Karton! Mannomann, fünf Mark! Da, sagt sie, so’n armes Wesen, kann ja nix dafür. Ist ja unschuldig an allem. Und die andere zieht gleich, das will sie nicht auf sich sitzen lassen, dass Gottes geschundene Kreatur verrecken muss vor Hunger. Nur, dass sie mit Gottes geschundener Kreatur nicht mich gemeint haben.« Er machte eine Pause. Das Lachen war aus seinem Gesicht gewischt. »Sondern den Hamster. Armer kleiner Hamster. Für das Tierchen, sagen sie, kaufen Sie dem was Anständiges zu fressen, muss ja nicht hungern. So ist das nämlich, ‘nem Tier geben sie alle was, von wegen Mitleid, ‘n Tier darf nicht sterben, aber ‘n Mensch, was ist das schon, der klaut ja doch nur und verschandelt dir deine schöne Straße und pisst sich in die Hose, der muss weg! – Ja, so ist das. Der letzte Auswurf bist du, Jungchen, ‘n Haufen Scheiße. Kein Mensch mehr.«
»Das wollen wir ja ändern«, sagte der Fahrer.
»Mit ‘m Bildband?« Computerstimme lachte. »Ja, macht mal. Find ich ja prima. Weißt du, was für mich dabei zählt? Jetzt wirst du schrecklich enttäuscht sein, Kleiner, aber die Kohle, darauf kommt’s mir an. Nur die Kohle. Tät ich sonst nicht machen.«
»Uns ist es die Kohle wert«, sagte der Fahrer und lächelte.
Der Penner sah ihn mit plötzlichem Misstrauen an.
»He! Du willst aber doch nicht irgendwelchen Schweinkram fotografieren, oder? Irgendwelche Sauereien, ich meine, mit Ausziehen und so?«
Der Fahrer schüttelte energisch den Kopf, bog links ab und steuerte den Wagen durch eine Toreinfahrt auf einen Innenhof. Zwei große Laster parkten dort, rechts lag eine flache, nahezu fensterlose Halle. Eine umlaufende Mauer schottete das Gelände nach allen Seiten ab.
»Auf keinen Fall«, grinste er. »Aber die Fotos mache sowieso nicht ich. Die macht eine Frau.«
Computerstimme zuckte zusammen.
»Ui! Ich weiß nicht, ob ich da–«
»Eine schöne Frau«, sagte der Fahrer mit Nachdruck. »Übrigens eine sehr gute Fotografin. Sie ist weit besser als ich, muss ich leider sagen.«
Der Penner sah ihn zweifelnd an.
»Und die will mir nicht an die Wäsche? Ich mach so’n Pornokram nicht, das sage ich dir gleich.«
»Keine Bange. Alles ganz seriös. Ehrenwort!«
Computerstimme fuhr mit den Fingern über seinen Mantel, als wolle er die Haut von seinen Handflächen reiben. Plötzlich lachte er unvermittelt wieder sein gelbes Lachen.
»Meinetwegen. Soll mir recht sein! Dann wollen wir’s der Dame mal besorgen, was, Kleiner?«
»Und wie!«
Der Fahrer lachte konspirativ mit. Sie stiegen aus, gingen über den Hof zu dem Gebäude und traten durch eine Stahltür ein, die der Fahrer hinter ihnen schloss. Sie standen in einer geräumigen Halle, ausgeleuchtet von Neonröhren. Im hinteren Teil führten einige Türen zu angrenzenden Räumen. Bis auf einen Tisch und einige Stühle war die Halle nahezu unmöbliert. Dafür ruhte in der Mitte etwas Riesiges auf einer Art Eisenbahnwaggon, zwei technisch aussehende Apparate und ein gewaltiger, metallisch schimmernder Kasten. Er musste an die zehn Meter lang sein. Wenige Schritte vor dem merkwürdigen Gebilde wuchs ein metallener Ständer aus dem Boden, auf dessen Spitze etwas glänzte. Schienen erstreckten sich von dem Waggon oder was immer es war zur Wand. Computerstimme sah neugierig herüber. Er hatte nicht die mindeste Vorstellung davon, worum es sich bei dem Ding handelte, aber was wusste man schon vom Fortschritt nach Jahren und Jahrzehnten auf der Straße.
Eine Frau kam ihnen entgegen, schlank und von mittlerer Größe, mit einem hübschen Gesicht und langen blonden Haaren.
»Sie sind also unser Topmodel«, sagte sie herzlich und streckte die Hand aus. »Wie schön, Sie bei uns zu haben.«
Computerstimme blickte unsicher zu dem Fahrer, nahm die dargebotene Rechte zögernd in die seine und schüttelte sie langsam.
»Ich… wollte mich eigentlich noch waschen«, sagte er.
»Ich bitte Sie!« Die Frau schüttelte den Kopf. »Es zählt nur, dass Sie da sind. Wir sind Ihnen sehr dankbar.«
»Ich bin aber kein Schwein, Madame.« Der Penner versuchte, so etwas wie Haltung anzunehmen, während er sein Gegenüber mit den Augen auszuziehen begann. »Ich will, dass Sie das wissen.«
»Natürlich sind Sie das nicht. Ganz bestimmt nicht.« Die Fotografin breitete die Arme aus. »Tja, was meinen Sie, wollen wir gleich anfangen? Wir sind leider ein bisschen in Eile.«
»Äh… Augenblick… so schnell?«
»Ja. Warum nicht?«
»Und die Kohle?«
»Oh, natürlich. Das machen wir als Erstes.« Sie warf dem Fahrer einen kurzen Blick zu. Der Mann griff in seine Jacke, zählte zwei Hundertmarkscheine ab und drückte sie Computerstimme in die Hand. Beim Anblick des Geldes grinste der Penner von Ohr zu Ohr.
»Klar, Süße, sicher. Geritzt! Wie wollen Sie mich denn haben? Soll ich ‘n Rad schlagen. Aufm Kopf stehen? Bäume ausreißen?«
Der Fahrer lehnte an dem Kasten und beobachtete ihn nachdenklich. Dann deutete er auf die gegenüberliegende Wand mit dem Stahltor.
»Wir dachten, dass wir was mit Bewegung machen. Es geht darum, Sie möglichst voller Leben abzulichten. Voller Energie. Am besten wäre es, wenn Sie von dem Tor hier zu uns herüberkämen, während wir ein paar Fotos schießen. Gehen Sie einfach auf die Kiste zu.«
»Energie hab ich endlos, Jungchen!«, krächzte Computerstimme und begann, unbeholfen im Raum herumzuspringen. »Leg noch so’n
Blauen drauf, dann hab ich mehr Energie als jedes verdammte Atomkraftwerk!«
»Danke, wir sind vollauf zufrieden.« Die Fotografin war zu dem Tisch hinübergegangen und kam mit einer Kamera zurück. »Sind Sie bereit?«
»Ay, Madame!«
»Fein. Dann mal los. Es ist ganz einfach. Gehen Sie in ganz normalem Tempo. Nicht rennen.«
»Wann? Jetzt?«
»Erst mal gehen Sie rüber zum Tor.«
Computerstimme hörte auf zu tanzen und tapste zur rückwärtigen Wand, wo er sich umdrehte.
»Jetzt?«
»Augenblick noch!« Die Frau hob die Kamera vor ihr Gesicht und drehte an dem Objektiv. Im Dämmerlicht der Decke über ihnen begann sich etwas von der Größe einer Videokamera langsam mitzudrehen.
Der Penner deutete auf die Kamera der Fotografin.
»Das ist ein Tele!«, rief er. »Teuer, was?«
»Ganz genau! Ein Tele und teuer.«
»He, krieg ich ein Foto? Ich will von den Fotos welche haben, hört ihr? Ich will alle haben!«
»Sie kriegen den besten Schuss Ihres Lebens«, lachte die Fotografin.
»Versprochen?«
»Klar doch! Okay, kommen Sie. Ja, jetzt. Und los!«
Der Penner wippte einen Augenblick auf seinen Fersen, als könne er sich nicht entscheiden, auf welchem Fuß er losmarschieren solle. Dann kam er mit unsicheren Schritten auf sie zu.
»Ich bin nämlich .«, krächzte er.
Die Fotografin drückte auf den Auslöser.
Aus dem Kasten kam ein trockenes Zischen. Gleichzeitig gab es ein reißendes, nicht allzu lautes Geräusch, als der Kopf des Penners in einer Wolke aus Blut, Hirn und Knochensplittern auseinander flog. Der Körper schien eine Sekunde lang weitergehen zu wollen, als sei nichts geschehen. Die Arme bewegten sich im Rhythmus des gemächlichen Schlenderns, dann erhielt der Torso Übergewicht, kippte zur Seite weg und schlug zu Boden. Die Finger der rechten Hand zuckten, als suchten sie nach einem Halt.
»Bemerkenswert«, sagte Mirko von dem Kasten her.
Jana trat zu dem Leichnam und ging in die Hocke. Sie betrachtete aufmerksam die klaffende Wunde. Rechts waren Kopf und Hals bis zur Schulter weggerissen, an der anderen Seite hingen noch ein Stück vom Kiefer und ein Ohr. Eine Blutlache breitete sich zwischen den Schulterblättern aus.
»In etwa das, was ich erwartet hatte«, sagte sie.
»Sie sind sicher, dass der Impuls auf größere Entfernung nicht an Kraft verliert?«
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