Würde ein Mann, der genau wußte, daß man ihn für den Umgang mit einer Priesterin mit dem Tod bestrafen würde, einen so verräterischen Text offen herumliegen lassen? So leichtfertig würde doch niemand sein, der seine Sinne noch beieinander hatte! Aber waren Verliebte noch bei Sinnen? Nachdenklich setzte der Arzt die Durchsuchung des Zimmers fort.
An der Wand links von der Tür stand eine mit schönen Schnitzereien versehene Truhe. Der einzige Ort, an dem man in dieser winzigen, übersichtlichen Kammer etwas verstecken konnte. Der Deckel knirschte leise, als Philippos ihn öffnete, und ein Duft nach Zedern und Wacholder schlug ihm entgegen. In der Truhe lagen einige ordentlich gefaltete Gewänder, an denen noch der Geruch der Öle haftete, mit denen sich Buphagos zu Lebzeiten gesalbt hatte. Vorsichtig hob der Grieche die Gewänder aus der Truhe und stapelte sie neben sich auf dem Boden. Ganz zu unterst fand er einen Papyrusbogen, der um einen mit Löwenköpfen geschmückten Holzstab gewickelt war.
Hatte er gefunden, was er suchte?
Vor Erregung zitterten die Finger des Arztes, als er die purpurne Wollschnur löste, die die Schriftrolle zusammenhielt.
Um so größer war seine Enttäuschung, als er auf dem Papyrus nichts als eine Auflistung von Möbeln, Stoffen, Schmuck und Salbölen fand. Wieder nichts! Verdrossen rollte Philippos den Papyrus zusammen, legte ihn in die Truhe zurück und stapelte die Kleider wieder darüber. Was war das für ein Mann, dessen größtes Geheimnis eine langweilige Liste von Tributgeschenken an den Pharao war!
Ziellos schweiften die Blicke des Griechen durch das Zimmer.
Dicht neben dem Fenster, an der Wand gegenüber der Tür, stand ein Tisch, auf dem ordentlich aufgereiht die Schminkutensilien des Toten verteilt waren. Philippos schlenderte hinüber und betrachtete kopfschüttelnd die kleinen Töpfchen und Tiegel. Was für merkwürdige Gefäße! Der Arzt griff nach einer kleinen Holzstatue, die einen knienden Sklaven im Lendenschurz zeigte. Auf dem Rücken trug der Mann einen riesigen Korb, der sich mit einem hölzernen Deckel verschließen ließ. Neugierig schob der Grieche den Deckel zur Seite. Eine schwarzsilberne Salbe glänzte darunter. Das Zeug, das sich diese ägyptischen Narren unter die Augen strichen.
Philippos verschloß das Gefäß wieder und stellte es auf den Tisch zurück. Dicht daneben lag eine schwarze Schieferpalette, die mit Kranichköpfen verziert war. Ein kleiner Rest von grüner Paste klebte in einem Winkel der Palette. Hinter ihr stand ein geöffnetes Holzkästchen, aus dem drei schlanke Alabasterphiolen ragten. Vermutlich Behältnisse für Duftöl. In einer flachen Schale aus Bronze lagen zwei fingerdicke, rötliche Stifte. Sie waren aus Bienenwachs und rotem Ocker, der Farbe, die die Ägypter für Wangen und Lippen verwendeten.
Daneben waren einige Spatel und langstielige Löffel aus Elfenbein sauber nebeneinander aufgereiht. Instrumente, die man zum Anrühren und Auftragen der Schminken brauchte. Alle Gefäße überragend stand mitten auf dem Tisch ein Handspiegel. Sein Griff, der in einen breiten Sockel mündete, zeigte eine fein modellierte Frauengestalt in einem langen, vor der Brust verknoteten, Gewand. Zwischen den langen Haaren der Gestalt wuchsen seltsame Tierohren hervor, und ein Hörnerpaar umrahmte die große, leicht ovale Silberscheibe, die aus dem Haupt der Frau wuchs.
Philippos betrachtete sein Antlitz in dem polierten Silber. Die grauen Haare an seinen Schläfen waren dichter geworden, seit er zum letzten Mal in einen Spiegel geblickt hatte. Vielleicht sollte er sie färben? Sie machten einen alten Mann aus ihm. Der Metallgriff des Spiegels lag kalt in der Hand des Griechen.
Diese Ägypter! Alle ihre Götter hatten irgend etwas von Tieren an sich. Was für ein merkwürdiges Volk! Philippos spreizte seinen Daumen zur Seite und blickte der Götterfigur ins Gesicht. Tierohren ... Sein Atem stockte. Jetzt, von nahem, erkannte er, aus welchem Metall der Griff gefertigt war. Es war keine polierte Bronze, wie er zuerst angenommen hatte, sondern lauteres Gold! Erschrocken stellte er den Spiegel auf den Tisch zurück. Woher beim Zeus hatte Buphagos das Geld, sich einen solchen Spiegel zu leisten?
Ein Geräusch an der Tür ließ Philippos herumfahren. Eine schlanke, junge Frau war in das Zimmer getreten. Philippos kannte sie nur zu gut. Thais, die einflußreichste Dame am Hof des Ptolemaios. Auf Wunsch des Königs mußte sie mit allen Ehren behandelt werden, doch war sie in den Augen des Griechen nichts weiter als eine Hetaire. Niemand wußte, woher sie kam, und sie selbst hatte mindestens ein Dutzend widersprechender Gerüchte über ihre Herkunft verbreitet. Soweit Philippos wußte, war sie vor der Flucht aus Alexandria an den Hof des Königs gekommen und hatte mit ihrem kunstfertigen Flötenspiel seine Gunst errungen. Wie Aspasia, die einst das Herz des Perikles gewonnen hatte, so verstand sich auch Thais durchaus auf mehr als nur die Künste der Liebe. Trotz ihrer Jugend war sie erstaunlich gebildet, kannte die Schriften der Philosophen, beherrschte mehrere Sprachen und Instrumente und war ein steter Quell der Kurzweil. Doch obwohl sie nicht allein dem König ihre Zuneigung schenkte, hatte sie sich Philippos bislang immer verweigert.
Thais schien einen Augenblick lang nicht minder überrascht als er zu sein. Dann hoben sich drohend ihre Augenbrauen.
»Bist du hierhergekommen, um einen Toten zu bestehlen?«
»Du solltest nicht von dir auf andere schließen, schöne Tochter der Nacht«, entgegnete Philippos. »Darf ich erfahren, was mir die Ehre verschafft, dir hier zu begegnen?«
»Allein die Tatsache, daß ich nicht um deine Anwesenheit wußte, alter Bock. Ich hoffe für dich, daß du dich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen läßt. Ich weiß sehr wohl, was Buphagos in seinem Zimmer verwahrte, und wie ich sehe, hast du seinen Homer bereits an dich genommen.«
Philippos räusperte sich. »Ich bin im Auftrag des Königs hier. Ich soll mich um die ...«
»Im Auftrag des Neuen Osiris?« Thais lachte schallend. »Du solltest nicht Götter in deine Lügen verstricken, Grieche. Ich selbst habe den ganzen Morgen an der Seite des Göttlichen verbracht. Hätte er dir irgend etwas befohlen, ich wüßte es!«
»Meine Befehle sind von gestern abend.« Philippos spürte kalten Angstschweiß seinen Nacken hinunterrinnen.
Es war wirklich nicht klug gewesen, sich auf Ptolemaios zu berufen.
Dieses kleine Flittchen hatte zu viel Einfluß auf den Herrscher, und es wäre ihr ein leichtes, seine Lügen aufzudecken.
Die Hetaire lächelte böse. »Gestern abend? Wir werden sehen, ob der Neue Osiris sich erinnert. Er ist ein Gott, und Götter vergessen nichts!«
Der Arzt zuckte mit den Schultern und versuchte, möglichst gelassen zu wirken. »Frage ihn ruhig nach mir. Übrigens schätze ich, daß ihn deine Anwesenheit hier nicht minder interessieren wird als die meine. Was macht eine Frau mit deinem Ruf im Zimmer eines Toten? An einem Ort also, an den sich kaum jemand freiwillig begeben wird. Könnte es sein, daß schon bald noch jemand durch diese Türe treten wird? Einen ungestörteren Ort dürfte es innerhalb der Mauern dieser Villa kaum geben.«
»Du interessierst dich eindeutig zu sehr für Dinge, die nicht die Sache eines Arztes sind, Philippos! Wenn du darauf bestehst, können wir gerne hier warten, und du wirst sehen, wie wenig Wahrheit in deinen ehrlosen Unterstellungen liegt. Übrigens, stimmt es, was man sich von dir erzählt? Teilen Frauen wirklich nur noch dann mit dir das Lager, wenn du ihnen Geld dafür bietest?«
Philippos errötete. Dieses Weib hatte eine Zunge wie ein Gladius! Er durfte sich jetzt keine Blöße geben! Mit Mühe zwang er sich zu einem Lächeln. »Ich denke, diese Geschichten sind genauso wahr wie das, was man sich über dich erzählt. Oder stimmt es etwa, daß du dich vor ein paar Tagen, auf Wunsch unseres göttlichen Königs, so wie Europa den Liebesbezeugungen eines Stieres hingegeben hast?« Natürlich war die Geschichte erfunden, doch war der Grieche sicher, daß man sie, in Anbetracht all der anderen Gerüchte, die um die Hetaire kursierten, bei Hof begierig aufnehmen würde.
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