»Jetzt hören Sie mir mal zu!« sagte die Frau plötzlich. »Auf die weiche Tour kommen Sie bei mir auch nicht weiter, Inspektor. Ich habe Sie am Dienstag morgen belogen. Sehen Sie, ich habe nämlich nicht geglaubt, daß Sie jemanden haben, der mir länger auf den Fersen bleiben kann. Es war reine Glückssache, und ich hatte eben Pech. Sie haben herausgefunden, daß ich gelogen habe und wollen nun wissen, was der Grund dafür war. Ich werde es Ihnen erzählen – oder vielleicht auch nicht!«
»Oho!« rief Queen leise aus. »Sie fühlen sich also sicher genug, mir Bedingungen stellen zu wollen. Sie können mir aber glauben, Mrs. Russo, daß Sie sich selbst gerade eine Schlinge um Ihren äußerst charmanten Hals legen!«
»Was?« Ihre Maske war nun beinahe gefallen; auf dem Gesicht der Frau zeigte sich nur noch Verwirrung. »Sie haben nichts gegen mich in der Hand und wissen das verdammt genau. In Ordnung – ich habe Sie angelogen – aber was fangen Sie damit an? Ich gebe es ja auch zu. Ich werde Ihnen sogar erzählen, was ich im Büro von diesem Morgan gemacht habe, wenn Ihnen das irgendwie weiterhilft! Ich bin nun einmal ein ehrlicher Mensch, Herr Inspektor!«
»Meine liebe Mrs. Russo«, gab der Inspektor gequält mit einem leicht verächtlichen Lächeln zurück, »wir wissen bereits, was Sie an diesem Morgen in Mr. Morgans Büro gemacht haben, so daß Sie uns damit keinen so übergroßen Gefallen erweisen werden … Ich bin wirklich überrascht darüber, daß Sie sich in einem solchen Ausmaß selbst belasten wollen, Mrs. Russo. Erpressung ist ein ziemlich schwerwiegendes Vergehen!«
Die Frau wurde leichenblaß. Sie erhob sich halb von ihrem Stuhl und umklammerte seine Armlehnen.
»Morgan hat also doch geplaudert, das Schwein!« fauchte sie. »Und ich habe ihn für schlauer gehalten. Ich werde ihn fertigmachen, das versprech’ ich Ihnen!«
»Langsam fangen wir an, dieselbe Sprache zu sprechen«, brummte der Inspektor, während er sich nach vorne beugte. »Und was wissen Sie nun über unseren Freund Morgan?«
»Ich weiß etwas über ihn – aber sehen Sie, Inspektor, ich kann Ihnen einen wirklich heißen Tip geben. Sie würden doch einer armen, einsamen Frau keine Anklage wegen Erpressung anhängen wollen, nicht wahr?«
Der Inspektor machte ein langes Gesicht. »Aber, aber, Mrs. Russo!« sagte er. »Sagt man denn so etwas! Ich kann Ihnen natürlich keine Versprechungen machen …« Er erhob sich und baute sich drohend vor ihr auf. Sie schrak ein wenig zurück. »Sie werden mir erzählen, was Sie auf dem Herzen haben, Mrs. Russo«, sagte er bedächtig, »auf die bloße Chance hin, daß ich Ihnen vielleicht meine Dankbarkeit in der allgemein üblichen Art erweisen werde. Fangen Sie jetzt bitte an zu reden, aber die Wahrheit, ist das klar?«
»Oh, ich weiß nur zu gut, daß Sie knallhart sind, Inspektor!« sagte sie murrend. »Aber ich gehe davon aus, daß Sie auch fair sind … Was wollen Sie wissen?«
»Alles.«
»Gut, es ist ja nicht mein Begräbnis«, sagte sie wieder etwas gefaßter. Eine Pause trat ein, während Queen sie erwartungsvoll ansah. Mit seiner Anschuldigung, daß sie Morgan erpreßt habe, hatte er erfolgreich einen Versuchsballon gestartet; jetzt meldeten sich leise Zweifel bei ihm. Sie wirkte zu selbstsicher, als daß es nur um Details aus Morgans Vergangenheit gehen konnte, wie es der Inspektor zu Beginn des Gesprächs angenommen hatte. Er schaute zu Ellery hinüber und bemerkte sofort, daß sein Sohn nicht mehr las, sondern seine Augen auf Mrs. Russo geheftet hatte.
»Inspektor«, sagte Mrs. Russo mit triumphierender Stimme, »ich weiß, wer Monte Field umgebracht hat!«
»Was heißt das?« Queen sprang von seinem Sessel auf, während ein feines Rot in seine bleichen Wangen schoß. Ellery richtete sich ruckartig auf seinem Stuhl auf; sein wachsamer Blick richtete sich auf das Gesicht der Frau. Das Buch, in dem er gelesen hatte, glitt ihm aus den Fingern und fiel mit einem dumpfen Knall auf den Boden.
»Ich sagte, ich weiß, wer Monte Field getötet hat«, wiederholte Mrs. Russo, die offensichtlich die Aufregung, die sie verursacht hatte, genoß. »Es war Benjamin Morgan; und ich hörte, wie er Monte an dem Abend, bevor er getötet wurde , bedrohte!«
»Oh!« sagte der Inspektor und setzte sich wieder hin. Ellery hob sein Buch auf und nahm die unterbrochene Lektüre des ›Handbuchs der Handschriftenkunde‹ wieder auf. Es kehrte wieder Ruhe ein. Velie, der Vater und Sohn die ganze Zeit über erstaunt betrachtet hatte, schien die abrupte Veränderung im Verhalten der beiden nicht verstehen zu können.
Mrs. Russo wurde ärgerlich. »Sie denken wohl, ich lüge schon wieder; aber das tue ich nicht!« schrie sie. »Aber ich sage Ihnen, ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie Ben Morgan am Sonntag abend zu Monte sagte, daß er ihn beseitigen würde!«
Der Inspektor war ernst, aber gelassen. »Ich zweifle nicht im geringsten an Ihren Worten, Mrs. Russo. Sind Sie sicher, daß es Sonntag abend war?«
»Sicher?« sagte sie schrill. »Ich weiß es ganz genau.«
»Und wo soll das gewesen sein?«
»In Monte Fields eigener Wohnung war das!« sagte sie bissig. »Ich war den ganzen Sonntag abend mit Monte zusammen. Soweit ich weiß, erwartete er keinen Besuch, weil wir normalerweise keine weiteren Gäste hatten, wenn wir den Abend zusammen verbrachten … Sogar Monte schrak auf, als es ungefähr um elf Uhr klingelte, und sagte: ›Wer um alles in der Welt kann das sein?‹ Wir saßen zu diesem Zeitpunkt im Wohnzimmer. Er stand auf und ging zur Tür, und unmittelbar danach hörte ich draußen die Stimme eines Mannes. Ich nahm an, daß Monte nicht wollte, daß mich jemand sah; so ging ich ins Schlafzimmer und schloß die Tür bis auf einen kleinen Spalt. Ich konnte hören, wie Monte versuchte, den Mann abzuwimmeln. Trotzdem kamen sie schließlich ins Wohnzimmer. Durch den Türspalt konnte ich diesen Morgan sehen – zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, wer er war, aber ich entnahm das später ihrer Unterhaltung. Und hinterher hat Monte es mir auch erzählt.«
Einen Moment hielt sie inne. Der Inspektor hörte ihr gelassen zu; Ellery schenkte ihren Worten nicht die leiseste Aufmerksamkeit. Verzweifelt fuhr sie fort.
»Sie redeten ungefähr eine halbe Stunde miteinander; ich hätte heulen können. Morgan machte einen recht kaltblütigen und gefaßten Eindruck; erst zum Schluß regte er sich auf. Soviel ich verstand, hatte Monte kurz davor von Morgan einen ganzen Haufen Zaster im Austausch gegen einige Papiere verlangt; Morgan sagte, daß er das Geld nicht hätte und auch nicht auftreiben könnte. Er sagte, er hätte sich entschlossen, Monte einen Besuch abzustatten, um der Sache ein für allemal ein Ende zu bereiten, Monte war ziemlich sarkastisch und gemein – er konnte furchtbar gemein sein, wenn er wollte. Morgan wurde immer wütender und wütender, und ich sah, wie er sich kaum noch beherrschen konnte …«
Der Inspektor unterbrach sie. »Aus welchem Grund verlangte Field das Geld?«
»Das würde ich auch gerne wissen, Inspektor«, antwortete sie wütend. »Aber beide waren sehr darauf bedacht, den Grund dafür nicht zu erwähnen … Auf jeden Fall hatte es etwas mit diesen Papieren zu tun, die Monte an Morgan verkaufen wollte. Es ist nicht schwierig zu erraten, daß Monte etwas gegen Morgan in der Hand hatte und versuchte, ihn in die Enge zu treiben.«
Bei der Erwähnung des Wortes ›Papiere‹ war Ellerys Interesse an Mrs. Russos Geschichte neu erwacht. Er hatte das Buch beiseite gelegt und begonnen, aufmerksam zuzuhören. Der Inspektor warf ihm einen kurzen Blick zu, als er sich wieder der Frau zuwandte.
»Und welche Summe verlangte Field, Mrs. Russo?«
»Sie werden es mir nicht glauben«, sagte sie mit einem verächtlichen Lachen. »Monte war da nicht kleinlich. Er wollte
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