»Das hat er verdammt noch mal nicht verdient«, sagte Ellery murrend. »Aber so geht man wohl üblicherweise vor.«
»Du vergißt die Papiere, mein Sohn – die Papiere«, entgegnete der Inspektor mit einem Augenzwinkern.
In freundlichem Tonfall sprach er mit der Telefonvermittlung, und nur wenig später klingelte sein Telefon.
»Guten Tag, Mr. Morgan«, sagte Queen vergnügt. »Wie geht es Ihnen heute?«
»Inspektor Queen?« fragte Morgan nach einem leichten Zögern. »Ihnen auch einen guten Tag. Wie geht der Fall voran?«
»Das nenne ich offen gefragt, Mr. Morgan«, lachte der Inspektor. »Ich wage es jedoch nicht zu antworten – Sie würden mir sonst Unfähigkeit vorwerfen … Mr. Morgan, hätten Sie heute abend zufällig Zeit?«
»Nun – eigentlich«, erklang etwas zögernd die Stimme des Rechtsanwalts, die nun kaum mehr hörbar war. »Ich werde natürlich zu Hause zum Abendessen zurückerwartet, und ich glaube, meine Frau hat für heute einen Bridgeabend organisiert. Warum fragen Sie, Inspektor?«
»Ich dachte daran, Sie zu bitten, mit meinem Sohn und mir gemeinsam zu Abend zu speisen«, sagte der Inspektor bedauernd. »Könnten Sie sich nicht vielleicht für die Dinnerzeit freimachen?«
Morgan sagte schließlich nach einer längeren Pause: »Wenn es unbedingt nötig ist, Inspektor?«
»So würde ich es nicht gerade ausdrücken, Mr. Morgan … Aber ich wüßte es zu schätzen, wenn Sie die Einladung annehmen würden.«
»Oh.« Morgans Stimme klang nun etwas entschiedener. »Wenn das so ist, stehe ich Ihnen zur Verfügung, Inspektor. Wo werde ich Sie treffen?«
»Sehr schön, wirklich ausgezeichnet!« sagte Queen. »Wie wäre es um sechs bei Carlos?«
»Sehr gut, Inspektor«, antwortete der Anwalt ruhig und hängte den Hörer ein.
»Ich kann mir nicht helfen, mir tut der arme Bursche leid«, murmelte der alte Mann.
Ellery murrte. Ihm war nicht nach irgendwelchen Sympathiebekundungen. Der Besuch von Mrs. Angela Russo hatte einen üblen Nachgeschmack bei ihm hinterlassen.
Pünktlich um sechs Uhr trafen Inspektor Queen und Ellery im gastlichen Foyer von Carlos’ Restaurant auf Benjamin Morgan.
Niedergeschlagen saß er in einem roten Ledersessel und starrte auf seine Handrücken. Traurig ließ er seine Lippen hängen; auch seine weit auseinanderstehenden Knie ließen ihn irgendwie bedrückt erscheinen.
Als die beiden Queens näher kamen, unternahm er den löblichen Versuch zu lächeln. Er erhob sich mit einer Entschlossenheit, die seinen scharf beobachtenden Gastgebern verriet, daß er innerlich auf ein ganz bestimmtes Verhalten eingestellt war. Der Inspektor sprudelte über vor guter Laune – teils, weil er eine aufrichtige Zuneigung zu dem beleibten Rechtsanwalt verspürte, teils, weil er es als seine Pflicht empfand. Ellery war wie gewöhnlich unverbindlich.
Die drei Männer begrüßten sich wie alte Freunde. »Freut mich, daß Sie kommen konnten, Morgan«, sagte der Inspektor. »Ich muß mich wirklich bei Ihnen dafür
entschuldigen, daß ich Sie von Ihrem Essen zu Hause entführt habe. Es gab mal eine Zeit …« Er seufzte, und sie setzten sich.
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Morgan mit mattem Lächeln. »Sie wissen wahrscheinlich, daß jeder verheiratete Mann es sich auch gerne einmal alleine schmecken läßt … Nun, Inspektor, was ist es denn, worüber Sie mit mir reden wollten?«
Mahnend erhob der alte Mann einen Finger. »Warten wir noch mit dem Geschäftlichen«, sagte er. »Ich vermute, Louis hält zunächst eine erstklassige Stärkung für uns bereit – nicht wahr, Louis?«
Das Dinner war ein kulinarischer Genuß. Der Inspektor, der den Feinheiten der Kochkunst wenig Beachtung schenkte, hatte die Auswahl des Menüs seinem Sohn überlassen. Ellerys Interesse an schmackhaftem Essen und dessen Zubereitung konnte man fast schon als fanatisch bezeichnen. Folglich speisten die drei Männer ausgezeichnet. Morgan schien zunächst sein Essen kaum anrühren zu wollen, wurde aber mehr und mehr empfänglich für die köstlichen Speisen, die ihm aufgetragen wurden, bis er schließlich ganz und gar seine Sorgen vergaß und mit seinen Gastgebern plauderte und lachte.
Bei Café au lait und vorzüglichen Zigarren – von Ellery behutsam, vom Inspektor zurückhaltend und von Morgan in vollen Zügen genossen – kam Queen endlich zur Sache.
»Morgan, ich will gar nicht erst um den heißen Brei herumreden. Ich vermute, Sie wissen, warum ich Sie heute abend hergebeten habe. Ich will ganz offen zu Ihnen sein. Ich möchte von Ihnen eine ehrliche Antwort, warum Sie uns verschwiegen haben, was am Sonntag, dem 23. September, abends vorgefallen ist.«
Bei den Worten des Inspektors war Morgan sofort ernst geworden. Er legte die Zigarre auf den Aschenbecher und blickte den alten Mann mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Müdigkeit an.
»Es mußte ja so kommen«, sagte er. »Ich hätte es wissen müssen, daß Sie früher oder später dahinterkommen wurden. Ich nehme an, Mrs. Russo hat Ihnen das aus Wut erzählt.«
»Das hat sie«, gab Queen offen zu. »Als Privatmann lehne ich es ab, mir solche Klatschgeschichten anzuhören; als Polizist bin ich dazu verpflichtet. Warum haben Sie mir das verschwiegen, Morgan?«
Morgan zog mit dem Löffel bedeutungslose Linien auf der Tischdecke. »Weil, nun – weil ein Mann immer solange ein Dummkopf bleibt, wie man ihm nicht das Ausmaß seiner Dummheit vor Augen führt«, sagte er ruhig und schaute auf. »Ich habe gehofft und gebetet – ich nehme an, das ist nur allzu menschlich –, daß dieser Vorfall ein Geheimnis zwischen mir und einem Toten bleiben würde. Und dann zu erfahren, daß diese Hure in seinem Schlafzimmer verborgen war und jedes meiner Worte mit angehört hatte – das hat mir so ziemlich allen Wind aus den Segeln genommen.«
Er trank hastig ein Glas Wasser und fuhr fort. »Bei Gott, Inspektor, es ist die reine Wahrheit – ich dachte, ich sei in eine Falle gelockt worden und könnte selbst nichts zu meiner Entlastung beitragen. Ich befand mich dort im Theater, nicht weit von der Stelle, an der mein schlimmster Feind ermordet wurde. Für meine Anwesenheit konnte ich nur eine scheinbar verrückte und ziemlich dürftige Erklärung vorbringen. Und dann fiel mir schlagartig ein, daß ich sogar noch an dem Abend zuvor eine Auseinandersetzung mit dem Toten gehabt hatte. Ich saß ziemlich in der Klemme, glauben Sie mir, Inspektor.«
Der Inspektor sagte nichts. Ellery hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und betrachtete Morgan düster. Morgan unterdrückte mühsam seine Erregung und fuhr fort.
»Deshalb habe ich nichts gesagt. Können Sie es einem Mann verdenken, daß er stillschweigt, wenn ihn seine Rechtserfahrung ganz entschieden davor warnt, an einer Kette von gegen ihn selbst gerichteten Indizienbeweisen mitzuflechten?«
Queen schwieg noch einen Augenblick und sagte dann: »Das wollen wir vorläufig beiseite lassen. Warum gingen Sie am Sonntag abend zu Field?«
»Aus einem sehr guten Grund«, antwortete der Rechtsanwalt verbittert. »Am Donnerstag vergangener Woche rief Field mich in meinem Büro an und teilte mir mit, daß er für eine wichtige geschäftliche Unternehmung auf der Stelle fünfzigtausend Dollar beschaffen müsse. Fünfzigtausend Dollar!« Morgan lachte trocken. »Nachdem er mich schon so gemolken hatte, daß ich kaum noch etwas besaß … Und seine ›geschäftliche Unternehmung‹ – können Sie sich vorstellen, was das war? Wenn Sie Field so gut gekannt hätten wie ich, würden Sie die Antwort darauf auf den Rennplätzen und an der Börse finden … Vielleicht täusche ich mich auch. Vielleicht brauchte er dringend Geld und kassierte noch einmal gründlich ab. Wie auch immer, er wollte fünfzigtausend Dollar – für diese Summe wollte er mir dann tatsächlich die Originaldokumente aushändigen! Es war das erste Mal, daß er so etwas auch nur angedeutet hatte. Vorher hatte er immer nur frech sein Schweigen gegen Geld geboten. Diesmal war es ein Angebot Geld gegen Ware.«
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