»Würde es euch beiden etwas ausmachen, das so zu erklären, daß es auch der kapiert, der hier das Geld verdient?«
»Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um Störungen auf dem Markt von Hongkong zuzulassen, Mr. Webb, selbst - und vielleicht ganz besonders - seinem illegalen Markt. Störungen, die im Verein mit Gewalttätigkeit auftreten, vermitteln den Eindruck einer instabilen Regierung, wenn nicht sogar tieferreichender Instabilität. Jetzt ist nicht die Zeit, um den Expansionspolitikern in Rotchina noch mehr Munition zu liefern, als sie bereits haben.«
»Würden Sie das bitte genauer erklären?«
»Die Pachtverträge«, antwortete Marie leise. »Diese Verträge laufen in gut zehn Jahren aus, und deshalb wurden mit Peking neue Vereinbarungen ausgehandelt. Trotzdem ist jeder nervös, alles ist verunsichert, und es wäre besser, wenn niemand weitere Unruhe erzeugt. Alles hängt jetzt davon ab, daß Ruhe und Ordnung gewahrt werden und wenigstens der Anschein von Stabilität erhalten bleibt.«
David sah sie an, und dann wanderte sein Blick wieder zu McAllister zurück. Er nickte. »Ich verstehe. Ich habe gelesen, was in den Zeitungen stand ... aber sehr viel verstehe ich davon trotzdem nicht.«
»Die Interessen meines Mannes liegen anderswo«, erklärte Marie, zu McAllister gewandt. »Ihn interessieren die Menschen und ihre Zivilisationen.«
»Stimmt«, nickte Webb. »Und?«
»Mein Interesse gilt dem Geld, wie man mehr daraus macht, den Transaktionen, der Börse, den Märkten und ihren Schwankungen - der Stabilität oder dem Gegenteil. Und wenn es überhaupt etwas gibt, was das Geld schlechthin verkörpert, dann ist das Hongkong. Geld ist mehr oder weniger die einzige Ware, die es produziert. Einen anderen Daseinszweck hat es nicht. Ohne Geld würden seine Industrien sterben; und dann würde die Pumpe heißlaufen.«
»Und wenn Sie die Stabilität wegnehmen, dann haben Sie das Chaos«, fügte McAllister hinzu. »Und das ist der Vorwand, auf den die alten Kriegsherren in China warten: Die Volksrepublik marschiert ein, um das Chaos zu beseitigen, die Agitatoren zu unterdrücken, und es bleibt nichts übrig als ein schwerfälliger Riese, der den Lebensnerv der ganzen Kolonie zerstört. Die kühleren Köpfe in Beijing werden zugunsten aggressiverer
Elemente ignoriert, die durch militärische Kontrollen ihr Gesicht wahren wollen. Banken brechen zusammen, der Handel im pazifischen Raum wird gelähmt. Chaos.«
»Und das würde China tun?«
»Hongkong, Kowloon, Macao und all die Territorien sind Teil ihrer sogenannten >Großen Nation unter dem Himmele, das steht deutlich in den China vertragen. Das Ganze ist eine Einheit, und Asiaten dulden keine ungehorsamen Kinder, das wissen Sie.«
»Und Sie wollen mir sagen, daß ein Mann, der vorgibt, Jason Borowski zu sein, das tun kann - eine solche Krise herbeiführen? Das glaube ich Ihnen einfach nicht!«
»Ich gebe zu, daß das wie eine Räuberpistole klingt, aber losgehen könnte sie. Sehen Sie, er hat die Legende auf seiner Seite, das ist ein Faktor von geradezu hypnotischen Ausmaßen. Man schreibt ihm zahlreiche Morde zu, und wäre es nur, um die wahren Killer zu schützen - Verschwörer der fanatischen Rechten und Linken, die Borowskis tödliches Image als das ihre nutzen. Wenn Sie einmal darüber nachdenken, dann ist die Legende genau auf diese Weise geschaffen worden, nicht wahr? Jedesmal, wenn jemand von einiger Bedeutung irgendwo im Süden Chinas ermordet wurde, dann haben Sie als Jason Borowski dafür gesorgt, daß man Ihnen den Mord zuschrieb. Als zwei Jahre um waren, waren Sie berühmt und berüchtigt zugleich, wobei Sie tatsächlich doch nur einen Menschen getötet haben, einen betrunkenen Informanten in Macao, der versucht hat, Sie zu erdrosseln.«
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte David.
McAllister nickte mitfühlend. »Ja, das hat man mir gesagt. Aber begreifen Sie denn nicht, wenn mächtige Politiker ermordet werden - sagen wir, der Gouverneur der Krone oder ein Abgesandter aus China oder so -, dann gerät die ganze Kolonie in Aufruhr.« McAllister hielt inne und schüttelte müde den Kopf. »Das ist freilich unsere Sorge, nicht die Ihre, und ich kann Ihnen sagen, daß sich die besten Leute, die wir im Geheimdienst haben, damit befassen. Ihre Sorge hat Ihnen zu gelten, Mr. Webb. Und im Augenblick macht mein Gewissen das auch zu meiner Sorge. Sie müssen beschützt werden.«
»Man hätte nie zulassen dürfen, daß irgend jemand diese Akte bekommt«, sagte Marie mit eisiger Stimme.
»Wir hatten keine Wahl. Wir arbeiten mit den Briten eng zusammen; wir mußten beweisen, daß Treadstone erledigt war, abgetan. Daß Ihr Mann Tausende von Meilen von Hongkong entfernt war.«
»Und das haben Sie ihnen gesagt?« schrie Webbs Frau. »Wie konnten Sie es wagen?«
»Wir hatten keine Wahl«, wiederholte McAllister und rieb sich die Stirn. »Wenn es zu gewissen Krisen kommt, müssen wir zusammenarbeiten. Das können Sie doch ganz sicher begreifen.«
»Ich kann nur nicht begreifen, warum es überhaupt je eine Akte über meinen Mann gegeben hat!« sagte Marie wütend.
»Das war notwendig, weil entsprechende Einsätze durch den Kongreß finanziert wurden. Das verlangt das Gesetz.«
»Hören Sie doch auf!« sagte David zornig. »Da Sie so gut über mich Bescheid wissen, wissen Sie auch, woher ich komme. Sagen Sie, wo sind all diese Akten über Medusa?«
»Darauf kann ich keine Antwort geben«, erwiderte McAllister.
»Das haben Sie aber gerade«, sagte Webb.
»Dr. Panov hat Sie - besser gesagt, Ihre Leute - angefleht, alle Treadstone-Aufzeichnungen zu vernichten«, beharrte Marie. »Oder wenigstens falsche Namen zu benutzen. Aber nicht einmal das wollten Sie tun. Was für Menschen sind Sie eigentlich?«
»Ich hätte beides genehmigt!« sagte McAllister, plötzlich überraschend eindringlich. »Es tut mir leid, Mrs. Webb. Sie müssen mir verzeihen. Das war vor meiner Zeit ... Ich bin genau wie Sie sehr verärgert. Vielleicht haben Sie recht, vielleicht hätte es nie eine Akte geben dürfen. Es gibt Möglichkeiten -«
»Blödsinn!« unterbrach ihn David mit hohler Stimme. »Das Ganze ist Teil einer anderen Strategie, einer weiteren Falle. Sie wollen Carlos haben, und es ist Ihnen völlig egal, was für Mittel Sie dazu einsetzen, wenn Sie ihn nur bekommen.«
»Mir ist es nicht egal, Mr. Webb. Und das brauchen Sie mir auch nicht zu glauben. Was ist der Schakal schon für mich - oder die Abteilung Ferner Osten? Er ist ein europäisches Problem.«
»Wollen Sie damit sagen, daß ich drei Jahre meines Lebens damit verbracht habe, einen Mann zu jagen, der überhaupt nichts zu bedeuten hatte?«
»Nein, selbstverständlich nicht. Die Zeiten ändern sich, die Perspektiven ändern sich. Das ist alles manchmal so sinnlos.«
»Großer Gott!«
»Jetzt beruhige dich, David«, sagte Marie und musterte den Mann aus dem Außenministerium, der bleich in seinem Sessel saß und die Hände um die Lehnen gekrampft hatte. »Wir alle sollten uns etwas entspannen.« Und dann sah sie ihren Mann an, und ihr Blick ließ den seinen nicht los. »Heute nachmittag ist doch etwas passiert, oder?«
»Das erzähle ich dir später.«
»Natürlich.« Marie sah McAllister an. Sein Gesicht wirkte plötzlich müde und faltig, älter als noch vor wenigen Minuten.
»Alles, was Sie uns gesagt haben, läuft doch auf irgend etwas hinaus, oder?« fragte sie. »Da ist doch noch etwas, was Sie uns sagen wollen, oder?« »Ja, und es fällt mir nicht leicht. Bitte vergessen Sie nicht, daß man mir den Vorgang erst kürzlich übertragen hat und ich erst seit wenigen Tagen Einblick in Mr. Webbs geheime Akte hatte.«
»Schließt das seine Frau und seine Kinder in Kambodscha ein?«
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