»Meiner Aussage widerspricht?« fragte Gore scharf und nahm die kalte Zigarre aus dem Mund. »Wer widerspricht ihr?«
»Lassen wir den Namen aus dem Spiel. Wo waren Sie, als Sie hörten, wie das Opfer in den Teich stürzte?«
Gore betrachtete sein Gegenüber mit Erheiterung. »Na, da haben Sie ja anscheinend einen Zeugen. Ich habe den alten Herrn hier« – er wies auf Murray – »durchs Fenster beobachtet. Mir geht gerade erst auf, daß ich ja jetzt keinen Grund mehr habe, es zu leugnen. Wer hat mich gesehen?«
»Ist Ihnen klar, Sir, daß das, was Sie da sagen, Ihnen, wenn es wahr ist, ein Alibi verschafft?«
»So daß ich dann leider nicht mehr als Tatverdächtiger in Frage käme.«
»Leider?« fragte Elliot eisig.
»Ein dummer Witz, Inspektor. Ich bitte um Verzeihung.«
»Darf ich fragen, warum Sie mir den Sachverhalt bisher verschwiegen haben?«
»Das dürfen Sie. Und fragen Sie auch gleich, was ich durch das Fenster gesehen habe.«
»Das verstehe ich nicht.«
Elliot achtete stets darauf, daß sein Scharfsinn nicht zu offensichtlich wurde. Auf Gores Gesicht zeigte sich eine Spur Überdruß. »Um es mit einfachen Worten zu sagen, Inspektor: Seit ich gestern abend dieses Haus betreten habe, hatte ich das Gefühl, daß hier nicht ehrlich gespielt wird. Dieser Herr hier trat ins Zimmer.« Er betrachtete Murray und schien nicht zu wissen, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. »Er erkannte mich. Das habe ich gespürt. Aber mit keinem Wort hat er es bestätigt.«
»Und?«
»Nun, was tat ich? Ich kam – wie Sie so scharfsinnig herausgefunden haben – um die Hausecke, vielleicht eine Minute bevor der Mord geschah.« Er hielt inne. »Nebenbei, haben Sie eigentlich inzwischen entschieden, ob es Mord war?«
»Darüber können wir gleich sprechen. Erzählen Sie weiter.«
»Ich blickte hier hinein und sah Murray mit dem Rücken zu mir sitzen wie eine Puppe; er regte sich nicht. Unmittelbar darauf hörte ich all die Geräusche, die wir schon so oft beschrieben bekommen haben, zuerst das Würgen, zuletzt das Platschen im Wasser. Ich zog mich vom Fenster zurück, nach links hin, und wandte mich um, weil ich sehen wollte, was im Garten vor sich ging. Aber ich blieb, wo ich war. Zu diesem Zeitpunkt kam Burrows schon aus dem Haus gelaufen, zum Teich hin. Ich zog mich zurück, wieder hin zu den Bibliotheksfenstern. Inzwischen schrillten offensichtlich auch im Haus die Alarmglocken. Und was sah ich nun? Ich sah diesen vornehmen, vertrauenswürdig wirkenden Herrn« – wieder nickte er kurz in Richtung Murray –, »wie er mit zwei Heften hantierte, wobei er eines sorgsam in seiner Tasche verstaute, das andere in aller Eile auf den Tisch legte …«
Murray hatte kritisch, doch interessiert zugehört.
»So, so?« sagte er in beinahe teutonischem Tonfall. »Sie glaubten also, ich arbeitete gegen Sie?« Das schien ihm zu gefallen.
»Natürlich. Sie arbeiteten gegen mich … Und wie üblich stellen Sie es harmloser hin, als es war«, erwiderte Gore. Seine Miene verfinsterte sich. »Deshalb zog ich es vor, nicht zu verraten, wo ich gewesen war. Ich wollte mir dieses Wissen aufheben, damit ich etwas in Reserve hatte, für den Fall, daß jemand mit üblen Tricks kam.«
»Haben Sie noch etwas hinzuzufügen?«
»Nein, Inspektor, ich glaube nicht. Der Rest meiner Aussage war die Wahrheit. Darf ich denn fragen, wer mich gesehen hat?«
»Knowles stand am Fenster des Grünen Zimmers«, sagte Elliot, und Gore stieß einen Pfiff durch die Zähne aus. Elliot ließ seinen Blick von Gore zu Murray und weiter zu Welkyn wandern. »Hat einer von Ihnen das hier schon einmal gesehen?«
Er zog einen kleineren Bogen Zeitungspapier aus der Tasche, in den er das blutbefleckte Taschenmesser sorgfältig gewickelt hatte. Er schlug das Papier zurück und zeigte ihnen die Waffe.
Auf den Gesichtern von Gore und Welkyn zeigte sich keinerlei Regung. Doch Murray sog die bärtigen Wangen ein, sah das Beweisstück mit zusammengekniffenen Augen an und rückte seinen Stuhl näher heran.
»Wo haben Sie das gefunden?« fragte Murray eifrig.
»In der Nähe des Tatorts. Kennen Sie es?«
»Hm. Haben Sie es auf Fingerabdrücke untersucht? Nein? Ein Jammer«, sagte Murray, und sein Eifer wurde immer größer. »Würden Sie mir gestatten, es näher anzusehen, wenn ich es mit der gebotenen Vorsicht behandle? Sagen Sie es mir, wenn ich mich täusche. Aber haben nicht Sie, junger Johnny« – er sah Gore an –, »früher ein Messer gehabt, das ganz genauso aussah? Haben Sie es nicht sogar von mir geschenkt bekommen? Und jahrelang immer in der Tasche gehabt?«
»Und ob ich das hatte. Ich habe immer ein Messer in der Tasche«, bestätigte Gore, faßte hinein und holte ein altes Messer hervor, das nur um ein weniges kleiner und leichter war als jenes, das sie vor sich liegen hatten. »Aber …«
»Nun muß ich aber doch«, schaltete Welkyn sich ein und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, »nun muß ich aber doch einmal von den Rechten Gebrauch machen, mit denen Sie mich ausgestattet haben, Sir. Solche Fragen sind abwegig und ungehörig, und als Ihr Rechtsbeistand rate ich Ihnen dringend, nicht darauf zu antworten. Solche Messer gibt es wie Sand am Meer. Ich hatte selbst einmal eines.«
»Aber was ist denn Schlimmes an der Frage?« fragte Gore verblüfft. »Ich habe ein solches Messer gehabt. Es ist mit meinen Kleidern und meinem anderen Besitz mit der Titanic untergegangen. Da ist doch die Vorstellung absurd, dieses Exemplar hier könnte …«
Bevor jemand ihn davon abhalten konnte, hatte Murray ein Taschentuch hervorgezogen, es mit den Lippen angefeuchtet (ein Taschentuch im Mund war eines der Dinge, bei denen sich Page unweigerlich die Zähne zusammenzogen) und einen kleinen Bereich freigewischt, etwa in der Mitte der Klinge. Hervor kamen grob in den Stahl geritzte Buchstaben, und zusammen ergaben sie das Wort
Madeline .
»Das ist Ihres, Johnny«, sagte Murray mit Gusto. »Sie haben den Namen hineingeritzt, als wir einmal eine Steinmetzwerkstatt in Ilford besichtigt haben.«
»Madeline«, sagte Gore noch einmal.
Er öffnete einen Fensterflügel und warf die Zigarre hinaus unter die nassen Bäume. Doch Page konnte für einen Augenblick sein Gesicht sehen, das sich in dem trüben Glas spiegelte: Es war ein seltsames, starres, unergründliches Gesicht, ganz anders als der spöttische Ausdruck, mit dem Gore sonst gern zeigte, um wieviel größer seine Gelassenheit war als diejenige aller, die ihn umgaben. Er wandte sich um.
»Aber was ist denn nun mit dem Messer? Soll das heißen, daß dieser arme, gequälte Gauner, der so gerne anständig geworden wäre, es all die Jahre mit sich herumtrug und sich schließlich am Teich die Kehle damit durchschnitt? Sie scheinen ja überzeugt, daß es sich um Mord handelt, und doch – und doch …«
Er schlug sich nachdenklich mit der flachen Hand aufs Knie.
»Ich will Ihnen verraten, was es ist, meine Herren«, sagte Elliot, »es ist ein absolut unmögliches Verbrechen.«
Er gab ihnen Knowles’ Aussage in allen Einzelheiten wieder. Das Interesse, das Gore und Murray an den Tag legten, stand in krassem Gegensatz zur offensichtlichen Abscheu und der Verwirrung Welkyns. Als Elliot beschrieb, wie das Messer sich gefunden hatte, kam eine spürbare Unruhe in die Gruppe.
»Kein Mensch in der Nähe und doch ermordet«, sagte Gore nachdenklich. Er sah Murray an. »Meister, das ist doch ein Fall ganz nach Ihrem Geschmack. Ich erkenne Sie gar nicht wieder. Vielleicht haben wir uns doch zu lange nicht gesehen; aber früher, da hätten Sie Luftsprünge um den Inspektor gemacht, die kuriosesten Theorien zum besten gegeben, Ihr Bart hätte geknistert vor Energie …«
»Ich bin eben jetzt kein Dummkopf mehr, Johnny.«
»Aber lassen Sie uns doch eine von Ihren Theorien hören. Irgendeine. Sie sind der einzige, der bisher noch überhaupt nichts zu der Sache gesagt hat.«
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