»Weiter«, forderte der Inspektor.
»Punkt zwei könnte jedes Kind erraten. Dennoch, auch auf die Gefahr hin, deinen Verstand zu beleidigen … Wenn Fields Hut im Moment nicht im Römischen Theater ist und dort auch seit Montag abend nicht mehr war, muß er notwendigerweise irgendwann im Verlauf dieses Abends mit hinausgenommen worden sein!«
Er machte eine Pause und blickte nachdenklich aus dem Fenster. Auf der Kreuzung von 42. Straße und Broadway regelte ein Polizist den Verkehr.
»Wir haben folglich«, fuhr er locker fort, »das sachliche Fundament für das Problem geschaffen, das uns seit drei Tagen quält: Ist der Hut, nach dem wir suchen, bereits aus dem Theater verschwunden …? Rein dialektisch muß die Antwort lauten – ja, er ist. Er ist in der Mordnacht aus dem Theater verschwunden. Nun kommen wir zu einem größeren Problem – wie konnte er verschwinden, und wann war das?« Er zog an der Zigarette und betrachtete das glühende Ende. »Wir wissen, daß am Montag abend niemand das Römische Theater mit zwei Hüten oder ganz ohne Hut verließ. Genausowenig fiel an der Bekleidung der Personen, die das Theater verließen, etwas Unpassendes auf – das heißt, niemand im Abendanzug kam mit einem Filzhut heraus. Umgekehrt trug auch niemand, der einen seidenen Zylinder bei sich hatte, einen normalen Straßenanzug. Halt dir vor Augen, daß wir in dieser Hinsicht bei niemandem etwas Falsches entdeckt haben. Meinen umwerfenden Verstand führt das unvermeidlich zur dritten grundlegenden Schlußfolgerung: Monte Fields Zylinder hat das Theater auf die natürlichste Weise der Welt verlassen, das heißt, auf dem Kopf eines Mannes, der in der dazu passenden Abendgarderobe steckte!«
Der Inspektor schien sehr interessiert. Er dachte einen Augenblick über Ellerys Behauptung nach. Dann sagte er ernst: »Das bringt uns schon ein Stück weiter, mein Sohn. Du sagst also, daß jemand, der Monte Fields Hut trug, das Theater verließ – eine wichtige und einleuchtende Feststellung. Aber beantworte mir bitte die folgende Frage: Was hat er mit seinem eigenen Hut angefangen, da ja niemand mit zweien hinausging?«
Ellery lächelte. »Du bist jetzt schon ganz nahe an der Lösung unseres kleinen Rätsels, Vater. Aber wir wollen die Spannung noch ein wenig aufrechterhalten. Wir müssen noch über einige andere Probleme nachgrübeln. So kann zum Beispiel derjenige, der mit Monte Fields Zylinder auf dem Kopf hinausging, nur zweierlei gewesen sein – entweder der Mörder selbst oder ein Komplize des Mörders.«
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, murmelte der Inspektor. »Mach weiter.«
»Wenn er der Mörder war, hätten wir somit definitiv sein Geschlecht nachgewiesen und auch die Tatsache, daß er einen Abendanzug trug – ein nicht gerade sehr aufschlußreicher Punkt, da ziemlich viele Männer in diesem Aufzug im Theater waren. Wenn er aber nur der Komplize war, so bleiben für den Mörder folgerichtig zwei Möglichkeiten offen: Entweder war es ein Mann im normalen Straßenanzug, bei dem der Besitz eines Zylinders beim Verlassen des Theaters offenkundig Verdacht erregt hätte, oder aber eine Frau, die natürlich keinen Zylinder bei sich haben konnte!«
Der Inspektor ließ sich zurück in die Lederpolster fallen. »Du immer mit deiner Logik!« sagte er schmunzelnd. »Ich bin schon fast stolz auf dich, mein Sohn – das heißt, ich wäre es ganz bestimmt, wenn du nicht so entsetzlich eingebildet wärst. Mögen die Dinge nun liegen, wie sie wollen, ich möchte jetzt eine Erklärung für deinen kleinen Auftritt in Panzers Büro …«
Seine Stimme wurde leiser, als Ellery sich vorbeugte. Nicht mehr hörbar setzten sie ihre Unterhaltung fort, bis das Taxi vor dem Präsidium hielt.
Kaum hatte Inspektor Queen, der vergnügt die düsteren Korridore mit Ellery an seiner Seite durchschritten hatte, sein winziges Büro betreten, als sich auch schon Sergeant Velie schwerfällig erhob.
»Dachte schon, Sie wären verlorengegangen, Inspektor«, rief er aus. »Dieses Bürschlein Stoates war vor nicht allzu langer Zeit hier; sah ziemlich leidend aus. Sagte, daß sich Cronin in Fields Büro die Haare raufen würde; sie haben immer noch nichts Belastendes in den Akten gefunden.«
»Bleib mir damit nur vom Leibe, Thomas«, sprudelte der Inspektor heraus. »Ich kann mich nicht auch noch mit einer so unwichtigen Sache wie ›wie kriege ich einen Toten hinter Gitter‹ herumschlagen. Ellery und ich …«
Das Telefon klingelte. Queen sprang nach vorne und schnappte sich den Apparat. Während er zuhörte, wich die Farbe aus seinen eingefallenen Wangen, und wieder einmal legte sich seine Stirn in Falten. Ellery beobachtete ihn voller Aufmerksamkeit.
»Inspektor«, erklang die gehetzte Stimme eines Mannes. »Hier spricht Hagstrom. Hab’ nur wenig Zeit – kann nicht viel erzählen. Bin den ganzen Morgen Angela Russo auf den Fersen; war ein hartes Stück Arbeit … Scheint gewußt zu haben, daß ich ihr folge … Vor einer halben Stunde dachte sie, sie hätte mich abgehängt – sie sprang in ein Taxi und raste stadteinwärts davon. … Und hören Sie mal, Inspektor – vor genau drei Minuten hab’ ich gesehen, wie sie Benjamin Morgans Büro betrat!«
»Schnappen Sie sie, sobald sie herauskommt«, schnauzte der Inspektor und knallte den Hörer auf die Gabel. Langsam wandte er sich dann zu Ellery und Velie herum und wiederholte Hagstroms Bericht. Ellerys Gesicht entwickelte sich zu einem Musterbeispiel finsteren Erstaunens. Velie schien unverkennbar erfreut zu sein.
Die Stimme des alten Mannes jedoch klang angestrengt, als er sich schwach auf seinen Drehstuhl setzte und schließlich ächzend sagte: »Was hat das nun wieder zu bedeuten?«
in welchem jemand beschuldigt wird
Detective Hagstrom war ein Mensch von phlegmatischer Natur. Er konnte seine Herkunft bis in die Berge Norwegens zurückverfolgen, wo Gleichmut eine Tugend war und Gelassenheit in höchstem Maße verehrt wurde. Als er aber an der glänzenden Marmorwand im zwanzigsten Stock des Maddern Building lehnte, dreißig Fuß von der in Bronze und Glas gearbeiteten Türe entfernt, die die Aufschrift
Benjamin Morgan Rechtsanwalt
trug, schlug sein Herz ein wenig schneller als gewöhnlich. Er trat nervös von einem Bein auf das andere, während er heftig ein Stück Kautabak kaute. Um die Wahrheit zu sagen, hatte Detective Hagstrom, der in Polizeidiensten bereits die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht hatte, noch niemals seine Hand auf die Schulter einer Frau gelegt mit der Absicht, diese zu verhaften. Er sah daher der auf ihn zukommenden Aufgabe mit einer gewissen Angst entgegen, da er sich nur zu gut an das hitzige Temperament der Dame erinnerte, auf die er nun wartete.
Seine Besorgnis war wohlbegründet. Nachdem er sich etwa zwanzig Minuten im Korridor aufgehalten hatte und sich bereits fragte, ob seine Beute nicht durch einen anderen Ausgang hinausgeschlüpft war, flog die Tür zu Benjamin Morgans Büro plötzlich auf, und es erschien die große, ansehnliche Gestalt von Mrs. Angela Russo. Sie trug ein modisches Tweedkostüm. Ihr sorgfältig zurechtgemachtes Gesicht war vor Zorn entstellt; sie schwang drohend ihre Handtasche, während sie mit energischen Schritten auf die Aufzüge zuging. Hagstrom sah kurz auf seine Uhr. Es war zehn Minuten vor zwölf. In kurzer Zeit würden die Büroangestellten zu ihrer Mittagspause hinausströmen, und er hatte die feste Absicht, seine Festnahme in der ruhigen, leeren Halle vorzunehmen.
Er richtete sich daher auf, zog seine orangeblaue Krawatte zurecht und trat mit gut gespielter Kaltblütigkeit auf die näherkommende Frau zu. Als sie ihn erblickte, verlangsamte sie ihren Gang merklich. In Erwartung eines Fluchtversuchs stürzte Detective Hagstrom auf sie zu. Aber Mrs. Angela Russo war von einem anderen Kaliber. Sie warf den Kopf zurück und trat ihm beherzt entgegen.
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