Colfax nutzte es nach Kräften aus. Er hatte komfortable Möbel erhalten, einen Fernsehapparat, und täglich wurden ihm die neuesten Zeitungen und Magazine gebracht.
Der Sergeant stellte das Tablett auf den für zwei Personen gedeckten Tisch und machte dieselbe Bemerkung wie jeden Tag. »Scheint eßbar zu sein, Sir.«
Colfax lächelte höflich und setzte sich an den Tisch. Kaum durchgebratenes Roastbeef, genau wie er es mochte, Kartoffelpüree und Yorkshire-Pudding. Er wartete, bis sich der Sergeant einen Stuhl herangezogen und auf die andere Seite des Tisches gesetzt hatte. Der Sergeant ergriff Messer und Gabel, schnitt ein Stück Fleisch ab und begann zu essen. Auch eine von Generalmajor Wallaces Ideen. Thomas Colfax hatte seinen eigenen Vorkoster. Wie die Könige vergangener Jahrhunderte, dachte er. Er sah zu, wie der Marinesergeant das Roastbeef, die Kartoffeln und den Pudding probierte. »Wie schmeckt es?«
»Um die Wahrheit zu sagen, Sir, habe ich mein Fleisch lieber gut durch.«
Colfax ergriff sein eigenes Besteck und begann zu essen. Der Sergeant hatte keinen Geschmack. Das Fleisch war perfekt zubereitet, das Püree cremig und heiß, der Yorkshire-Pudding ein Gedicht. Colfax griff nach dem Meerrettich und streute ihn dünn über das Fleisch.
Es passierte nach dem zweiten Bissen. Plötzlich merkte Colfax, daß etwas ganz und gar nicht stimmte. In seinem Mund schien plötzlich ein Feuer zu explodieren, das sich durch den ganzen Körper fraß. Seine Kehle zog sich zu, schockartig gelähmt, und er schnappte nach Luft. Thomas Colfax umklammerte seinen Hals und versuchte, dem Sergeant mitzuteilen, was passierte, aber er brachte kein Wort hervor. Das Feuer breitete sich immer schneller und weiter aus, erfüllte ihn mit unsäglichen Qualen. In einer grauenhaften Zuckung versteifte sich sein ganzer Körper, und er stürzte nach hinten zu Boden.
Der Sergeant betrachtete ihn einen Augenblick, ehe er sich vorbeugte und Thomas Colfax' Augenlid hochhob, um sicherzugehen, daß er tot war. Dann erst schrie er nach Hilfe.
Der Flug 246 der Singapore Airlines landete um halb acht Uhr morgens auf dem Heathrow Airport in London. Die anderen Passagiere wurden gebeten, auf den Sitzen zu bleiben, bis Jennifer und die beiden FBI-Beamten das Flugzeug verlassen und das Sicherheitsbüro des Flughafens erreicht hatten. Jennifer gierte geradezu nach einer Zeitung, um herauszufinden, was zu Hause los war, aber ihre beiden schweigenden Begleiter schlugen ihr die Bitte ab und weigerten sich auch, in ein Gespräch verwickelt zu werden.
Zwei Stunden später stiegen die drei Reisenden in ein Flugzeug der TWA, Ziel New York.
Im Gerichtsgebäude am Foley Square fand sich ein Krisenstab zusammen. Unter den Anwesenden waren Adam Warner, Robert Di Silva, Generalmajor Roy Wallace und ein halbes Dutzend weiterer Vertreter vom FBI, dem Justizministerium und dem Schatzministerium.
»Wie, zum Teufel, konnte das passieren?« Robert Di Silvas Stimme zitterte vor Wut. Er wandte sich an den Generalmajor. »Sie wußten genau, wie wichtig Colfax für uns war.« Der Angesprochene breitete hilflos die Hände aus. »Wir haben jede nur mögliche Vorsichtsmaßnahme getroffen, Sir. Wir prüfen gerade nach, wie sie Zyanwasserstoffsäure in die...«
»Es ist mir scheißegal, wie sie es getan haben! Colfax ist tot!« Der Mann vom Schatzministerium wollte wissen: »Was bedeutet Colfax' Tod für uns?«
»Eine ganze Menge«, antwortete Di Silva. »Einen Mann in den Zeugenstand zu holen, ist eine Sache. Einen Haufen Hauptbücher und Berichte vorzuzeigen, eine ganz andere. Sie können Ihren Arsch darauf verwetten, daß irgendein gerissener Anwalt behaupten wird, die Bücher seien gefälscht.«
»Wie machen wir jetzt also weiter?«
»Wir machen weiter wie bisher«, antwortete Di Silva. »Jennifer Parker ist auf dem Rückweg von Singapur. Wir haben genug in der Hand, um sie für immer wegzustecken. Und während sie untergeht, werden wir dafür sorgen, daß sie Michael Moretti mit sich reißt.« Er wandte sich an Adam. »Halten Sie das nicht auch für das Beste, Senator?« Adam war übel geworden. »Entschuldigen Sie mich.« Er verließ den Raum mit schnellen Schritten.
Der durch übergroße Ohrenschützer behütete Bodenlotse winkte den Jumbo 747 mit seinen beiden Signalkellen an die wartende Treppe. Das Flugzeug rollte bis zu einem auf den Asphalt gemalten Kreis, und auf ein Zeichen würgte der Pilot die vier Pratt & Whitney-Düsen ab.
Im Inneren des Flugzeugs drang die Stimme einer Stewardeß aus den Lautsprechern. »Meine Damen und Herren, wir sind soeben in New York Kennedy Airport gelandet. Wir danken Ihnen, daß Sie mit TWA geflogen sind. Wir bitten Sie, bis zur nächsten Ansage in Ihren Sitzen zu bleiben. Danke sehr.« Protestgemurmel erhob sich. Einen Augenblick später wurden die Türen von der Bodencrew geöffnet. Die beiden FBIBeamten, die mit Jennifer im vorderen Teil des Flugzeugs gesessen hatten, standen auf. Einer von ihnen wandte sich an Jennifer und sagte: »Gehen wir.«
Neugierig sahen die Passagiere zu, wie die drei Fluggäste die Maschine verließen. Einige Minuten später ertönte wieder die Stimme der Stewardeß aus den Lautsprechern. »Wir danken Ihnen für Ihre Geduld. Sie können jetzt aussteigen.«
Am Seiteneingang des Flughafens wartete eine Limousine der Regierung und fuhr geradewegs zum Metropolitan-Gefängnis an der Park Row 150, die mit dem Gerichtsgebäude am Foley Square verbunden war.
Nachdem Jennifer für das Album fotografiert worden war und ihre Fingerabdrücke hinterlassen hatte, sagte einer der FBIAgenten: »Es tut uns leid, aber wir können Sie nicht hierbehalten. Wir haben Befehl, Sie nach Riker's Island zu bringen.«
Die Fahrt nach Riker's Island verlief schweigend. Jennifer saß auf dem Rücksitz zwischen den beiden FBI-Beamten. Sie sagte nichts. Nur ihr Verstand raste. Die beiden Männer hatten während der ganzen Reise über den Ozean kein Wort gesagt, so daß Jennifer nicht die geringste Ahnung hatte, in welchen Schwierigkeiten sie steckte. Sie wußte nur, daß es ernst war, denn einen Auslieferungsbescheid erreichte man nicht ohne weiteres.
Sie konnte nichts für sich tun, solange sie im Gefängnis saß. Deswegen mußte sie als allererstes auf Kaution freikommen.
Sie fuhren über die Brücke nach Riker's Island, und Jennifer blickte auf die vertraute Szenerie, die sie schon hundertmal auf dem Weg zu ihren Mandanten gesehen hatte. Jetzt war sie selbst die Gefangene.
Aber nicht lange, dachte Jennifer. Michael wird mich rausholen. Die beiden FBI-Beamten begleiteten Jennifer in das Aufnahmegebäude, und einer von ihnen reichte dem Wärter den Haftbefehl. »Jennifer Parker.«
Der Wärter warf einen Blick darauf. »Wir haben Sie erwartet, Miß Parker. Untersuchungszelle drei ist für Sie reserviert.«
»Ich habe das Recht auf einen Anruf.« Der Wärter nickte zu dem Telefon auf dem Schreibtisch. »Klar.« Jennifer hob den Hörer ab und betete innerlich, daß Michael Moretti zu Hause sein möge. Sie begann zu wählen.
Michael Moretti hatte auf Jennifers Anruf gewartet. Während der letzten vierundzwanzig Stunden hatte er an nichts anderes denken können. Er hatte in jedem Augenblick gewußt, wo sie war - wann sie in London gelandet war, wann ihr Flugzeug Heathrow verlassen und in New York aufgesetzt hatte. Er hatte an seinem Schreibtisch gesessen und Jennifer im Geist auf ihrem Weg nach Riker's Island verfolgt. Er hatte sich ausgemalt, wie sie das Gefängnis betreten hatte. Er wußte, daß sie verlangen würde, ein Gespräch zu führen, ehe sie in die Zelle gesperrt wurde. Sie würde ihn anrufen. Mehr verlangte er nicht. Binnen einer Stunde würde er sie freihaben, und sie würde sich auf dem Weg zu ihm befinden. Michael Moretti lebte nur noch für den Augenblick, in dem sie durch die Tür trat.
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