»Ja?«
»Ich liebe Sie.«
Laura starrte ihn ungläubig an. Endlich erwiderte er ihren Blick. »Sie lieben mich?« fragte sie. »Aber Sie kennen mich doch gar nicht! Wie können Sie einen Menschen lieben, den Sie überhaupt nicht kennen?«
Er schaute wieder weg, fuhr sich erneut mit seiner schmierigen Hand durchs Haar und zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich auch nicht, aber es ist eben so, und ich ... äh ... nun, ich habe das Gefühl, wissen Sie, dieses Gefühl, daß ich den Rest meines Lebens gemeinsam mit Ihnen verbringen muß.«
Aus Lauras nassem Haar tropfte ihr kaltes Regenwasser ins Genick und lief ihren Rücken hinunter. Den geplanten Arbeitstag in der Bibliothek konnte sie abschreiben - wie hätte sie sich nach diesem verrückten Auftritt noch konzentrieren können? Sie war ziemlich enttäuscht darüber, daß ihr heimlicher Verehrer sich als dieser schmuddelige, verschwitzte Ochse entpuppt hatte, der sich kaum ausdrücken konnte, und sagte scharf: »Hören Sie, Mr. Packard, ich will nicht, daß Sie mir weitere Kröten schicken.«
»Nun, wissen Sie, ich möchte sie Ihnen wirklich gern schik-ken.«
»Aber ich will sie nicht! Und morgen mache ich ein Paket aus denen, die Sie mir geschickt haben. Nein, ich bringe sie noch heute zur Post.«
Er sah sie wieder an, blinzelte erstaunt und sagte: »Ich dachte, Sie hätten was für Kröten übrig.«
»Ich mag Kröten«, antwortete Laura mit wachsender Verärgerung. »Ich liebe Kröten! Ich halte sie für die possierlichsten Geschöpfe unter Gottes Himmel. Im Augenblick wünsche ich mir sogar, eine Kröte zu sein, aber ich will Ihre Kröten nicht haben. Kapiert?«
»Mmmm.«
»Belästigen Sie mich bitte nicht mehr, Mr. Packard. Manche Frauen fallen vielleicht auf Ihre unbeholfene Romantik und auf Ihren verschmitzten Macho-Charme rein, aber ich gehöre nicht zu denen und kann mich meiner Haut wehren, das dürfen Sie mir glauben. Ich bin viel energischer, als ich aussehe, und schon mit weit schlimmeren Typen als Ihnen fertig geworden.«
Sie ließ ihn stehen, trat unter dem Vordach hervor in den Regen hinaus, ging zu ihrem Wagen und fuhr nach Irvine zurück. Auf der ganzen Heimfahrt zitterte sie - nicht nur vor Kälte und Nässe, sondern auch vor Zorn. Der Kerl hatte vielleicht Nerven!
In ihrem Appartement zog sie ihre nassen Sachen aus, schlüpfte in einen Frotteebademantel und kochte sich eine Kanne Kaffee zum Aufwärmen.
Beim ersten Schluck klingelte das Telefon. Laura nahm den Hörer in der Küche ab. Packard war am Apparat.
Er redete so rasch, daß seine Sätze ohne Punkt und Komma ineinander überzugehen schienen: »Bitte legen Sie nicht auf, Sie haben recht, ich bin in solchen Dingen ziemlich dumm, ein Idiot, aber geben Sie mir nur eine Minute Zeit, um alles zu erklären. Als Sie kamen, habe ich gerade die Geschirrspülmaschine repariert, deshalb war ich so schmutzig und verschwitzt, ich mußte sie unter der Einbauküche rausziehen, eigentlich hätte der Vermieter sie reparieren lassen müssen, aber die Hausverwaltung läßt sich mit Reparaturen wochenlang Zeit, und ich bin ein guter Heimwerker, ich kann alles reparieren, es war ein regnerischer Tag, ich hatte nichts Besonderes vor, deshalb wollte ich sie selbst reparieren, ich hätte natürlich nie gedacht, daß Sie vorbeikommen würden. Ich heiße Daniel Packard, aber das wissen Sie bereits, ich bin achtundzwanzig, war bis 1973 in der Army, habe erst vor drei Jahren mein Betriebswirtschaftsstudium an der University of California in Irvine abgeschlossen und arbeite jetzt als Börsenmakler, aber ich habe einige Abendkurse an der Universität belegt, deshalb bin ich im UCI-Literaturmagazin auf Ihre Krötengeschichte gestoßen, eine großartige Story, wirklich, sie hat mich begeistert, deshalb bin ich in die Bibliothek gegangen und habe aus früheren Ausgaben alles herausgesucht, was Sie sonst noch geschrieben haben. Ich habe alles gelesen, und vieles davon ist gut gewesen, sogar verdammt gut, nicht alles, aber doch sehr vieles, und ich habe mich dabei irgendwann in Sie verliebt -nicht richtig in Sie, mehr in die Autorin, die so schön, so real geschrieben hat. Eines Abends habe ich in der Bibliothek vor einer Ihrer Storys gesessen - gebundene Zeitschriften Jahrgänge werden nur im Lesesaal ausgeliehen -, als eine Bibliothekarin neben mir stehenblieb und mich fragte, ob mir die Story gefalle. Und als ich bejahte, sagte sie: >Dort drüben sitzt die Verfasserin, falls Sie’s ihr selbst sagen wollen.< Und Sie haben nur drei Tische von mir entfernt vor einem ganzen Bücherstapel gesessen, stirnrunzelnd darin nachgeschlagen und sich Notizen gemacht - und sind wunderschön gewesen. Ich hatte gewußt, daß Sie innerlich schön sein würden, weil Ihre Geschichten schön sind, aber ich wäre nie darauf gekommen, daß Sie auch äußerlich schön sein könnten, und deshalb konnte ich Sie nicht ansprechen, weil ich in Gegenwart schöner Frauen immer linkisch und sprachlos bin, vielleicht weil meine Mutter schön, aber kalt und abweisend gewesen ist, so daß ich jetzt unbewußt fürchte, alle schönen Frauen könnten mich wie meine Mutter zurückweisen - eine ziemlich wackelige Selbstanalyse -, aber jedenfalls wäre alles viel einfacher gewesen, wenn Sie häßlich gewesen wären oder wenigstens nur durchschnittlich ausgesehen hätten. Wegen Ihrer Story bin ich auf die Idee mit den Kröten gekommen und habe den heimlichen Verehrer gespielt, um mich damit bei Ihnen einzuschmeicheln; nach der dritten oder vierten Kröte wollte ich mich zu erkennen geben, das wollte ich wirklich, aber ich hab’s immer wieder hinausgeschoben, um keine Zurückweisung zu riskieren; ich wußte, daß das verrückt war, eine Kröte nach der anderen, aber ich konnte einfach nicht damit aufhören und Sie vergessen -und andererseits konnte ich mich nicht dazu aufraffen, Sie anzusprechen. Ich wollte Sie niemals ärgern oder belästigen, das müssen Sie mir glauben, und es tut mir schrecklich leid, daß alles so gekommen ist. Und ich bitte um Verzeihung.«
Er verstummte endlich, offensichtlich am Ende seiner Kräfte.
»Also gut«, wehrte Laura ab.
»Dann gehen Sie also mit mir aus?« fragte er.
»Ja«, sagte sie und staunte über ihre eigene Reaktion.
»Abendessen und ins Kino?«
»Einverstanden.«
»Heute abend? Soll ich Sie um achtzehn Uhr abholen?«
»Okay.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, blieb sie eine Weile stehen und starrte das Telefon an. »Shane, bist du übergeschnappt?« fragte sie laut. Dann fügte sie hinzu: »Aber er hat mir erklärt, daß ich >so schön und so real< schreibe.«
Sie ging in ihr Zimmer und betrachtete die Krötensammlung auf ihrem Nachttisch. »Er ist unbeholfen und schweigsam und brabbelt im nächsten Augenblick pausenlos. Er könnte ein Psychopath, ein geistesgestörter Mörder sein, Shane.« Dann fügte sie hinzu: »Ja, das könnte er sein, aber er ist auch ein großartiger Literaturkritiker.«
Weil sie zum Essen und ins Kino gehen wollten, zog Laura einen grauen Rock mit weißer Bluse und einen kastanienbraunen Pullover an; Packard jedoch erschien, als wäre der Anlaß die Eröffnung der Opernsaison, in einem dunkelblauen Anzug, mit weißem Manschettenhemd, einer blauen Seidenkrawatte mit Goldkettchen, seidenem Einstecktuch und blitzblanken schwarzen Wingtip-Schuhen. Er trug einen Regenschirm und geleitete Laura, die eine Hand unter ihren rechten Arm gelegt, so fürsorglich zu seinem Wagen, als wäre er davon überzeugt, sie werde beim ersten Regentropfen in Auflösung übergehen oder, wenn sie etwa ausrutsche und hinfalle, wie Glas zerbrechen.
Wegen des Unterschieds ihrer Kleidung und ihres beträchtlichen Größenunterschieds - mit 1,65 Meter war Laura um 30 Zentimeter kleiner als er und brachte mit ihren 50 Kilogramm nicht einmal die Hälfte seines Gewichts auf die Waage - hatte sie fast das Gefühl, mit ihrem Vater oder einem älteren Bruder auszugehen. Sie war keineswegs zierlich, aber an seinem Arm kam sie sich geradezu winzig vor.
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