»Keine Angst, Mann – wir beißen nicht!« maulte der Inspektor, der aus einem für Cronin – selbst nervös und zum Zerreißen gespannt – nicht nachvollziehbarem Grund völlig verärgert war.
Der uniformierte Polizist salutierte. »Ich wußte nicht, ob da nicht jemand rumschnüffeln wollte, Inspektor«, murmelte er undeutlich.
Die drei Männer betraten die Diele, und die schlanke weiße Hand des alten Mannes stieß ungestüm die Türe hinter ihnen zu.
»Irgend etwas passiert?« fragte der Inspektor knapp, während er auf die Wohnzimmertür zuging und in das Zimmer hineinspähte.
»Absolut nichts, Sir«, sagte der Polizist. »Ich wechsle mich hier mit Cassidy alle vier Stunden ab, und manchmal kommt Detective Ritter vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.«
»Oh, tatsächlich, das macht er?« gab der alte Mann zurück. »Hat jemand versucht, sich Einlaß zu verschaffen?«
»Nicht seitdem ich hier bin, Inspektor – auch nicht bei Cassidy«, antwortete der Polizist nervös. »Und wir lösen uns seit Dienstag morgen permanent ab. In dieser Wohnung war keine Menschenseele außer Ritter.«
»Lassen Sie sich in den nächsten ein bis zwei Stunden draußen in der Diele nieder, Officer«, befahl der Inspektor. »Besorgen Sie sich einen Stuhl, und machen Sie ein Nickerchen, wenn Sie wollen – aber sollte irgend jemand sich an der Türe zu schaffen machen, geben Sie uns unverzüglich Bescheid.«
Der Polizist schleifte einen Stuhl aus dem Wohnzimmer in die Diele, setzte sich mit dem Rücken zur Vordertür, legte die Arme übereinander und schloß ungezwungen die Augen.
Die drei Männer schauten sich mit finsterem Blick um. Die Diele war klein, aber mit Möbelstücken und Krimskrams vollgestopft: ein mit ungelesen wirkenden Büchern vollgestelltes Regal, ein zierlicher Tisch, auf dem eine ›modernistische‹ Lampe und einige geschnitzte, elfenbeinerne Aschenbecher standen, zwei Empire-Stühle, ein eigentümliches Möbel, halb Anrichte und halb Sekretär, einige Kissen und kleinere Teppiche. Der Inspektor stand da und betrachtete dieses merkwürdige Durcheinander mit einem gequälten Gesichtsausdruck.
»So, mein Sohn, ich denke, wir drei gehen die Suche am besten an, indem wir alles Stück für Stück durchsehen, wobei jeder den anderen kontrolliert. Ich bin nicht sehr optimistisch, das sage ich dir gleich.«
»Der Herr von der Klagemauer«, seufzte Ellery. »Der Kummer steht groß und deutlich auf diesem edlen Antlitz geschrieben. Sie und ich, Cronin – wir beide sind nicht so pessimistisch, nicht wahr?«
Cronin knurrte. »Ich würde sagen, es sollte weniger geredet und mehr gehandelt werden, bei allem Respekt für diese kleinen Familienstreitigkeiten.«
Ellery starrte ihn bewundernd an. »Sie sind nicht aufzuhalten, wenn Sie sich etwas vorgenommen haben, Mann. Mehr wie eine Wanderameise als ein menschliches Wesen. Und das, obwohl der arme Field im Leichenschauhaus liegt … Allons, enfants!«
Sie machten sich unter zustimmendem Nicken des Polizisten an die Arbeit. Die meiste Zeit über arbeiteten sie schweigend. Ellerys Gesicht drückte gedämpfte Hoffnung aus, das des Inspektors trübselige Gereiztheit, Cronins Gesichtsausdruck zeugte von seiner unbezwingbaren Wut. Ein Buch nach dem anderen wurde aus dem Regal gezogen und sorgfältig inspiziert – lose Blätter herausgeschüttelt – Einbände genauestens untersucht – Buchdeckel durchstochen. Da über zweihundert Bücher vorhanden waren, nahm die Suche eine längere Zeit in Anspruch. Nach einer gewissen Zeit schien Ellery geneigt zu sein, seinem Vater und Cronin die unangenehmere Arbeit der Durchsuchung zu überlassen, während er seine Aufmerksamkeit mehr und mehr auf die Titel der Bücher richtete. Dabei stieß er auf einmal einen Freudenschrei aus und hielt ein dünnes, billig eingebundenes Buch in die Höhe. Cronin schoß sofort mit funkelndem Blick darauf zu, der Inspektor sah mit einem Anflug von Interesse auf. Ellery hatte jedoch nur ein weiteres Werk über Handschriftenkunde entdeckt.
Der alte Mann sah seinen Sohn mit unausgesprochener Neugierde an, die Lippen nachdenklich gespitzt. Cronin wandte sich seufzend wieder dem Buchregal zu. Ellery jedoch blätterte geschwind die Seiten durch und tat einen weiteren Aufschrei. Die beiden Männer schauten ihm über die Schulter. Auf den Rändern mehrerer Seiten waren mit Bleistift geschriebene Notizen zu erkennen. Es handelte sich um Namen: ›Henry Jones‹, ›John Smith‹, ›George Brown‹. Sie wiederholten sich mehrere Male auf den Rändern der Seite, als hätte der Schreiber unterschiedliche Schreibweisen ausprobiert.
»Hatte Field nicht eine wahrhaft kindliche Freude am Herumkritzeln?« fragte Ellery, während er fasziniert auf die niedergeschriebenen Namen starrte.
»Du hast doch wie immer deine Hintergedanken dabei, mein Sohn«, bemerkte der Inspektor müde. »Ich weiß, was du damit sagen willst, aber ich sehe nicht, daß uns das weiterhilft. Höchstens – beim Teufel, das ist wirklich eine Idee!«
Er beugte sich vor und nahm mit frischerwachtem Interesse die Suche wieder auf. Ellery tat es ihm lächelnd nach. Cronin starrte beide verständnislos an.
»Ich schlage vor, ihr weiht mich in diese Sache ein, Leute«, sagte er betrübt.
Der Inspektor richtete sich auf. »Ellery ist da auf etwas gestoßen, das – sollte es sich bewahrheiten – ein Glückstreffer für uns sein könnte und zusätzliches Licht auf Fields Charakter wirft. Dieser rücksichtslose Halunke! Schauen Sie, Tim – wenn ein Mann ein eingefleischter Erpresser ist und Sie finden wiederholt Hinweise darauf, daß er sich äußerst aktiv mit Handschriftenkunde beschäftigt, was würden Sie daraus schließen?«
»Sie meinen, daß er auch ein Fälscher ist?« fragte Cronin stirnrunzelnd. »In all den Jahren, die ich hinter ihm her war, bin ich nie auf den Gedanken gekommen.«
»Er war kein gewöhnlicher Fälscher«, lachte Ellery. »Ich glaube kaum, daß Monte Field jemals eine falsche Unterschrift unter einen Scheck oder so etwas in der Art gesetzt hat. Er war ein zu gerissener Bursche, um einen so folgenschweren Fehler zu begehen. Viel wahrscheinlicher ist, daß er die echten Dokumente, die eine bestimmte Person belasteten, zur weiteren Verwendung für sich behielt, indem er sie kopierte und nur die Kopien an ihren ursprünglichen Besitzer verkaufte.«
»Und wenn das so ist, Tim«, fügte der Inspektor bedeutungsvoll hinzu, »und wir diesen Dokumentenschatz hier irgendwo finden sollten – was ich allerdings sehr bezweifle –, werden wir höchstwahrscheinlich auch die echten Papiere finden, deretwegen Field ermordet wurde!«
Cronin sah seine beiden Begleiter enttäuscht an. »Das sind mir ein paar ›Wenns‹ zu viel«, sagte er schließlich kopfschüttelnd.
Schweigend nahmen sie die Suche wieder auf.
Nach einer Stunde kontinuierlicher, ermüdender Arbeit mußten sie sich widerstrebend eingestehen, daß in der Diele nichts versteckt war. Sie hatten nicht einen Millimeter bei ihrer Suche ausgelassen. Die Innenseiten der Lampen und des Buchregals, der zierliche Tisch, der Sekretär von innen und außen, die Kissen, sogar die Wände waren durch den Inspektor, dessen hochgradiger Erregungszustand an seinen zusammengekniffenen Lippen und geröteten Wangen zu erkennen war, sorgfältigst abgesucht worden.
Sie wandten sich nun dem Wohnzimmer zu. Sie nahmen sich zunächst die große Kleiderkammer direkt neben der Diele vor. Der Inspektor und Ellery gingen zum zweiten Mal die Überzieher, Mäntel und Umhänge durch, die dort auf der Stange hingen. Nichts. Darüber auf der Ablage befanden sich die vier Hüte, die sie am Dienstag morgen untersucht hatten: der alte Panamahut, der steife Filzhut, die zwei Hüte aus weichem Filz. Wieder nichts. Cronin ließ sich auf seine Knie fallen, um in die dunkleren Ecken der Kammer spähen zu können, klopfte die Wände ab und suchte nach Anzeichen dafür, daß sich jemand am Holz zu schaffen gemacht hatte. Immer noch nichts. Der Inspektor nahm einen Stuhl zu Hilfe, um die Ecken oberhalb der Hutablage einsehen zu können. Er stieg wieder hinunter und schüttelte den Kopf.
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