Er hörte keinen Verkehr auf der Straße, aber im Heulen des Sturms konnte das Motorengeräusch eines herankommenden Wagens sehr wohl untergehen.
Der Schnee fiel dichter. Stefan steckte die Pistole in eine seiner tiefen Jackentaschen und schleifte den Bewußtlosen zum nächsten Wagen. Auch der Thunderbird war nicht abgeschlossen. Er hievte den Mann auf den Rücksitz, schloß die Tür und hastete zum Jeep zurück.
Der Motor war abgestorben. Stefan schloß die Zündung nochmals kurz.
Als Stefan auf die Straße hinausfuhr, pfiff eisiger Wind durch das einen Spalt weit offene Fenster. Der Schneefall wurde zum Blizzard, der Wind wirbelte Schneewolken auf, die im Scheinwerferlicht funkelnd über die Fahrbahn stoben. Die riesigen, in Schatten gehüllten Kiefern ächzten schwankend im Sturm. Laura hatte nur noch etwas über 20 Minuten zu leben.
5
Den Vertragsabschluß für »Die Nächte von Jericho« und das ungewöhnlich harmonisch verlaufene erste Ehejahr feierten sie, indem sie ihren Hochzeitstag in Disneyland verbrachten, das sie beide liebten. Der Himmel war wolkenlos blau, die Luft heiß und trocken. Ohne sich von dem sommerlichen Massenansturm stören zu lassen, fuhren sie mit den Karibikpiraten, ließen sich mit Mickymaus fotografieren, von einem Karikaturisten zeichnen, aßen Hot Dogs, Eiscreme und gefrorene Bananen mit Schokoladeguß und tanzten abends zur Musik einer Dixie-Band auf dem New Orleans Square.
Nach Einbruch der Dunkelheit wurde der Vergnügungspark erst recht zu einem Zauberland, und sie umfuhren zum drittenmal, eng umschlungen an der Reling auf dem Oberdeck stehend, mit dem Schaufelraddampfer Tom Sawyers Insel. »Weißt du, weshalb Disneyland uns so gut gefällt?« fragte Danny. »Weil es von dieser Welt ist, aber trotzdem nicht von ihr verdorben.«
Als sie später am Carnation-Pavillon an einem Tisch unter Bäumen mit weißen Lichterketten Eis mit Früchten aßen, meinte Laura nachdenklich: »Fünfzehntausend Dollar für ein Jahr Arbeit ... nicht gerade ein Vermögen.«
»Aber auch kein Hungerlohn.« Danny schob seinen Eisbecher beiseite, beugte sich nach vorn, schob auch Lauras Eis zur Seite und griff nach ihrer Hand. »Du machst bestimmt viel Geld, weil du brillant bist, aber mir geht’s nicht um Geld, mir geht’s darum, daß du etwas Besonderes hast, das du mit mir teilst. Nein, das ist nicht ganz, was ich meine. Du hast nicht nur etwas Besonderes, du bist etwas Besonderes. Und obwohl ich’s nicht recht erklären kann, weiß ich, daß dein Wesen anderen Menschen, denen du dich mitteilst, ebensoviel Freude und Hoffnung bringen kann wie mir.«
In ihren Augen standen plötzlich Tränen. »Ich liebe dich«, flüsterte sie.
»Die Nächte von Jericho« erschienen zehn Monate später -im Mai 1979. Danny hatte darauf bestanden, daß Laura ihren Mädchennamen benützte, weil er wußte, daß sie in den schlimmen Jahren im McIllroy Home und in Caswell Hall stets ein Ziel vor Augen gehabt hatte: das Vermächtnis ihres Vaters, und vielleicht auch ihrer Mutter, die sie nie gekannt hatte, zu erfüllen: erwachsen zu werden und Erfolg zu haben. Der Roman verkaufte sich mäßig gut, wurde von keinem Buchklub ins Programm genommen, aber für eine geringe Lizenzgebühr von einem Taschenbuchverlag erworben.
»Das spielt keine Rolle«, versicherte Danny ihr. »Erfolg braucht Zeit. Er kommt, weil du bist, was du bist.«
Inzwischen arbeitete Laura längst an »Shadrach«, ihrem zweiten Roman. Sie schrieb an sechs Tagen in der Woche je zehn Stunden lang und wurde im Juli mit dem Buch fertig.
An einem Freitag schickte sie eine Kopie an Spencer Keene in New York ab und gab Danny das Original. Er sollte ihren Roman als erster lesen. Er hörte an diesem Tag früher zu arbeiten auf, begann gegen 13 Uhr in seinem Sessel im Wohnzimmer zu lesen, zog dann ins Schlafzimmer um, schlief nur vier Stunden und hatte, als er am Samstagmorgen schon um acht Uhr wieder in seinem Sessel saß, bereits zwei Drittel des Typoskripts gelesen. Aber er war nicht bereit, darüber zu sprechen. »Erst wenn ich fertig bin. Es wäre dir gegenüber unfair, ein Urteil abzugeben, bevor ich weiß, worauf du hinauswillst, und es wäre auch mir gegenüber unfair, weil du mir bei einer Diskussion bestimmt irgendwas von der weiteren Handlung verraten würdest.«
Laura beobachtete ihn zwischendurch heimlich, um zu sehen, ob er die Stirn runzelte, lächelte oder sonstwie auf die Story reagierte, und wenn er reagierte, fürchtete sie, es könnte eine falsche Reaktion sein. Um 10.30 Uhr hielt sie es zu Hause nicht mehr aus, fuhr zur South Coast Plaza, schmökerte in Buchhandlungen, aß früh zu Mittag, obwohl sie gar keinen Hunger hatte, fuhr zur Westminster Mall, machte einen Schaufensterbummel, aß ein Joghurteis, fuhr zur Orange Mall weiter, sah sich in einigen Boutiquen um, kaufte Fondants und aß die Hälfte davon. »Ab nach Hause, Shane«, sagte sie zu sich, »sonst siehst du abends wie ein Double von Orson Welles aus!«
In der Tiefgarage der Wohnanlage sah sie, daß Dannys Wagen nicht da war. Als sie die Wohnung betrat, rief sie seinen Namen, ohne eine Antwort zu bekommen.
Das Typoskript von »Shadrach« lag auf dem Eßtisch.
Laura sah sich nach einer kurzen Mitteilung Dannys um. Sie fand keine.
»Großer Gott!« sagte sie.
Ihr Buch war miserabel. Es war schaurig schlecht. Es war eine Katastrophe. Der arme Danny war irgendwo hingegangen, um sich mit einem Bier Mut anzutrinken, damit er imstande wäre, ihr zu raten, sie solle Installateur lernen, solange sie noch jung genug für einen neuen Beginn sei.
Laura hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Sie hastete ins Bad, aber ihre Übelkeit klang wieder ab. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser.
Ihr neuer Roman war eine Katastrophe.
Gut, damit mußte sie eben leben. Sie hatte geglaubt, »Shadrach« sei weit besser als »Jericho«, aber das war offenbar ein Irrtum gewesen. Also würde sie ein drittes Buch schreiben.
Laura ging in die Küche und öffnete ein Coors. Sie hatte kaum zwei Schlucke davon getrunken, als Danny heimkam -mit einem Geschenkkarton, in dem ein Basketball Platz gehabt hätte. Er stellte ihn auf den Eßtisch neben das Manuskript und warf Laura einen ernsten Blick zu. »Das ist für dich.«
Sie ignorierte den Geschenkkarton. »Sag’s mir!«
»Erst mußt du dein Geschenk auspacken.«
»Mein Gott, ist das Buch so schlecht? So mies, daß du den Schlag mit einem Geschenk abmildern mußt? Sag mir die Wahrheit! Ich halte alles aus. Augenblick!« Laura zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Jetzt kannst du loslegen! Mich wirft nichts mehr um.«
»Dein Sinn fürs Dramatische ist überentwickelt, Laura.«
»Was soll das heißen? Daß mein Buch melodramatisch ist?«
»Nicht das Buch. Du. Zumindest in diesem Augenblick. Hörst du bitte endlich auf, die am Boden zerstörte Jungautorin zu spielen, und machst dein Geschenk auf?«
»Schon gut, schon gut, wenn ich mir das Geschenk ansehen muß, bevor du redest, mache ich eben das verdammte Geschenk auf!«
Sie hob den schweren Karton auf die Knie und riß das Geschenkband ab, während Danny sich ihr gegenübersetzte und sie beobachtete.
Obwohl der Karton aus einer teuren Geschenkboutique stammte, war Laura nicht auf seinen Inhalt gefaßt: eine riesige, prachtvolle Lalique-Schale aus klarem Glas mit zwei Handgriffen, die aus je zwei hüpfenden grünen Rauchkristallkröten bestanden.
Laura sah mit großen Augen auf. »So was Schönes hab’ ich noch nie gesehen, Danny!«
»Sie gefällt dir also?«
»Mein Gott, wieviel hat sie gekostet?«
»Dreitausend.«
»Das können wir uns nicht leisten, Danny!«
»Doch, das können wir.«
»Nein, das können wir wirklich nicht. Nur weil ich ein miserables Buch geschrieben habe und du mich trösten willst ...«
Читать дальше