»Vielleicht erlebe ich in Zukunft keine Tragödien mehr«, sagte Laura.
Thelma starrte sie prüfend an. »Wow! Ich kenne dich, Shane, und weiß, daß du dir darüber im klaren bist, welches gewaltige emotionale Risiko du eingehst, wenn du dir auch nur wünschst, so glücklich zu sein. Ich hoffe, daß du recht behältst, Schätzchen, und wette, daß es so ist. Ich wette, in Zukunft gibt es keine Blitze mehr für dich!«
»Danke, Thelma.«
»Und ich glaube, daß dein Danny ein Schatz ist. Aber ich will dir noch was sagen, das weit mehr zählt als bloß meine Meinung: Er hätte auch Ruthie gefallen; sie hätte ihn für einen Traummann gehalten.«
Sie hielten einander fest umarmt und waren einen Augenblick lang wieder kleine Mädchen - trotzig, aber verwundbar, selbstbewußt frech und zugleich voller Angst vor dem blinden Schicksal, das ihre gemeinsame Jugend geformt hatte.
Als sie am Sonntag, dem 24. Juli, nach einer einwöchigen Hochzeitsreise nach Santa Barbara wieder im Appartement in Tustin waren, kauften sie Lebensmittel ein und bereiteten sich gemeinsam ihr Abendessen zu: gemischten Salat, Sauerteigbrot, fertige Hackfleischklößchen aus dem Mikrowellenherd und Spaghetti. Laura hatte ihre Wohnung aufgegeben und war einige Tage vor der Hochzeit bei Danny eingezogen. Ihr gemeinsam ausgearbeiteter Plan sah vor, daß sie noch zwei, drei Jahre dort wohnen würden. (Sie hatten so häufig und so detailliert über ihre Zukunft gesprochen, daß der Plan ihnen jetzt wie ein kosmisches Betriebshandbuch vorkam, das ihnen zur Hochzeit übergeben worden war und auf das sie sich in bezug auf ihr Schicksal als Ehepaar blind verlassen konnten.) In zwei bis drei Jahren würden sie sich die Anzahlung für das richtige Haus leisten können, ohne Dannys Portefeuille angreifen zu müssen, und dann von hier ausziehen.
Sie aßen an dem kleinen Tisch in der Eßnische neben der Küche, von der aus sie in der goldenen Spätnachmittagssonne die Königspalmen im Innenhof sehen konnten, und besprachen den Kernpunkt ihres Plans, der daraus bestand, daß Danny sie beide ernähren würde, während Laura zu Hause ihren ersten Roman schrieb. »Wenn du dann reich und berühmt bist«, sagte er und wickelte Spaghetti auf seine Gabel, »gebe ich meinen Job auf und beschäftige mich nur noch damit, dein Vermögen zu verwalten.«
»Was ist, wenn ich nie reich und berühmt werde?«
»Das wirst du bestimmt.«
»Wenn ich nicht einmal einen Verleger finde?«
»Dann lasse ich mich scheiden.«
Sie warf mit einem Stück Brotrinde nach ihm. »Schuft!«
»Hexe!«
»Möchtest du noch etwas Fleisch?«
»Nicht, wenn du damit nach mir wirfst!«
»Mein Zorn ist verraucht. Ich mache gute Hackfleischklößchen, stimmt’s?«
»Sogar sehr gute«, bestätigte er.
»Findest du nicht auch, daß das gefeiert werden muß - daß du eine Frau hast, die gute Hackfleischklößchen macht?«
»Natürlich muß das gefeiert werden.«
»Komm, wir lieben uns.«
»Hier beim Abendessen?« fragte Danny überrascht.
»Nein, im Bett.« Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf.
»Komm schon! Das Essen läßt sich wieder aufwärmen.«
In diesem ersten Ehejahr liebten sie sich oft, und Laura fand in diesem körperlichen Zusammensein mehr als sexuelle Erfüllung, etwas, das weit mehr war, als sie erwartet hatte. Wenn sie mit Danny zusammen war, fühlte sie sich ihm so nahe, daß sie manchmal glaubte, völlig eins mit ihm zu sein - ein Körper, ein Verstand, ein Geist, ein Traum. Gewiß, sie liebte ihn von Herzen, aber dieses Gefühl, mit ihm eins zu sein, war mehr als Liebe - oder zumindest anders. Als sie ihre ersten gemeinsamen Weihnachten feierten, wußte sie, daß ihr Zusammengehörigkeitsgefühl auf dem lange entbehrten Bewußtsein basierte, Teil einer Familie zu sein: Danny war ihr Ehemann, sie war seine Ehefrau, und sie würden eines Tages - dem Plan nach in zwei, drei Jahren - Kinder haben, und im Schütze dieser Familie genoß sie den Frieden, den es sonst nirgends gab.
Laura hatte gedacht, tagaus, tagein glücklich, harmonisch und umsorgt zu leben und zu arbeiten müsse zu geistiger Lethargie führen, unter der ihre schriftstellerische Arbeit leiden werde, weil sie ein unausgeglichenes Leben mit Krisen und Depressionen brauche, um nicht zu erschlaffen. Aber die Vorstellung von der leiden müssenden Künstlerin war bloß ein naiver, angelesener Kinderglaube. Je glücklicher sie war, desto besser schrieb sie.
Sechs Wochen vor ihrem ersten Hochzeitstag schloß Laura ihren ersten Roman »Die Nächte von Jericho« ab und schickte ihn dem New Yorker Literaturagenten Spencer Keene, der ihre erste Anfrage einen Monat zuvor positiv beantwortet hatte. Zwei Wochen später rief Keene an, um mitzuteilen, er übernehme die Verwertung des Buches, rechne damit, die Rechte rasch zu verkaufen, und halte Laura für eine begabte Romanautorin mit großer Zukunft. Zur Überraschung des Agenten kaufte Viking, gleich der erste Verlag, dem Keene die Rechte angeboten hatte, das Buch für bescheidene, aber durchaus achtbare 15 000 Dollar, und der Vertrag wurde am Freitag, dem 14. Juli, unterzeichnet - zwei Tage vor Lauras und Dannys Hochzeitstag.
4
Das Gebäude, das er von der Straße aus entdeckt hatte, war ein Restaurant, das unter gewaltigen Ponderosa-Kiefern versteckt stand. Die mächtigen Äste der über sechzig Meter hohen Baumriesen mit ihrer tief zerfurchten Rinde trugen 15 Zentimeter lange Zapfen und bogen sich unter der Last früherer Schneefälle. Sie schützten das ebenerdige Blockhaus so gut, daß dessen Schieferdach mehr mit Kiefernadeln als mit Schnee bedeckt war. Die Fenster waren beschlagen oder mit Eisblumen überzogen, und das ins Freie fallende Licht wirkte durch diese dünne Schicht auf dem Glas angenehm warm.
Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude standen zwei Jeeps, zwei Lieferwagen und ein Thunderbird. Stefan war froh, daß niemand ihn aus dem Restaurant sehen konnte, als er an einen der Jeeps trat, den Wagen unabgesperrt vorfand, sich hineinsetzte und die Tür schloß.
Er zog seine 9,65-mm-Pistole Walther PPK/S aus dem Schulterhalfter, den er unter seiner Seemannsjacke trug, und legte sie auf den Beifahrersitz.
Seine Füße schmerzten vor Kälte, und er hätte sich am liebsten die Zeit genommen, den Schnee aus seinen Stiefeln zu kippen. Aber er war bereits in Zeitnot und durfte keine Minute verlieren. Außerdem waren seine Füße nicht erfroren, solange er sie noch spürte; vielleicht wurden sie unter der Autoheizung wieder warm.
Der Zündschlüssel steckte nicht. Stefan schob den Fahrersitz zurück, beugte sich vor, und es gelang ihm verblüffend schnell, die Zündung kurzzuschließen.
Stefan hatte sich eben wieder aufgerichtet, als der Jeepbesit-zer, dem eine deutliche Bierfahne vorauswehte, die Wagentür aufriß. »He, was haben Sie in meinem Wagen zu suchen?«
Der Parkplatz dahinter war menschenleer. Die beiden waren im Schneetreiben allein.
Laura hatte nur noch 25 Minuten zu leben.
Die Fäuste des Jeepbesitzers packten zu. Stefan ließ sich hinter dem Lenkrad hervorziehen, griff dabei nach seiner Pistole und warf sich dem Mann sogar entgegen, so daß der andere auf dem vereisten Parkplatz rückwärtstaumelte. Beide gingen zu Boden. Stefan war obenauf und rammte dem Mann die Mündung seiner Waffe unters Kinn.
»Jesus, Mister! Nicht schießen!«
»Wir stehen jetzt auf. Langsam, verdammt noch mal, keine plötzlichen Bewegungen!«
Als sie wieder auf den Beinen waren, trat Stefan rasch hinter den Mann, faßte seine Walther am Lauf und schlug einmal zu: so fest, daß der andere das Bewußtsein verlor, aber nicht fest genug, um ihn ernstlich zu verletzen. Der Jeepbesitzer ging erneut zu Boden und blieb schlaff liegen.
Stefan sah sich um. Sie waren noch immer allein.
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