»Ich habe diese Möglichkeit zu Cronins Vorteil angeführt«, gab Ellery zurück. Er spreizte seine Finger kunstvoll auf dem Tisch und schloß die Augen. »Es ist nämlich so, daß wir das Gebiet unserer Suche so weit einengen müssen, bis wir eindeutig sagen können: ›Hier müssen sie sein.‹ Das Büro, der Tresor und das Postfach konnten ausgeschlossen werden. Wir wissen aber, daß Field es sich nicht erlauben konnte, die Papiere an einem nur schwer zugänglichen Ort aufzubewahren. Ich könnte das nicht beschwören für die Papiere, die Sie suchen, Cronin; aber mit den Papieren, die wir suchen, ist das was anderes. Nein, Field hatte sie irgendwo in seiner Nähe … Und um noch einen Schritt weiterzugehen: Es ist durchaus angemessen, davon auszugehen, daß er alle seine wichtigen Geheimpapiere in ein und demselben Versteck aufbewahrte.«
Cronin kratzte sich am Kopf und nickte zustimmend. »Wir sollten nun einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, meine Herren.« Ellery machte eine Pause, als wollte er seinen nächsten Äußerungen mehr Nachdruck verleihen. »Da wir das Gebiet unserer Nachforschungen unter Ausschluß aller möglichen Verstecke bis auf ein einziges eingeengt haben, müssen sich die Papiere in diesem einen Versteck befinden … Das steht wohl außer Frage.«
»Wo ich jetzt Gelegenheit habe, darüber nachzudenken«, bemerkte der Inspektor, dessen gute Laune auf einmal einer gedrückten Stimmung gewichen war, »vielleicht waren wir doch nicht so sorgfältig bei unserer Suche, wie wir hatten sein können.«
»Wir sind auf der richtigen Spur«, sagte Ellery bestimmt. »Dessen bin ich mir so sicher, wie heute Freitag ist und es in dreißig Millionen Haushalten Fisch zum Abendessen geben wird.«
Cronin schaute ihn verwirrt an. »Ich verstehe Sie nicht ganz, Mr. Queen. Was meinen Sie damit, daß es nur noch ein mögliches Versteck gibt?«
»Fields Wohnung, Cronin«, antwortete Ellery gelassen. »Dort sind die Papiere.«
»Aber gerade darüber habe ich gestern noch mit dem Staatsanwalt gesprochen«, entgegnete Cronin, »und der sagte, daß Sie Fields Wohnung auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden haben.«
»Das ist nur zu wahr«, sagte Ellery. »Wir haben Fields Wohnung durchsucht und nichts gefunden. Das Problem ist, daß wir nicht an der richtigen Stelle gesucht haben, Cronin.«
»Nun, zum Donnerwetter, wenn Sie die Stelle jetzt kennen, dann nichts wie hin!« rief Cronin und sprang von seinem Stuhl auf.
Der Inspektor klopfte dem rothaarigen Mann freundlich aufs Knie und wies auf den Stuhl. »Setzen Sie sich, Tim«, wies er ihn an. »Ellery gibt sich nur wieder seinem Lieblingsspiel, dem Schlußfolgern, hin. Er weiß genau so wenig wie Sie, wo sich die Papiere befinden. Er spekuliert nur … In der Kriminalliteratur«, fügte er mit einem traurigen Lächeln hinzu, »nennt man das die ›Kunst der Schlußfolgerung‹.«
»Es hat den Anschein«, brummte Ellery, während er Tabakqualm vor sich her blies, »daß ich schon wieder herausgefordert werde. Nichtsdestotrotz, obwohl ich noch nicht wieder in Fields Wohnung gewesen bin, beabsichtige ich, mit der freundlichen Erlaubnis von Inspektor Queen, dorthin zurückzukehren und die anrüchigen Dokumente zu finden.«
»Was diese Papiere anbelangt …«, begann der alte Mann, wurde aber durch ein Klingeln an der Türe unterbrochen. Djuna führte Sergeant Velie herein, der von einem schmächtigen, verstohlen blickenden jungen Mann begleitet wurde, der vor Angst zitterte. Der Inspektor sprang auf und fing die beiden ab, bevor sie das Wohnzimmer betreten konnten. Cronin blickte erstaunt auf, als der Inspektor fragte: »Ist das der Bursche, Thomas?« und der Detective mit einer Art grimmigen Humor antwortete: »In voller Lebensgröße, Inspektor.«
»Sie trauen sich zu, in eine Wohnung einzubrechen, ohne erwischt zu werden, nicht wahr?« fragte der Inspektor freundlich und faßte den neu angekommenen Gast am Arm. »Sie sind der richtige Mann für mich.«
Der verstohlen um sich blickende junge Mann schien vor Angst zu erstarren. »Hören Sie, Inspektor, Sie wollen mich doch nicht reinlegen, oder?« stotterte er.
Der Inspektor lächelte ihn beruhigend an und brachte ihn hinaus in die Diele. Im Flüsterton führten sie ein recht einseitiges Gespräch, bei dem der Fremde nach jedem zweiten Wort des alten Mannes zustimmend brummte. Cronin und Ellery konnten vom Wohnzimmer aus den Schimmer eines kleinen weißen Papierbogens erkennen, der aus der Hand des Inspektors in die des jungen Mannes wanderte.
Der Inspektor kehrte flotten Schrittes zu ihnen zurück. »Alles in Ordnung, Thomas. Du kümmerst dich um den Rest und sorgst dafür, daß unser Freund keine Schwierigkeiten bekommt … Nun, meine Herren –«
Der Inspektor nahm wieder Platz. »Bevor wir uns Fields Wohnung zuwenden, meine Lieben«, sagte er nachdenklich, »möchte ich noch einige Dinge klarstellen. Wie uns Benjamin Morgan erzählt hat, betätigte sich Field zwar als Rechtsanwalt, bezog seine enormen Einkünfte aber aus Erpressungen. Wußten Sie das, Tim? Monte Field schröpfte Dutzende von prominenten Persönlichkeiten um einen Betrag von wahrscheinlich mehreren hunderttausend Dollar. Offen gesagt, Tim, sind wir davon überzeugt, daß das Motiv für den Mord an Field im Bereich dieser geheimen Aktivitäten zu suchen ist. Er wurde zweifelsohne von jemandem ermordet, der um große Summen erleichtert wurde und das nicht länger ertragen konnte.
Sie wissen so gut wie ich, Tim, daß eine Erpressung nur funktionieren kann, wenn der Erpresser belastende Dokumente in der Hand hat. Darum sind wir ja so sicher, daß irgendwo Unterlagen versteckt sein müssen – und Ellery behauptet eben, daß sie in Fields Wohnung sind. Nun, wir werden sehen. Sollten wir diese Unterlagen schließlich finden, werden die Dokumente, hinter denen Sie schon so lange her sind, wahrscheinlich auch ans Tageslicht kommen, wie Ellery das vorhin schon angedeutet hat.«
Er dachte einen Augenblick nach. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, Tim, wie sehr ich hinter diesen verflixten Dokumenten her bin. Sie sind ungeheuer wichtig für mich. Sie würden eine Menge Fragen beantworten, bei denen wir immer noch völlig im dunkeln tappen …«
»Dann nichts wie los!« rief Cronin und sprang von seinem Stuhl auf. »Ist Ihnen eigentlich klar, Inspektor, daß ich seit Jahren aus diesem einen Grunde an Fields Fersen klebe? Das wird der glücklichste Tag meines Lebens sein … Nun los, Inspektor!«
Weder Ellery noch sein Vater schienen es jedoch besonders eilig zu haben. Sie zogen sich in ihre Schlafzimmer zurück, um sich anzukleiden, während Cronin im Wohnzimmer aufgeregt auf und ab ging. Wäre Cronin nicht so sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, hätte er bemerkt, daß die gute Stimmung, in der sich die beiden Queens bei seiner Ankunft befunden hatten, einer düsteren Schwermut gewichen war. Vor allem der Inspektor schien nicht auf der Höhe zu sein; er war nervös und ließ sich ausnahmsweise einmal Zeit dabei, eine Ermittlung auf ihrem unaufhaltsamen Weg voranzutreiben.
Schließlich waren die beiden Queens fertig angekleidet. Die drei Männer gingen auf die Straße hinunter. Als sie ein Taxi bestiegen, seufzte Ellery.
»Hast du Angst, daß du dich blamierst, mein Sohn?« brummte der alte Mann und vergrub seine Nase im Mantelkragen.
»Daran denke ich gar nicht«, gab Ellery zurück. »Es geht um etwas anderes … Wir werden die Papiere schon finden, keine Sorge.«
»Ich hoffe bei Gott, Sie behalten recht!« rief Cronin leidenschaftlich aus, und das waren die letzten Worte, die gesprochen wurden, ehe das Taxi vor dem eleganten Haus in der 75. Straße anhielt.
Die drei Männer nahmen den Aufzug in den vierten Stock und betraten den menschenleeren Flur. Der Inspektor schaute sich schnell nach allen Seiten um und klingelte dann an Fields Wohnung. Zunächst rührte sich nichts, obwohl ein undeutliches Rascheln hinter der Tür zu hören war. Plötzlich wurde sie aufgerissen, und das gerötete Gesicht eines Polizisten erschien, dessen Hand sich nervös in Richtung seiner Revolvertasche bewegte.
Читать дальше