin die Dossiers» kurz «genannt hatte, so war das eine deprimierend akkurate Bezeichnung gewesen. Casson hatte das ihm ausgehändigte Papier als erster durchgelesen, sah Rodin an und schnitt eine Grimasse.»Ist das alles?«
«Männer wie diese machen es einem nicht leicht, Einzelheiten über sie in Erfahrung zu bringen«, entgegnete Rodin.»Sehen Sie sich einmal den hier an. «Er reichte Casson das Dossier, das er in der Hand hielt.
Kurz darauf hatte auch Montclair seine Lektüre beendet und reichte das Dossier Rodin zurück, der ihm seinerseits dasjenige gab, welches Casson gerade gelesen hatte. Beide Männer vertieften sich neuerlich in das Studium der Papiere. Diesmal war es Montclair, der zuerst aufblickte. Er sah Rodin an und zuckte mit den Achseln.
«Nun — allzuviel läßt sich daraus nicht ersehen, aber von solchen Burschen haben wir bestimmt fünfzig auf Lager. Pistolenhelden kommen im Dutzend billiger…«Casson unterbrach ihn.
«Einen Augenblick. Warten Sie, bis Sie das hier gelesen haben. «Er schlug die letzte Seite auf und überflog die restlichen Sätze. Als er fertig war, schloß er den Ordner und blickte zu Rodin auf. Der OAS-Chef verriet mit keiner Miene, welche Wahl er selbst getroffen hatte. Er nahm das von Casson gelesene Dossier und reichte es Montclair weiter. Dann gab er Casson den dritten Hefter. Vier Minuten später hatten beide Männer die Lektüre beendet.
Rodin sammelte die Dossiers ein und legte sie auf den Tisch zurück. Er nahm den Stuhl mit der geraden Rückenlehne, drehte ihn herum, rückte ihn an die Gasheizung heran und setzte sich, die Arme auf der Lehne, rittlings darauf. In dieser Haltung wandte er sich an seine beiden Besucher.
«Nun, ich sagte Ihnen ja, daß der Markt klein ist. Es mag mehr Männer geben, die diese Art von Arbeit verrichten, aber ohne Zugang zu den Akten eines gut funktionierenden Geheimdienstes lassen sie sich verflucht schwer aufspüren. Und vermutlich dürften die besten ohnehin in keinerlei Akten zu finden sein. Sie haben alle drei Dossiers gelesen. Bezeichnen wir sie für den Augenblick lediglich als den Deutschen, den Südafrikaner und den Engländer. Andre?«
Casson zuckte mit den Achseln.»Für mich ist es keine Frage. Seinem Dossier zufolge — sofern es der Wahrheit entspricht — ist der Engländer den anderen haushoch überlegen.«»Rene?«
«Ich bin der gleichen Ansicht. Der Deutsche ist schon ein bißchen alt für eine solche Sache. Abgesehen von ein paar Jobs, die er gegen die Israelis im Auftrag der von ihnen gejagten Nazis erledigt hat, scheint er auf politischem Gebiet nicht allzu viele einschlägige Erfahrungen gesammelt zu haben. Zudem dürften seine Motive gegen die Juden persönlicher Art sein und daher nicht wirklich professionell. Der Südafrikaner mag sich darauf verstehen, Niggerpolitiker wie Lumumba abzuschlachten, aber das qualifiziert ihn noch lange nicht dazu, dem Präsidenten der Französischen Republik eine Kugel in den Leib zu schießen. Außerdem spricht der Engländer fließend Französisch.«
Rodin nickte nachdrücklich.»Ich hatte auch nicht angenommen, daß sich noch irgendwelche Zweifel ergeben würden. Noch bevor ich mit der Zusammenstellung der Dossiers fertig war, schien mir das Ergebnis der Wahl schon eindeutig festzustehen.«»Sind Sie sich, was diesen Engländer betrifft, auch ganz sicher?«fragte Casson.»Hat er diese Aufträge tatsächlich ausgeführt?«
«Ich war selbst überrascht«, sagte Rodin,»und habe deswegen zusätzliche Zeit auf ihn verwendet. Falls Sie absolute Beweise wollen — die gibt es nicht. Und wenn es sie gäbe, wäre das ein schlechtes Zeichen. Es würde bedeuten, daß er überall als unerwünschter Ausländer gelten müßte. Tatsächlich aber liegt nichts gegen ihn vor, was man ihm nachweisen könnte.
Es gibt nur Gerüchte; im übrigen ist seine Weste weiß wie Schnee. Selbst wenn die Briten ihn auf der Liste haben sollten, können sie hinter seinen Namen nur ein Fragezeichen setzen. Das genügt aber nicht, um ihn in die Akten der Interpol aufzunehmen. Und die Wahrscheinlichkeit, daß die englischen Behörden den SDECE auf einen solchen Mann aufmerksam machen würden, wäre selbst dann, wenn eine offizielle Anfrage vorläge, nur gering. Sie wissen, wie sehr die beiden Geheimdienste einander hassen. Selbst Bidaults Londoner Aufenthalt im letzten Januar erwähnten die Briten mit keiner Silbe. Nein, für einen Auftrag dieser Art bringt der Engländer alle Voraussetzungen und Vorzüge mit — mit Ausnahme eines einzigen.«»Und der wäre?«fragte Montclair rasch.»Ganz einfach. Er wird nicht billig sein. Ein Mann wie der kann viel Geld verlangen. Wie steht es um die Finanzen, Rene?«Montclair hob die Schultern.»Nicht allzu gut. Die Ausgaben sind ein bißchen zurückgegangen. Seit der Argoud-Affäre haben sich die CNR-Helden in billige Hotels verkrochen. Sie scheinen an Fünf-Sterne-Hotels und Fernsehinterviews keinen Gefallen mehr zu finden. Andererseits sind unsere Einnahmen äußerst spärlich geworden. Wie Sie bereits sagten, müssen wir etwas unternehmen, wenn wir nicht schon sehr bald wegen mangelnder Mittel am Ende sein wollen.«
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