»Weil er Geschäftsmann ist und es ein spektakulärer Mord war. Beginnen Sie jetzt zu begreifen?«
»Ich weiß nicht recht.«
»Für uns ist dieser neue Borowski der direkte Weg zu Sheng Chou Yang. Er ist unsere Falle. Jemand gibt sich als der legendäre Killer aus; aber wenn die Legende selbst den aufspürt, der seine Rolle spielt, und ihn erledigt, dann kann er auch an Sheng herankommen. In Wirklichkeit ist es sehr einfach. Der Jason Borowski, den wir geschaffen haben, wird an die Stelle dieses neuen Killers treten, der seinen Namen benutzt. Und sobald er seine Stelle eingenommen hat, schlägt unser Jason Borowski Alarm - irgend etwas Wichtiges ist geschehen, das Shengs ganze Strategie bedroht, und Sheng muß reagieren. Denn nichts zu tun, kann er sich nicht leisten, weil er auf absolute Sicherheit angewiesen ist, und darauf, daß seine Hände sauber bleiben. Er wird sich zeigen müssen, und wäre es nur, um seinen bezahlten Meuchelmörder zu töten, um alle Spuren seiner Verbindung zu ihm zu tilgen. Und wenn er das tut, sind wir am Ziel und haben erreicht, was wir wollen.«
»Aber damit drehen Sie sich doch im Kreise«, sagte McAllister so leise, daß man ihn kaum hören konnte, und starrte dabei den Diplomaten an. »Und nach allem, was Sie gesagt haben, wird Webb sich nicht darauf einlassen.«
»Dann müssen wir ihm ein überwältigendes Motiv dafür liefern«, sagte Havilland ruhig. »In meinem Beruf - und offen gestanden war das immer mein Beruf - suchen wir Muster, Schemata - Dinge, mit denen man einen Menschen beeinflussen kann.« Mit gerunzelter Stirn und hohlen, leeren Augen lehnte sich der alte Botschafter in seinem Sessel zurück; man konnte sehen, daß er sich für das verachtete, was er tun mußte. »Manchmal sind das häßliche Erkenntnisse, widerwärtig sogar -aber man muß den größeren Nutzen abwägen. Für jeden.«
»Das sagt mir überhaupt nichts.«
»David Webb wurde aus demselben Grund zu Jason Borowski, der ihn zu Medusa trieb. Man hat ihm seine Frau genommen; seine Kinder und die Mutter seiner Kinder sind getötet worden.«
»Oh, mein Gott!«
»Hier darf ich mich verabschieden«, sagte Reilly und erhob sich aus seinem Sessel.
Marie, großer Gott, Marie, es ist wieder passiert! Es war, als hätte sich eine Schleuse geöffnet, und ich wurde nicht damit fertig. Ich habe es versucht, meine Liebste. Ich habe mir solche Mühe gegeben, aber ich wurde weggespült und wäre beinahe ertrunken! Ich weiß, was du sagen wirst, wenn ich es dir erzähle, und deshalb werde ich es dir nicht erzählen, obwohl ich weiß, du wirst es in meinen Augen sehen, es in meiner Stimme hören - irgendwie wirst du das, so wie nur du das kannst. Du wirst sagen, ich hätte zu dir heimkommen müssen, mit dir sprechen, mit dir Zusammensein, damit wir gemeinsam damit fertig werden. Gemeinsam! Mein Gott! Wieviel kannst du eigentlich ertragen? Wie unfair kann ich sein, wie lange kann das noch so weitergehen? Ich liebe dich so sehr, in vieler
Hinsicht, daß es einfach Zeiten gibt, wo ich es allein tun muß. Und wenn es nur wäre, um dich einmal eine Weile aus der Verantwortung zu entlassen, um dich eine Weile zu Atem kommen zu lassen, ohne daß deine Nerven bis zum Zerreißen gespannt sind und du dich um mich kümmern mußt. Aber siehst du, meine Liebe, ich kann es tun! Ich habe es heute abend getan, und ich bin immer noch in Ordnung. Ich habe mich jetzt beruhigt. Ich bin in Ordnung. Und jetzt werde ich zu dir nach Hause zurückkehren, besser, als ich war. Das muß ich, weil es ohne dich nichts gibt, das mir bleibt.
Das Gesicht schweißüberströmt, rannte David Webb mit einem Trainingsanzug, der ihm am Körper klebte, atemlos durch das kalte Gras des Sportplatzes, an den Tribünen vorbei und den Asphaltweg auf die Turnhalle der Universität zu. Die Herbstsonne war hinter den Universitätsgebäuden verschwunden, und ihr Glühen hing noch jenseits der fernen Wälder von Maine und tauchte den Abendhimmel in rötliches Feuer. Herbstliche Kühle lag in der Luft, und er fröstelte. Seine Ärzte würden das nicht erfahren dürfen.
Dennoch hatte er im wesentlichen ihren Rat befolgt. Die Ärzte der Regierung hatten ihm gesagt, wenn es dazu kommen sollte - und es würde dazu kommen -, daß plötzlich in seinem Bewußtsein quälende Bilder oder Erinnerungsfetzen auftauchten, er am besten damit fertig würde, wenn er sich bis zur Erschöpfung auspumpte. Sein EKG zeigte, daß er ein gesundes Herz hatte, seine Lungen waren in Ordnung, wenn er auch unvernünftigerweise rauchte. Und da sein Körper also belastbar war, wäre dies die beste Methode, sein seelisches Gleichgewicht zu erhalten. Was er in solchen Zeiten brauchte, war Gelassenheit.
»Was ist denn gegen ein paar Drinks und Zigaretten einzuwenden?« hatte er zu den Ärzten gesagt, um keinen Zweifel daran zu lassen, daß er Trinken und Rauchen eigentlich vorgezogen hätte. »Das Herz schlägt schneller, der Körper leidet nicht darunter, und für das seelische Gleichgewicht ist es ganz sicher das Beste.«
»Das sind künstliche Aufputschmittel«, hatte der einzige Mann gesagt, auf den er wirklich hörte. »Und die führen nur zu noch mehr Depressionen, und Ihre Angst wächst. Nein, laufen Sie, schwimmen Sie, machen Sie Liebe mit Ihrer Frau - oder sonst jemandem. Seien Sie bloß kein Narr und kommen Sie hierher auf einer Bahre zurück ... Vergessen Sie sich selbst und denken Sie an mich. Ich habe mir Mühe mit Ihnen gegeben, also seien Sie nicht undankbar. Verschwinden Sie hier, Webb! Führen Sie Ihr Leben weiter - das, woran Sie sich daraus erinnern können - und genießen Sie es! Sie haben es besser als die meisten, das sollten Sie nie vergessen, sonst können wir uns unsere gemeinsamen monatlichen Exzesse nicht mehr leisten, und Sie können zum Teufel gehen! Und obwohl mir das gleichgültig wäre, würden die mir fehlen ... Gehen Sie, David! Für Sie ist jetzt Zeit.«
Außer Marie war Morris Panov der einzige, der so zu ihm reden konnte. Das war erstaunlich, denn zunächst war Mo keiner der Regierungsärzte gewesen; der Psychiater hatte sich offiziell weder für Einzelheiten aus David Webbs Vorgeschichte interessiert, noch hatte man ihm die Unbedenklichkeitsbescheinigung angeboten, die er gebraucht hätte, um herauszufinden, wie man sich der Lüge Jason Borowski entledigt hatte. Dafür hatte Panov alle möglichen peinlichen Enthüllungen angedroht, falls man ihm die Mitwirkung bei der Therapie nicht gestattet hätte. Seine Gründe waren einfach: Als David nämlich um ein Haar von falsch informierten Männern umgebracht worden wäre, war er, Panov, die Quelle der Falschinformation gewesen, ohne das im entferntesten zu wollen, und das hatte ihn wütend gemacht. Jemand, der nicht zur Panik neigte, war voll Panik zu ihm gekommen und hatte ihm >hypothetische< Fragen bezüglich eines vielleicht aus dem seelischen Gleichgewicht geratenen Untergrundagenten in einer Streßsituation gestellt. Die Ratschläge, die er darauf erteilt hatte, waren zurückhaltend und vorsichtig gewesen; er konnte für einen Patienten, den er nie gesehen hatte, keine Diagnose stellen und würde das auch nie tun - aber möglich war das sicher und auch nicht neu. Nur daß man selbstverständlich ohne körperliche und psychiatrische Untersuchung nichts Konkretes sagen konnte. Aber er hätte überhaupt nichts sagen sollen! Denn seine Worte hatten im Bewußtsein von Amateuren die Anordnung für Webbs Exekution - Jason Borowskis Todesurteil - besiegelt. Ein Akt, der buchstäblich im letzten Augenblick durch Davids eigenes Handeln verhindert worden war, während das Hinrichtungskommando immer noch auf seinem unsichtbaren Posten war.
So war Morris Panov nicht nur im Walter-Reed-Hospital und später auch in dem Ärztezentrum in Virginia in Erscheinung getreten, sondern er hatte die Führung übernommen. Dieser Arsch hat Amnesie, ihr Idioten! Seit Wochen versucht er, euch das in ganz klaren Worten begreiflich zu machen - aber das ist wahrscheinlich für eure Eierköpfe zu hoch.
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