Im Moment hatte sie das Gefühl, nicht einmal einen einzigen Tropfen entbehren zu können.
Auf den Gängen bei Bloomingdale’s war, wie zu erwarten, nahezu kein Durchkommen. Sie nahm den Fahrstuhl in die Einrichtungsabteilung und fand Abbie bereits mitten in einem angeregten Beratungsgespräch mit einer jungen eleganten Verkäuferin.
»Glauben Sie wirklich, dass diese Kissenfarbe sich nicht mit den Vorhängen beißt, die wir bereits bestellt haben? Der Stoff ist doch eher gelb als pfirsichfarben!«
»Nein«, sagte die junge Frau und schüttelte energisch den Kopf. »Die gehören alle zur selben Design-Linie und ergänzen einander.«
Abbie blickte auf und entdeckte Beth. »Glaubst du, dass dieser Stoff zu den Vorhängen im Esszimmer passt, die wir schon bestellt haben?«
Beth musste darüber nachdenken. »Ja, vielleicht.«
»Ja oder vielleicht?«, wollte Abbie wissen.
Die Verkäuferin wirkte verärgert, jetzt musste sie für jeden Einkauf zwei Stimmen gewinnen.
»Nein«, entschied Beth.
Abbie lachte, und die Verkäuferin lächelte durch die zusammengebissenen Zähne, ehe sie sich demonstrativ entschuldigte und verschwand, um eine andere Kundin zu bedienen.
»Danke für deine Meinung«, sagte Abbie leise. »Ich wollte sie sowieso loswerden.«
Beth lächelte.
»Und danke, dass du an so einem lausigen Abend gekommen bist.«
»Kein Problem.«
»Bist du sicher?«, fragte Abbie besorgt und legte Beth eine Hand auf den Arm. »Entschuldige meine Offenheit, aber du siehst nicht besonders gut aus.«
»Das ist schon in Ordnung – ich fühle mich auch nicht besonders gut.«
»Glaubst du, du brütest irgendetwas aus? Hast du dich gegen Grippe impfen lassen?«
»Ja, ich bin geimpft, und nein, ich glaube nicht, dass ich wirklich krank werde.«
Sie schlenderten einen anderen Gang entlang, vorbei an Tischen, auf denen sich extrem teure Haushaltstextilien stapelten.
»Ich fühle mich seit ein paar Nächten nicht mehr so richtig wie ich selbst. Ich kann nicht einschlafen, und wenn ich es schaffe, träume ich so schlecht, dass es sich kaum lohnt.«
»Hör zu, Beth … wenn dir nicht danach ist, am Wochenende mit aufs Land zu fahren, denk nicht weiter daran. Wir können es auch ein anderes Mal machen.«
»Nein, nein«, protestierte Beth. »Ich freue mich darauf. Ich glaube, der Tapetenwechsel wird mir ganz guttun.«
»Ich frage mich, ob ich Ben wohl auch dazu bekomme, es so zu sehen.«
»Ganz bestimmt«, versicherte Beth ihr, obwohl sie im Grunde ihres Herzens fand, dass Ben nicht ganz unrecht hatte. Obwohl das Haus auf den Bildern so heimelig ausgesehen hatte, ging von dem Ort etwas unbestimmt Tristes aus, etwas, das alle hellen Vorhänge und farbigen Tapeten der Welt nicht würden vertreiben können. Das Haus strahlte Einsamkeit aus, wirkte sogar ein wenig abweisend.
Ohne dass sie es geplant hätten, fanden sie sich am Ende eines Ganges in der Abteilung für Kinderzimmereinrichtungen wieder. Wo Beth auch hinsah, entdeckte sie Bettlaken und Kissenbezüge, verziert mit Karussells, tanzenden Seepferdchen und einer großen Auswahl an Disney-Figuren.
»Ist dir schon einmal aufgefallen, dass man, wenn man ohne Erfolg versucht schwanger zu werden, an jeder Ecke über Kinder und Kinderzeug stolpert?«, bemerkte Abbie.
Es war Beth aufgefallen. Und seit dem letzten Termin bei Dr. Weston, bei dem sie die schlechten Nachrichten über Carters Zeugungsunfähigkeit erhalten hatten, schien es nur noch schlimmer geworden zu sein. Egal, wohin sie ging, sie stieß auf Babys, Kinder und werdende Mütter.
»Ben und ich überlegen, ob wir es nächstes Jahr mit dieser In-vitro-Sache versuchen. Und wie sieht’s bei dir und Carter aus? Macht ihr irgendwelche Fortschritte?«
»Nein«, sagte Beth und versuchte, möglichst unbekümmert zu klingen. »Bisher jedenfalls nicht.« Obwohl Abbie ihre älteste und beste Freundin war, hatte sie ihr den jüngsten und in gewisser Weise endgültigen Rückschlag noch nicht mitgeteilt. »Macht es dir etwas aus, wenn ich mir kurz mal die Musterzimmer anschaue?«, sagte Beth. »Ich will immer wissen, wie weit ich der Mode hinterherhinke.«
»Nein, geh ruhig. Vielleicht mache ich mich auf die Suche nach der zickigen Verkäuferin und lasse sie überprüfen, wann meine Vorhänge geliefert werden.«
So schnell sie konnte, ließ Beth die Kinderabteilung hinter sich und ging ans andere Ende der Etage, wo die Dekorateure von Bloomingdale’s regelmäßig eine Reihe von Musterzimmern aufbauten, jedes in einem anderen phantastischen Stil. Stets aufs Neue amüsierte sie sich köstlich über das Nebeneinander eines englischen Salons und der Bude eines Hip-Hop-Gangsters, dem Schlupfwinkel auf einer Insel und der Berghütte aus Colorado. Gewöhnlich erging es einer Menge anderer Leute genauso, doch heute Abend war die Abteilung geradezu verwaist. Sie schlenderte an einem schnittigen Hightecharbeitszimmer und einem Hampton-Strandhaus vorbei, bis sie ganz allein vor dem letzten Musterzimmer in der Reihe stehen blieb.
Was sollte das bedeuten? Irgendeine Szene aus einem Roman von Paul Bowles? Es erinnerte vage an marokkanisches Dekor, ein Phantasie-Boudoir, komplett mit Webteppichen, Ornamenten aus gehämmertem Kupfer und einem riesigen Bett, das teilweise von einem hauchzarten hellgelben Vorhang verdeckt war. Hinter einem Türbogen sah sie die bemalte Leinwand mit wellenförmigen Sanddünen, die silbrig im Mondlicht glitzerten. Der Künstler, dachte sie, hatte vorzügliche Arbeit geleistet, es war überraschend überzeugend.
Tatsächlich war die gesamte Einrichtung gut gelungen – und äußerst einladend. Viel zu einladend. Plötzlich schien die Müdigkeit in ihren Knochen noch größer zu werden, und die Augen wurden ihr schwer. Den ganzen Tag schon war sie müde gewesen, aber jetzt hatte sie das Gefühl, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Sie musste sich hinlegen und die Augen schließen, und sei es nur für ein paar Minuten. Das Bett mit dem hauchzarten Vorhang war nur eine rote Absperrkordel weit entfernt.
Nein, das konnte sie nicht machen. Aber die Sehnsucht wurde rasch unwiderstehlich.
Und wer würde es schon merken? Es wäre ja nur für ein paar Minuten. Niemand war hier, niemand würde sie hinter dem Vorhang sehen, besonders, wenn sie sich beeilte. Wenn sie sich endlich entscheiden und es einfach machen würde .
Ehe sie recht wusste, was sie tat, hatte sie die Füße schon über das rote Absperrseil gehoben und tappte über die Webteppiche. Das Bett war massiv und hoch, und sie musste regelrecht hinaufklettern. Sie wusste, dass es verrückt war, trotzdem passte sie gut auf, damit sie die Bettdecke und die Vorhänge nicht durcheinanderbrachte. Das wäre nicht in Ordnung.
Die Decke musste aus der feinsten, weichsten Baumwolle gefertigt worden sein, die je gesponnen wurde, und die in Brokat gefassten Kissen waren perfekt arrangiert und schienen nur darauf zu warten, dass sie ihren müden Kopf und die schmerzenden Schultern darauf bettete. Nie zuvor in ihrem Leben war ein Bett so einladend, so bequem gewesen. Ich werde nur ein paar Minuten hier liegen bleiben, sagte sie sich. Sie würde ganz still liegen, versteckt hinter dem durchscheinenden Vorhang. Niemand würde es bemerken, niemand würde je davon erfahren.
Die Lider wurden ihr schwer. Die Dekorateure hatten einfach an alles gedacht und mussten sogar die Luft mit Düften bestäubt haben. Es roch nach … vom Regen gewaschenen Blättern. Beth empfand ein köstliches Gefühl des Wohlbehagens. Wenn sie doch nur ihre Schuhe ausziehen und unter das kühle glatte Laken schlüpfen könnte. Sie fühlte sich, als könnte sie ewig und unbehelligt schlafen, ohne durch schlechte Träume gestört zu werden.
Irgendwo in weiter Ferne meinte sie jemanden ihren Namen rufen zu hören. Aber sie war zu müde, um darauf zu reagieren.
Читать дальше