Und was hat Akabalam uns gegeben? Es ist kein Regen auf die Felder gefallen, nichts hat den Boden genährt, damit die Frucht wachsen könnte, von der wir leben.

So vieles hat sich verändert. Grauen und Schrecken überall! Der Tod umgibt uns, er hält die Stadt in seiner kalten schwarzen Umarmung gefangen. Nach der letzten Zählung sind über tausend Menschen tot und noch viel mehr sind verflucht und warten auf den Tod. Ich hatte recht mit meinen Befürchtungen. Der Fluch von Akabalam hat viele befallen, er saugt den Geist aus ihnen heraus, sodass sie nicht mehr imstande sind, in die Traumwelt hinüber zugleiten, um in Verbindung mit ihren Göttern zu treten.
Verflucht sind jene, die sich gegen ihre Mitmenschen vergehen, und die Zahl der Verfluchten wird mit jedem Sonnenwechsel größer. Die Gewalt regiert in den Straßen bei Tag und bei Nacht; einst friedliche Menschen gehen aufeinander los, weil sie die Geister in ihren Träumen nicht mehr heraufzubeschwören vermögen, und prügeln sich um die wenigen noch verbliebenen kostbaren Dinge auf den Märkten.
Jaguar Imix und sein Gefolge haben viele Monde lang im Einvernehmen mit den Göttern Menschenfleisch verzehrt. Doch welcher Gott sie auch immer beschützt haben mag, er beschützt sie nun nicht mehr: Der König ist verflucht, seine Adligen sind verflucht, und Akabalam ist über unser Land hinweggefegt und hat alles verwüstet.
Akabalam hat Menschen in Ungeheuer verwandelt, genau wie ich es befürchtet habe. Wenn wir träumen, befinden wir uns im Einklang mit den Göttern, wir halten Zwiesprache mit unseren Krafttieren, wir überantworten uns den Göttern, wie wir es im Tode tun. Aber die Verfluchten können nicht träumen, sie können sich weder in die Obhut der Götter begeben noch Verbindung zu ihrem wayob aufnehmen, das über sie wacht.

Hier ist der Bericht meines letzten Aufenthalts im großen Palast, wo sich einst die Männer des königlichen Rates versammelten. Ich kam bei Nacht, ich trug den Ara auf den Schultern. Für einen frommen Mann war es zu gefährlich, sich am helllichten Tag auf den Straßen zu zeigen. Ich machte mich auf, und nur der Mond wies mir den Weg.
Ich sorgte mich um den Prinzen, Rauch Lied, meinen Schüler. Ich wollte ihn aus dem Palast bringen. Dass der Junge nicht verflucht ist, beweist, wie verwirrt sein Vater ist und wie wankelmütig im Glauben, denn seinem eigenen Sohn gab er kein Menschenfleisch zu essen.
Rauch Lied ist nicht das einzige Kind, das die Geschichten und die Legende der Terrassenstadt weitergeben wird. Geflammte Feder und Schmetterling Ohnegleichen warteten in meiner Höhle auf mich. Wir wollten in den Wald an dem See fliehen, den mein Vater einst gesucht hatte. Auxilas Töchter haben mein Verbot beachtet und kein Menschenfleisch gegessen. Wir werden uns von dem ernähren, was das Land hergibt, und wir werden sicher sein vor den Traumlosen und vor jenen, die ihnen ins Verderben folgen werden.
Seit zwanzig Sonnen war ich weder im Palast gewesen, noch hatte ich den König gesehen. Alles, was ich sah und erlebte, wirkte seltsam falsch, und ich hatte den merkwürdigen Verdacht, dass diese Lebensweise im Palast und in Kanuataba vorbei war, dass der Schein nicht länger aufrechterhalten werden konnte. Es waren keine Wachen zu sehen, und ich gelangte unbehelligt zu den königlichen Gemächern.
Ich fand den Prinzen nicht in seinem Zimmer, und so ging ich weiter zu den Gemächern des Königs. Der Prinz musste zu seinem Vater gegangen sein, und der Gedanke versetzte mich in Angst, weil ich nicht glaubte, dass der König ihm erlauben würde, den Palast zu verlassen.
Kühn betrat ich die Kammer des Königs.
Der Prinz kniete neben der Bettstatt seines Vaters. Da wusste ich, dass Ah Puch den Geist des Königs ins Jenseits getragen hatte, wo er mit anderen Königen die Zyklen der Zeit durchwandern würde, wie es bestimmt ist. Kein Atem stieg von seinen Lippen empor, kein Schlag seines Herzens war zu spüren. Rauch Lied berührte den Leichnam nicht, so wie ich es ihn gelehrt hatte. Er schwenkte nur die Räucherstäbchen, die einen bitteren Duft verströmten, um den Körper herum.
Rauch Lied blickte auf und sah mich an. Tränen standen ihm in den Augen.
Plötzlich sprach eine Stimme hinter uns:
– Dies ist die Kammer des Königs, seine ganz allein. Dein unbefugtes Eindringen hier wird dir nicht vergeben werden, gemeiner Schreiber. –
Ich drehte mich um. Der Zwerg stand zehn Schritt hinter mir.
Ich sprach:
– Viel zu lange hast du deine Lügen auf den Straßen der Stadt verbreitet und das Volk von Kanuataba mit deiner Zunge verführt. Sie sollen keine Lügen mehr hören. Sie sollen erfahren, dass der König tot ist! –
– Wenn du irgendjemandem davon erzählst, werde ich dafür sorgen, dass alle erfahren, dass du den Beischlaf mit Auxilas Töchtern nicht vollzogen hast und dass sie deshalb nicht deine Konkubinen sind und du keinen Anspruch auf sie erheben kannst. Ich werde sie mir nehmen, und sie werden erblühen und meine Söhne gebären! Ich werde die Wachen des Königs schicken, damit sie sie holen und, wenn es sein muss, mit Gewalt hierher bringen! –
Da erhob ich meinen Gehstock und hieb ihn dem Zwerg über den knollenförmigen Kopf. Ich traf ihn mit der Jadespitze, sodass das Blut aus ihm herausfloss. Der Zwerg schrie auf, als er zu Boden fiel, und flehte den Prinzen um Hilfe an.
Rauch Lied rührte sich nicht.
Der Zwerg raffte sich auf, stürzte sich auf mich und schlug die Zähne in mein Bein. Ein Schmerz wie Feuer raste durch mich hindurch. Ich stach ihm mit der Spitze meines Jademessers ein Auge aus, und er ließ von mir ab. Ich rammte ihm die Jadeklinge in den Bauch, so fest ich konnte, und löschte sein Leben aus.
Dann wandte ich mich zu dem Prinzen hin.
– Geh! Ich bleibe hier. Nimm Geflammte Feder und Schmetterling Ohnegleichen und flieh mit ihnen aus der Stadt! –
Als der Prinz das vernahm, sprach er mit der Entschiedenheit, die seine neue Macht ihm verlieh:
– Als oberster ajaw dieser Stadt befehle ich dir, mit uns zu kommen, Paktul! Ich werde dich zum Hüter des Tages machen, wo immer wir hingehen werden. Das befehle ich dir als dein König! –
Aber ich wusste, dass die noch verbliebenen königlichen Wachen mich verfolgen würden. Es würde sie nach meinem Blute dürsten, und ich wollte das Leben der Kinder nicht aufs Spiel setzen. Ich sprach zum Prinzen:
– Dass du mir die Ehre erweisen und mich zum Hüter des Tages machen würdest, ist mir Anerkennung genug, Rauch Lied, und dieser Ruhm wird genügen, um mir Einlass zu verschaffen in die heilige Welt der Schreiber dort oben. Aber du musst mich hier zurücklassen, damit Itzamnaaj, der heilige Gott des Himmels, dich beschützen kann. –
Er sprach:
– Heiliger Lehrer, die Abtrünnigen kommen! Ich kann ihre Schreie hören! Als dein neuer König befehle ich dir, mir zu folgen! –
Da sprach ich zum Prinzen:
– Dann komm, mein König, ich will dich dorthin führen, wo meine Familie, die ich verloren habe, einst lebte, dorthin, wo all jene lebten, die vor mir waren. –
Heiliger Itzamnaaj, möge ich sie an den sicheren Ort führen, verborgen im tiefsten Wald, wo einst meine Vorfahren lebten und für alle Zeit leben werden. Wo wir zu den wahren Göttern beten und ein neues Volk hervorbringen werden, das den nächsten großen Zyklus einleiten wird. Rauch Lied wird Geflammte Feder zu seiner Frau machen, und mit dieser Verbindung soll ein fruchtbarer neuer Anfang gemacht, neue Menschen sollen erschaffen, ein neuer Zeitzyklus eingeleitet werden. Ich kann nur von den Generationen träumen, die Rauch Lied mit Geflammte Feder und deren Schwester zeugen wird, Männer, die gerecht und tugendhaft über ihr Volk herrschen werden. Und das Volk von Kanuataba wird weiterleben.
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