Antiamerikanische Parolen waren an die Hauswände geschmiert. Sie waren weniger das Resultat zorniger Studenten als vielmehr gezielte Aktionen chauvinistischer Kräfte, die auf eine großrussische Renaissance hofften und die derzeitige Situation den Liberalen und Demokraten in die Schuhe schoben. Waren sie es nicht gewesen, die den Bären seiner Kräfte beraubt hatten? Verweichlichtes Geschwafel! Kein Wunder, dass niemand mehr auf Russland hörte und der Westen den Russen auf der Nase herumtanzte. Die Liberalen waren schuld. Die Schwätzer und Anbiederer.
Mirko interessierte all das wenig an diesem Tag. Er ging weiter, bis er zu einem Haus kam, dessen klassizistische Fassade dringend eines Anstrichs bedurft hätte. Die Tür war nur angelehnt. Er durchschritt einen nach Moder und Kohl riechenden Flur und stieg in den ersten Stock, wo er in einem vereinbarten Rhythmus an eine Wohnung klopfte.
Ein kleiner Mann mit einem Fuchsgesicht öffnete und ließ ihn herein.
»War diesmal nicht ganz einfach«, sagte er ohne Begrüßung.
Mirko nickte. Der Kleine bedeutete ihm, auf einem zerschlissenen
Sofa Platz zu nehmen, verschwand in ein hinteres Zimmer und kehrte mit etwas zurück, das in ein weißes Tuch gepackt war. Mirko nahm das Paket, wickelte eine Waffe aus dem Tuch und wog sie in der Hand. Es war eine PSM, eine Back-up-Waffe, wie sie hohe Militärs in Russland gern benutzten.
»Flach wie ein Stempelkissen«, sagte der Händler mit einigem Stolz. »Kaliber 5,45 mal 18, wie gewünscht. Hat einem Offizier in der DDR gehört, er hat sie verschiedentlich eingesetzt. Mit Erfolg!«
»Gut«, sagte Mirko.
Die PSM war tatsächlich verblüffend flach. Soweit Mirko wusste, verschoss sie die kleinsten Flaschenhalspatronen der Welt mit Zentralfeuerzündung. Er entnahm dem Tuch ein weiteres Päckchen. Es enthielt Munition.
»Explosivgeschosse«, führte der Händler aus, während Mirko die Waffe lud. »Ich musste sie anfertigen. Sie sind in der Spitze ausgehöhlt, enthalten je vier Gramm Tetryl und Bleiacid.«
»Sehr schön.«
Fuchsgesicht zögerte.
»Wollen Sie nicht mal was anderes?«, fragte er. »Ich bekomme ständig die feinsten Sachen. Die Armee veranstaltet ihren diesjährigen Winterschlussverkauf.«
»Danke.«
»Haben Sie eine Freundin? Ich hätte ein älteres Modell einer Walther TPH, Kaliber 6,35, wenn es Sie interessiert.«
Mirko lächelte. Die Walther PPK war die berühmte Waffe, mit der James Bond Löcher in die Leinwand geschossen hatte, und die TPH so etwas wie die kleine Schwester. Für den Geschmack der meisten Professionals waren die Löcher, die sie hinterließ, bei weitem zu klein. Es kursierte der Witz, die TPH brauche mehr Schuss als jede andere Pistole, weil die Geschosse den Gegner nicht töteten, sondern nur dezent perforierten. Im Grunde war es die richtige Pistole für Damen, ähnlich wie die legendäre FN Baby, die in jeder Handtasche und einer Reihe englischer Kriminalfilme Platz hatte.
»Ich werde darauf zurückkommen«, sagte er.
Der Händler grinste.
»Immer wieder nett.« Er nahm die Dollar, die Mirko ihm hinlegte, und ließ sie mit einer raschen Bewegung in seinem Hosenbund verschwinden. Leute wie er nahmen ausschließlich Dollar. »Übrigens wird alles teurer. Ich meine, fürs nächste Mal. Wollen Sie die TPH nicht doch?«
»Verschenken Sie sie ans Museum. Ich habe schon Dutzende solcher Preiserhöhungen erlebt. Wer zu viel fordert, kriegt gar nichts.«
»Wir müssen alle leben.«
Mirko spielte mit der Waffe herum und hielt sie so, dass der Lauf wie zufällig auf den Händler zeigte.
»Ja«, sagte er. »Wir wollen alle leben.«
Der Händler erbleichte.
»Es lag mir natürlich fern…«, begann er.
Mirko ließ die Waffe in seine Jacke gleiten und ging zur Tür.
»Natürlich«, sagte er.
Nachdem er das Haus verlassen und zurück zur Hauptstraße gegangen war, stieg er wieder in den Wagen und ließ sich zurück auf die andere Flussseite ins Moskauer Finanzzentrum Kitaigorod bringen. Der alte und ehrwürdige Stadtteil flankierte das KremlGelände und schloss den Roten Platz mit ein. Geist und Geld gaben sich hier die Hand. An der exklusiven Nikolskaja Uliza mit ihren Boutiquen und Juwelieren ließ er sich absetzen und gab dem Fahrer genaue Instruktionen, wo und wann er ihn abzuholen habe. Dann verschwand er in einer der Banken und trat nach einigen Minuten mit einem Aktenkoffer zurück auf die Straße. Von dort machte er einen kurzen Spaziergang durch einen nahe gelegenen Park. Dahinter begann der Iwanowskaja-Hügel, ein idyllisches Viertel, das eine
Reihe exklusiver Villen und die Weißrussische Botschaft beherbergte. Mirko nahm den Koffer unter den Arm und schritt zügiger aus. Nach wenigen hundert Metern erklomm er die Stufen eines gut situierten Jugendstilhauses und klingelte.
Ein leises Summen ertönte, und er fand sich in einer Eingangshalle mit hohen Wänden und reichhaltigem Stuck wieder. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich ein Doppelportal. Ein bulliger Mann ließ ihn eintreten, ein zweiter tastete ihn ab.
»Der Koffer«, sagte der erste Mann.
Mirko nickte, öffnete den Aktenkoffer und zeigte dem Leibwächter das säuberlich darin geschichtete Geld.
»Eine Million«, sagte er. »Dollar, wie vereinbart.«
Der Leibwächter nickte. Mirko schloss den Koffer wieder und folgte den Männern in ein angrenzendes Zimmer, das mit teuren Möbeln eingerichtet war und wie ein wohnliches Büro wirkte. Hinter einem Schreibtisch erhob sich ein stattlicher Mann mit schütterem Haar und Schnurrbart.
»Herr Biçic«, sagte er freundlich. »Ich hoffe, man hat Sie mit allem gebührendem Respekt empfangen.«
»Es ließ zu wünschen übrig, Herr Abgeordneter.« Mirko, der in diesem Haus als Stanislaw Biçic bekannt war, ging unaufgefordert zu einem der antiken Stühle, die vor dem Schreibtisch für Besucher vorgesehen waren, und machte es sich darauf bequem. »Für eine Transaktion, wie wir sie hier vollziehen, gehen Ihre Gorillas ziemlich herb mit einem um. Ich bin es nicht gewohnt, abgetastet zu werden wie ein Kleingauner. Hatte ich vergessen zu erwähnen, dass meine Regierung auch in Zukunft Geschäfte mit Ihnen machen will?«
Sein Gegenüber wirkte bestürzt. »Es tut mir leid, ich…« Er schickte einen vernichtenden Blick zu den beiden Männern, die Mirko hereingebracht hatten. »Was fällt euch ein? Hatte ich was von Filzen gesagt?«
Die beiden zuckten zusammen.
»Wir dachten…«
»Ihr denkt, und genau das ist das Problem. Raus mit euch! Herr Biçic ist ein willkommener Gast in diesem Hause.«
Die Männer verließen das Büro wie geprügelte Hunde.
»Wie viele von den Jungs haben Sie hier noch versteckt?«, fragte er beiläufig.
»Keinen. Die zwei sind schon zu viel.« Der Mann schüttelte den Kopf und breitete entschuldigend die Hände aus. »Wirklich, es ist mir peinlich. Möchten Sie etwas trinken, Herr Biçic? Wie war Ihr Flug?«
»Ich habe nicht darauf geachtet. Danke, Sie sind sehr freundlich, aber ich bin etwas in Eile.« Mirko klopfte mit der flachen Hand auf den Koffer. »Da drin ist eine Million Dollar. Ihre übereifrigen Leute hatten schon das Vergnügen, einen Blick hineinzuwerfen. Schwamm drüber. Wir haben erfreut zur Kenntnis genommen, dass der YAG in Deutschland eingetroffen ist, und sehen die Million weniger als vereinbarten Obolus für Ihre Bemühungen, sondern vielmehr als Anzahlung für unsere weitere Zusammenarbeit. Vorausgesetzt natürlich, Sie haben Interesse.«
Der Abgeordnete strahlte ihn an.
»Aber selbstverständlich!«, rief er aus. »Sprechen Sie. Was ist es, was ich für Sie tun kann?«
Mirko schlug die Beine übereinander. »Sie sollten als Erstes Ihr Misstrauen ablegen, mein Lieber. Sonst werden Sie überhaupt nichts mehr für mich tun.«
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