Philippos dachte an den lauen Nachmittag vor ein paar Wochen, als er Neaira zum ersten Mal gesehen hatte. Es war wie eine Vision gewesen. Wie vom Schlag gerührt war er stehengeblieben und hatte zu ihr hinaufgestarrt, bis sie ihm schließlich zuwinkte. Die zarte Thrakerin erinnerte ihn an Daphne, die Tochter des Amphorenhändlers, die er seine ganze Jugend hindurch angebetet hatte. Doch als Sohn eines armen Töpfers war er bei ihrem Vater nie gerne gesehen gewesen. Der Arzt seufzte leise. Er hatte gemeint, daß Daphne seine Gefühle erwidert hatte. Trotzdem hatte sie den dicken Weinhändler geheiratet, den ihr Vater für sie aussuchte. Sie war der Grund dafür gewesen, daß er zur Legion gegangen war.
Er hatte es in Athen nicht mehr ausgehalten. Sie in den Armen dieses geilen, fettbäuchigen Silens zu wissen, das war ihm unerträglich gewesen.
Mehr als zwanzig Jahre waren seitdem vergangen. Längst hatte er die Erinnerung an Daphne in seinem Herzen begraben, bis hin zu jenem Nachmittag, an dem er Neaira begegnet war. Sie war Daphne wie aus dem Gesicht geschnitten.
Zögernd lauschte der Arzt an der Tür der Hetaire. Dionysos schien ihn erhört zu haben! Es war still! Er klopfte und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Neaira kauerte mit angezogenen Beinen auf einem Stuhl, vor dem ein flaches Feuerbecken stand. Ein Windstoß wehte durch die offene Tür und ließ die Kohlen aufglühen.
»Sperr die Aiolosboten aus, mir ist kalt«, murmelte die Thrakerin verdrossen. Philippos gehorchte. Bewundernd glitt sein Blick über die schlanken Glieder der Hetaire. Sie trug einen safranfarbenen Chiton, dessen warmes Gelb das Licht des Sommers eingefangen zu haben schien. Um die Schultern hatte sie ein leuchtend rotes Himation geschlungen. Der Umhang war aus dicker Wolle gefertigt und reichte, so wie sie auf dem Stuhl kauerte, bis zum Boden hinab. Das gelbe Untergewand jedoch war knapp geschnitten, bedeckte kaum die Hälfte ihrer Schenkel und war so zart und durchscheinend, als sei es nicht aus Leinen, sondern aus Sonnenstrahlen gewoben.
Das schmale Gesicht der Hetaire war von dunklen, bis zu den Schultern herabfallenden Locken gerahmt. Das übrige Haar hatte sie kunstvoll hochgesteckt und mit roten Bändern umschlungen.
Überall im Zimmer waren kleine Öllämpchen aufgestellt.
Gemeinsam mit der Feuerschale verbreiteten sie eine schwüle Hitze in dem kleinen Zimmer, dessen Wandmalereien ausschweifende Liebesszenen zwischen bocksbeini-gen Satyrn und Nymphen zeigten.
Draußen rannte eine Sturmböe gegen das Haus an, und ein eisiger Luftzug wehte durch den Spalt unter der Tür herein.
Zitternd zog Neaira das Himation enger um die Schultern. »Du bist der erste, der mich in dieser Nacht besucht, Philippos. Man munkelt, daß die Götter wegen des ägyptischen Frevlers erzürnt seien und daß Zeus den Sturm geschickt hat, um uns zu warnen.«
Philippos ließ seinen Umhang von der Schulter gleiten und strich sich durch das zerzauste Haar. »Ich weiß nicht, vielleicht ist es auch einfach nur ein Sturm, und morgen scheint wieder die Sonne.«
Neaira nickte. »Hoffentlich hast du recht!« Ihre großen, dunklen Augen ruhten auf ihm. »Du begibst dich in Gefahr, wenn du mich besuchst. Die Gefolgsleute des Ptolemaios sind zur Zeit in der Stadt nicht gerne gesehen.«
Der Arzt lächelte. »Ich denke, ich sehe nicht gerade aus wie ein Ägypter. Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Und was den Zorn der Götter angeht . Komm in meine Arme, und du wirst ihn vergessen.« Philippos trat an die breite, gut gepolsterte Kline der Hetaire und ließ sich darauf nieder. Er löste den Gürtel mit dem Geldbeutel daran und hängte ihn über das Lager.
»Hast du Zeit?«
Der Arzt lächelte. »Viel Zeit .«
»Gut.« Neaira warf ihm einen scheuen Blick zu. Vorsichtig schob sie das Kohlenbecken dichter an die Kline heran. »Ich möchte, daß du mich zuerst einfach nur in die Arme nimmst. Ich weiß, daß du nicht wirklich mich liebst, sondern daß du zu mir kommst, weil ich deiner Daphne ähnlich sehe. Sei in dieser Nacht so zu mir, wie du zu ihr gewesen wärst, wenn du sie hättest trösten wollen. Sei zärtlich und .«
Philippos legte den Finger auf seine Lippen und gebot ihr zu schweigen. Dann winkte er Neaira zu sich. Die Hetaire ließ das Himation von ihrer Schulter gleiten und erhob sich. Die Spitzen ihre Brüste zeichneten sich dunkel unter dem Stoff des Chiton ab. Anders als die Barbarenweiber und Sklavenmädchen der Legionsbordelle war sie rasiert. Kein dunkles Haar verunzierte ihre Kteis, wucherte unter ihren Achseln oder auf ihren schlanken Beinen. »Komm zu mir, meine Geliebte.«
Neaira streifte den Chiton ab. Sie trug jetzt nur noch ihre silbernen Armreife und ein schmales, rotes Lederband, das um ihren linken Oberschenkel geschlungen war. Daran baumelte ein flaches Elfenbeinamulett, halb so groß wie ein Frauenfinger, das einen erigierten Phallos zeigte. Philippos lächelte.
Das Amulett würde den Segen der Aphrodite beschwören, wenn sie beieinanderlagen, und verhindern, daß seine Kraft vor der Zeit erlahmte.
Er schloß sie in seine Arme und zog Neaira zu sich auf das Lager herab. In ihren Armen konnte er die Welt vergessen. Es war, als hätte es die zwanzig Jahre bei der Legion nicht gegeben. Noch einmal war er der verliebte Jüngling, der die unerreichbare Tochter des Amphorenhändlers anbetete.
Neairas hochgesteckte Haare hatten sich gelöst und strichen ihm durchs Gesicht. Sie dufteten nach Myrte, dem Kräuteröl, das auch die Göttin Aphrodite bevorzugte. Philippos’ Finger gruben sich in das lange Haar der Hetaire, streichelten ihre blassen Wangen und glitten dann tiefer zu ihren straffen Brüsten. Seine Lippen suchten die ihren. Sie waren rot wie frisch vergossenes Blut. Gierig tastete seine Zunge nach ihren Lippen. Sie schmeckten noch nach dem Maulbeersaft, den sie zum Färben benutzt hatte.
Ihre schlanken Finger fanden ihren Weg unter den Saum seiner Tunica und glitten über seine Schenkel langsam höher.
Philippos stöhnte vor Lust. Ungeschickt mühte er sich, das lästige Kleidungsstück loszuwerden, bis Neaira ihm schließlich half, die Tunica über seinen Kopf zu streifen.
Sie ließ sich auf seinem Schoß nieder. Ihre Finger strichen ihm zärtlich durch den Bart, doch ihr Blick wirkte plötzlich traurig.
Philippos hielt inne. »Was ist mit dir, meine zarte Nymphe?«
Sie lächelte verlegen. »Nichts. Ich dachte nur ...« Sie schüttelte den Kopf. »Wirst du mir einen Wunsch erfüllen?«
»Was immer du willst! Du bist mein schönster Traum, das Licht meines Lebens . Was immer du wünschst, ich werde es dir erfüllen.«
»Dann nenne mich Daphne, solange ich in deinen Armen liege.«
»Aber, was soll .«
Neaira strich ihm über die Lippen. »Wirst du mir meinen Wunsch erfüllen?«
Philippos fing ihre Fingerspitzen mit den Lippen ein und hauchte leise: »Ja, meine Liebste ... Daphne.«
Samu war schon fast eingeschlafen, als ein scharrendes Geräusch sie aufhorchen ließ. Draußen tobte der Sturm mit unverminderter Wut. Pfeifend strich der Wind um die prächtige Villa, und irgendwo in der Finsternis erklang das Schaben von dürren Ästen, die über einen der hölzernen Fensterläden schrammten. Hatte sie sich getäuscht? War es nur der Sturmwind gewesen, den sie gehört hatte?
Angestrengt versuchte sie, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Sie hätte das Öllämpchen neben ihrer Kline nicht löschen dürfen! Da war das Geräusch wieder, und jetzt wußte sie auch, was es war! Jemand hatte die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet und nach einem Moment des Verharrens leise wieder geschlossen.
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