»Du hast kein miserables Buch geschrieben. Du hast ein krötenwürdiges Buch geschrieben. Ein Vierkrötenbuch, wobei vier die höchsterreichbare Stufe ist. Diese Schale können wir uns genau deshalb leisten, weil du >Shadrach< geschrieben hast. Dein neuer Roman ist ausgezeichnet, Laura, weit besser als dein erster. Dieses Buch ist, was du bist, und es leuchtet.«
In ihrer Aufregung und weil sie es so eilig hatte, ihn zu umarmen, hätte sie die Dreitausenddollarschale beinahe fallen lassen.
6
Die Fahrbahn verschwand jetzt unter einer dünnen Neuschneedecke. Der Jeep hatte Allradantrieb und Schneeketten, so daß Stefan trotz der schlechten Straßenverhältnisse einigermaßen schnell vorankam.
Aber nicht schnell genug.
Nach seiner Schätzung war das Restaurant, vor dem er den Jeep gestohlen hatte, rund 20 Kilometer vom Haus der Pa-ckards entfernt, das einige Kilometer südlich von Big Bear nahe der Staatsstraße 330 stand. Die schmalen Bergstraßen waren kurvenreich und wiesen starke Steigungen und Gefällestrecken auf. Im Schneesturm war die Sicht so schlecht, daß seine Durchschnittsgeschwindigkeit bestenfalls 60 Stundenkilometer betrug. Er durfte jedoch nicht schneller fahren, denn Laura, Danny und Chris hatten überhaupt nichts davon, wenn er die Kontrolle über den Jeep verlor, von der Straße abkam und in den Tod stürzte. Bei dieser Geschwindigkeit würde er ihr Haus jedoch frühestens zehn Minuten nach ihrer Abfahrt erreichen.
Ursprünglich hatte er sie zu Hause festhalten wollen, bis die Gefahr vorüber war. Dieses Vorhaben ließ sich jetzt nicht mehr verwirklichen.
Der Januarhimmel schien von der Schneelast so tief herabgedrückt zu werden, daß es aussah, als berühre er die Wipfel der auf beiden Seiten der Straße aufragenden Baumriesen. Sturmböen schüttelten die Bäume und ließen selbst den Jeep erzittern. Schnee setzte sich an den Scheibenwischern fest und wurde rasch zu Eis. Stefan stellte die höchste Stufe der Scheibenheizung an und beugte sich nach vorn, um besser durch die unzulänglich von Eis und Schnee freigehaltene Scheibe sehen zu können.
Beim nächsten Blick auf seine Uhr stellte er fest, daß ihm weniger als eine Viertelstunde Zeit blieb. Laura, Danny und Chris stiegen jetzt in ihren Chevrolet Blazer. Vielleicht rollte der Wagen bereits aus der Einfahrt.
Er würde sie in letzter Sekunde vor dem Tod auf der Straße abfangen müssen.
Stefan bemühte sich, etwas mehr Geschwindigkeit aus dem Jeep herauszuholen, ohne aus einer Kurve getragen zu werden und in einen Abgrund zu stürzen.
7
Am 15. August 1979, fünf Wochen nach dem Tag, an dem Danny ihr die Lalique-Schale geschenkt hatte, stand Laura mittags in der Küche und machte sich eine Dose Hühnersuppe heiß, als ihr New Yorker Agent Spencer Keene anrief. Viking waren von »Shadrach« ganz begeistert und boten hunderttausend.
»Dollar?« fragte Laura.
»Natürlich Dollar«, sagte Spencer. »Denken Sie etwa Rubel? Was würden Sie dafür kriegen - vielleicht ‘ne Pelzmütze?«
»O Gott.« Sie mußte sich festhalten, weil sie plötzlich weiche Knie hatte.
»Laura, meine Liebe«, fuhr Spencer fort, »Sie müssen wissen, was am besten für Sie ist, aber wenn Viking nicht bereit sind, die hunderttausend als ihr Mindestangebot bei einer Auktion stehenzulassen, möchte ich Ihnen raten, dieses Angebot abzulehnen.«
»Hunderttausend Dollar ablehnen?« fragte sie ungläubig.
»Ich möchte das Manuskript an sechs, acht weitere Verlage schicken, einen Versteigerungstag festsetzen und abwarten, was dann passiert. Ich kann mir vorstellen, was passieren wird, Laura, weil ich glaube, daß allen das Buch so gut gefallen wird wie mir. Andererseits ... vielleicht auch nicht. Das ist eine schwierige Entscheidung, die Sie nur nach reiflicher Überlegung treffen sollten.«
Sobald Spencer aufgelegt hatte, rief Laura Danny im Büro an und berichtete ihm von dem Angebot.
»Wenn sie kein Mindestgebot daraus machen wollen, würde ich an deiner Stelle ablehnen«, riet er ihr.
»Aber können wir uns das leisten, Danny? Ich meine, mein Wagen ist elf Jahre alt und fällt fast auseinander. Und deiner ist schon fast vier Jahre alt ...«
»Hör zu: Was habe ich dir über dieses Buch gesagt? Habe ich dir nicht erklärt, daß du dieses Buch bist, daß es ein Spiegel deiner selbst ist?«
»Das ist lieb von dir, aber ...«
»An deiner Stelle würde ich das Angebot ablehnen. Hör zu, Laura, du glaubst natürlich, daß es eine Verhöhnung aller Schicksalsgötter bedeutet, hundert Mille abzulehnen - daß du ihren Zorn damit geradezu herausforderst. Aber du hast dir diesen großen Erfolg verdient, und das Schicksal wird dich nicht darum betrügen.«
Laura rief Spencer Keene an und teilte ihm ihre Entscheidung mit.
Nervös, aufgeregt und den 100 000 Dollar bereits nachtrauernd, ging sie in ihr Arbeitszimmer zurück, setzte sich an die Schreibmaschine und starrte die unfertige Kurzgeschichte eine Zeitlang an, bis ein starker Geruch nach Hühnersuppe sie daran erinnerte, daß sie die Herdplatte eingeschaltet gelassen hatte.
Laura hastete in die Küche und stellte fest, daß die Suppe bereits zu drei Vierteln verkocht und der Topfboden mit festgebrannten Nudeln bedeckt war.
Um 14.10 Uhr - 17.10 Uhr New Yorker Zeit - rief Spencer erneut an, um zu berichten, daß Viking damit einverstanden seien, die 100 000 Dollar als Mindestgebot stehen zu lassen. »Weniger als hundert Mille können Sie also mit >Shadrach< nicht verdienen. Ich habe die Auktion für den 26. September angesetzt. Ihr Buch wird ein Renner, Laura, das spüre ich!«
Für den Rest des Nachmittags versuchte sie, sich darüber zu freuen, aber ihre Befürchtungen blieben. Unabhängig davon, was bei der Versteigerung passierte, war »Shadrach« bereits ein großer Erfolg. Laura hatte keinen Grund zur Angst, konnte ihre Befürchtungen aber trotzdem nicht abschütteln.
Danny kam an diesem Tag mit einem Rosenstrauß, einer Flasche Champagner und einer Schachtel Godiva-Pralinen nach Hause. Sie saßen auf dem Sofa, tranken den Champagner, knabberten Pralinen und sprachen über die in hellem Glanz vor ihnen liegende Zukunft. Die Ängste blieben.
»Ich will weder Rosen noch Champagner noch Pralinen noch hunderttausend Dollar, sondern dich«, sagte sie schließlich. »Komm, wir gehen ins Bett, Danny.«
Sie liebten sich lange. Die Spätsommersonne ging vor den Schlafzimmerfenstern unter und wurde von einer sternenklaren Nacht abgelöst, bevor sie sich widerstrebend voneinander trennten. In der Dunkelheit neben Laura liegend, küßte Danny zärtlich ihre Brüste, ihre Kehle, ihre Augen und zuletzt ihre Lippen. Sie spürte, daß ihre Ängste verflogen waren. Vertrauliche Intimität, das Wissen, geliebt zu werden, und das Bewußtsein gemeinsamer Hoffnungen und Träume und Lebenspfade waren die eigentliche Medizin gewesen: Das große, gute Gefühl, eine Familie zu sein, das sie mit Danny gemeinsam hatte, war ein Talisman gegen alle Unbilden des Schicksals.
Den 26. September, einen Mittwoch, nahm Danny sich frei, um bei Laura zu sein, wenn die Meldungen aus New York eingingen.
Um 7.30 Uhr - 10.30 Uhr New Yorker Zeit - rief Spencer Keene an, um zu berichten. Random House habe das erste höhere Angebot abgegeben. »Hundertfünfundzwanzigtausend Dollar. Und damit geht’s erst los!«
Zwei Stunden später rief Spencer erneut an. »Jetzt sind alle beim Mittagessen, deshalb herrscht im Augenblick eine Flaute. Wir sind bei dreihundertfünfzigtausend - und sechs Verlage bieten noch mit.«
»Dreihundertfünfzigtausend?« wiederholte Laura.
Danny, der in der Küche das Frühstücksgeschirr abwusch, ließ einen Teller fallen.
Als sie den Hörer auflegte und zu Danny aufsah, fragte er grinsend: »Täusche ich mich, oder geht’s dabei um das Buch, das du für großen Mist gehalten hast?«
Читать дальше