Der Inspektor zeigte seine Kennmarke vor; zusammen mit der drängenden Menge wurden er und Ellery in das kleine Foyer des Theaters gezogen. Neben dem Kassenschalter stand Panzer; auf dem Gesicht des Geschäftsführers stand ein breites Lächeln. Höflich und bestimmt war er darum bemüht, die lange Schlange hinter der Kasse möglichst schnell in Richtung Kartenkontrolle zu bewegen. Auf einer Seite stand übermäßig schwitzend der altehrwürdige Portier und blickte äußerst verwirrt. Die Kassierer arbeiteten mit letzter Kraft. In eine Ecke des Foyers gezwängt befand sich Harry Neilson im ernsten Gespräch mit drei jungen Männern, die offensichtlich von der Presse waren.
Panzer erspähte die beiden Queens und eilte zu ihrer Begrüßung heran. Auf eine gebieterische Geste vom Inspektor hin stockte er und kehrte dann nach einem verständnisvollen Nicken zur Kasse zurück. Ellery stand brav in der Schlange an, um die zwei reservierten Eintrittskarten an der Kasse abzuholen. Inmitten einer drängenden Menge betraten sie den Zuschauerraum.
Madge O’Connell fiel vor Schreck fast um, als Ellery die beiden Tickets mit dem unmißverständlichen Aufdruck LL32 Links und LL30 Links vorzeigte. Der Inspektor mußte lächeln, als sie sich etwas ungeschickt mit den Karten zu schaffen machte und ihm ein wenig verängstigt einen Blick zuwarf. Sie führte sie über den dichten Teppich zu dem Gang ganz auf der linken Seite, wies ihnen schweigend die äußersten beiden Sitze der letzten Reihe zu und machte sich davon. Die beiden Männer setzten sich, legten ihre Hüte in die Drahtgestelle unter den Sitzen und lehnten sich gemütlich zurück – allem Anschein nach zwei Stillvergnügte in Erwartung eines blutrünstigen Spektakels.
Der Zuschauerraum war völlig ausverkauft. Kleinere Grüppchen wurden noch die Gänge hinabgeführt und nahmen rasch die noch freien Plätze ein. Erwartungsvoll reckten sich die Hälse in Richtung der Queens, die unbeabsichtigt zum Mittelpunkt eines ganz und gar unerwünschten Interesses wurden.
»Verdammt!« schimpfte der alte Mann. »Wir hätten nach Beginn der Vorstellung kommen sollen.«
»Du bist wirklich zu empfindlich gegenüber dem Beifall der Menge, mon père «, lachte Ellery. »Mir macht es nichts aus, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen.« Er schaute auf seine Armbanduhr; sie tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Es war genau 8.25 Uhr. Sie machten es sich auf ihren Sitzen gemütlich. Nach und nach gingen die Lichter aus. Die Unruhe im Publikum machte einer erwartungsvollen Stille Platz. Als es völlig dunkel war, öffnete sich der Vorhang vor einer unheimlich wirkenden halbdunklen Bühne. In die Stille hinein knallte ein Schuß; der erstickende Schrei eines Mannes ließ so manchen im Publikum nach Luft schnappen. ›Spiel der Waffen‹ hatte seinen inzwischen allgemein bekannten turbulenten Anfang genommen.
Trotz der Voreingenommenheit seines Vaters genoß Ellery ganz entspannt die leichte Kost dieses Sensationsstücks auf dem Platz, an dem sich drei Abende zuvor die Leiche Monte Fields befunden hatte. Der Klang der schönen vollen Stimme von James Peale, der auf der Bühne in einer Abfolge sich zuspitzender Ereignisse agierte, erfüllte ihn in ihrer packenden Kunstfertigkeit mit Begeisterung. Eve Ellis ging offensichtlich völlig in ihrer Rolle auf; gerade sprach sie voll zarter Erregung mit Stephen Barry, dessen hübsches Gesicht und angenehme Stimme bei einem jungen Mädchen direkt rechts neben dem Inspektor einen Ausdruck der Bewunderung hervorriefen.
Hilda Orange stand in schreiende Farben gekleidet – so wie es ihre Rolle verlangte – in einer Ecke der Bühne. Die Komische Alte trottete ziellos über die Bühne. Ellery beugte sich zu seinem Vater hinüber. »Das ist eine gut besetzte Inszenierung«, flüsterte er. »Schau dir nur diese Mrs. Orange an!«
Das Stück ging mit Volldampf weiter. Mit einem ohrenbetäubenden Gewirr aus Worten und Geräuschen ging der erste Akt zu Ende. Der Inspektor schaute auf seine Uhr, als die Lichter wieder angingen. Es war 9.05 Uhr.
Er erhob sich; Ellery folgte ihm träge. Madge O’Connell, die so tat, als würde sie die beiden nicht bemerken, öffnete die schweren Eisentüren, und das Publikum begann in die nur schwach beleuchteten Seitengänge hinauszuströmen. Ellery und sein Vater schlenderten mit den anderen hinaus. Ein livrierter Boy hinter einem hübschen Stand voller Pappbecher pries seine Ware mit betont gedämpfter Stimme an. Es war Jess Lynch, der Junge, der über Monte Fields Wunsch nach Ginger Ale ausgesagt hatte.
Ellery schlenderte bis hinter die Eisentür. Zwischen der Tür und der Backsteinmauer befand sich ein kleiner Spalt. So konnte er feststellen, daß die Hauswand, die den Seitengang auf der vom Theater abgewandten Seite begrenzte, mindestens sechs Stockwerke hoch und von keiner Öffnung durchbrochen war. Der Inspektor kaufte sich an dem Stand einen Orangensaft. Jess Lynch fuhr erschrocken zusammen, als er ihn erkannte; Inspektor Queen grüßte ihn freundlich.
Die Leute standen in kleineren Grüppchen beieinander; ihre Haltung schien ein merkwürdiges Interesse an ihrer Umgebung zu verraten. Der Inspektor hörte, wie eine Frau in einer Mischung aus Faszination und Furcht bemerkte: »Genau hier draußen soll er an dem Montag abend gestanden und sich einen Orangensaft gekauft haben!«
Drinnen ertönte die Glocke zum zweiten Akt, und diejenigen, die in den Seitengang gekommen waren, um Luft zu schnappen, eilten nun wieder zurück in den Zuschauerraum.
Bevor er sich hinsetzte, warf der Inspektor noch schnell einen Blick über den rückwärtigen Teil des Zuschauerraumes hinweg zum Fuß der Treppe, die hinauf zum Balkon führte. Auf der ersten Stufe stand wachsam ein kräftiger junger Mann in Livree.
Der zweite Akt begann voller Getöse. In bewährter Manier ließ sich das Publikum mitreißen oder hielt den Atem an, während sich auf der Bühne ein wahres schauspielerisches Feuerwerk entlud. Auf einmal schienen auch die Queens völlig von der Handlung gefesselt zu sein. Beide, Vater und Sohn, beugten sich voller Anspannung und mit aufmerksamem Blick nach vorne. Um 9.30 Uhr schaute Ellery auf seine Uhr; beide lehnten sich wieder entspannt zurück, während das Stück weiter vorandonnerte.
Um genau 9.50 Uhr erhoben sie sich, nahmen ihre Hüte und Mäntel und schlichen sich aus ihrer Reihe in den rückwärtigen Teil des Zuschauerraumes. Eine Reihe von Leuten stand dort, denen der Inspektor zulächelte, wobei er insgeheim die Macht der Presse verwünschte. Madge O’Connell, die blasse Platzanweiserin, stand steif gegen eine Säule gelehnt und starrte mit leerem Blick vor sich hin.
Zusammen mit seinem Sohn ging der Inspektor auf Panzer zu, der in der Tür zu seinem Büro stand und entzückt die ausverkauften Reihen betrachtete. Der Inspektor gab ihm ein Zeichen hineinzugehen und betrat selbst rasch mit Ellery dicht hinter sich den kleinen Vorraum. Der Ausdruck des Entzückens wich aus Panzers Gesicht.
»Ich hoffe, der Abend hat sich für Sie gelohnt?« fragte er nervös.
»Gelohnt? Nun – das hängt davon ab, was Sie darunter verstehen.« Der alte Mann machte eine knappe Handbewegung und ging durch die zweite Tür voran in Panzers Büro. »Hören Sie, Panzer«, sagte er und schritt in dem kleinen Raum erregt auf und ab, »haben Sie einen Plan des Zuschauerraums zur Hand, auf dem jeder einzelne Sitz mit Nummer und alle Ausgänge eingezeichnet sind?«
Panzer blickte erstaunt. »Ich glaube schon. Einen Augenblick.« Er machte sich an einem Aktenschrank zu schaffen, durchstöberte einige Mappen und brachte schließlich einen großen, zweigeteilten Plan des Theaters – ein Teil für das Erdgeschoß, der andere für den Balkon – hervor.
Der Inspektor schob den zweiten Teil ungeduldig beiseite und beugte sich zusammen mit Ellery über den Plan des Parketts. 1
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