Bischof Leodegar schien ein wenig erleichtert. »Ein glänzender Vorschlag«, lobte er.
»Ein schändlicher Vorschlag«, kam es bissig von Bischof Ordgar. »Du, Leodegar, ein Franke, solltest dich schämen, diesen Welschen Vorschub zu leisten. Die sind ebenso Feinde deines Volkes, wie sie Feinde meines Volkes sind.«
»Eine Schande, so zu reden«, klang es entrüstet von vielen.
»Wir sind alle vereint in Christus« erklärte Abt Dabhoc, »oder willst du, Bischof Ordgar, das etwa leugnen? Wenn dem so ist, dann bestätigst du, was Abt Cadfan dir vorgehalten hat, und kannst nicht am Konzil teilnehmen.«
»Ich habe meine Vollmacht von Theodor von Canterbury erhalten, und der ist unmittelbar vom Heiligen Vater in Rom ernannt worden. Wer aber hat dir die Vollmacht erteilt, du Barbar?« Bischof Ordgar zog drohend die Augenbrauen zusammen.
»Meine Vollmacht ist die Kirche, der ich diene«, begann der Abt. »Und .«
Noch einmal stieß Bischof Leodegar mit seinem Bischofsstab heftig auf den Boden. Er warf dem Nuntius einen fragenden Blick zu, der zuckte die Achseln und nickte dann. Leodegar nahm das als Einverständnis, erhob sich und wandte sich an die Delegierten.
»Hiermit schließe ich unsere heutige Zusammenkunft. Einen Tag und eine Nacht lang werden wir beten und darüber nachdenken, zu welchem Behufe wir uns versammelt haben. Wenn wir uns hier wieder einfinden, werden wir unsere Schreiber und unsere Ratgeber mitbringen und werden Streitigkeiten, wie eben gehabt, unterlassen. Sollte jemand versuchen, den Streit fortzusetzen, wird er von den Beratungen des Konzils ausgeschlossen, ganz gleich, aus welchem Winkel der Welt er kommen mag. Meine Brüder, lasst euch diesen Rat ans Herz legen: In medio tu-tissimus ibis - wählt den sicheren Mittelweg. Geht nun auseinander und ziehet hin in Frieden im Namen des Allerheiligsten, unter dessen strengem und wachsamem Auge wir zusammenkommen, um ihn zu ehren.«
Die Äbte und Bischöfe standen auf und empfingen fast widerstrebend den Segen Bischof Leodegars - und erst recht grollten ihm die Hauptgegner.
Als sich die Versammlung auflöste, ging Abt Segdae auf Abt Dabhoc zu. »Da haben wir nun die lange Reise unternommen, nur um dem Streit der Britannier mit den Sachsen beizuwohnen.«
Abt Dabhoc hob die Schultern. »Ich habe Mitgefühl mit den Britanniern, denn es stimmt, was Cadfan sagt. Sowohl die Angeln als auch die Sachsen greifen ständig die Königreiche der Britannier an.«
»Ich hätte mir gewünscht, Cadfan und Ordgar als Männer der Kirche hätten sich diplomatischer verhalten und sich den Fragen zugewandt, die hier zu lösen sind.«
Die beiden Geistlichen waren aus der Kapelle in einen Innenhof getreten, der von hohen Gebäuden mit römischen Säulen gesäumt war. Inmitten gärtnerischer Anlagen mit duftenden Gewächsen sprudelte eine Fontäne.
Abt Dabhoc blieb stehen und betrachtete wohlgefällig das sich ihm bietende Bild. »Die lange Reise hat sich schon gelohnt, wenn wir so Wundersames wie dieses erblicken. Die von den Römern erbauten Städte ähneln so gar nicht denen von Eireann.«
Außerhalb der Abtei gab es in Autun eine Vielzahl romanischer Bauten, die schon vor Jahrhunderten errichtet wurden, nachdem die Römer in Gallien eingedrungen waren und die keltischen Heere des Vercingetorix besiegt hatten. Sie hatten am Ufer eines Flusses eine Stadt erbaut und sie Augustodunum genannt. Als nach langer Zeit die Gallier und Römer vor den einfallenden Burgunden zurückwichen und sich später mit ihnen vermischten, erhielt der Ort den Namen Autun. Er wurde einer der frühchristlichen Zentren in dem Teil Galliens, der nun Burgundia hieß. Auf dem Abteigelände waren etliche der alten römischen Bauwerke erhalten geblieben. Paläste und Tempel hatte man dem Christengott und seinen Heiligen gewidmet. Mit den hoch aufragenden Bauten erschien Abt Seg-dae der Ort wie ein Rom en miniature, so völlig anders im Vergleich zu den bescheidenen städtischen Siedlungen in seiner Heimat.
Plötzlich tönte Geschrei über den Innenhof.
Abt Segdae schreckte von seinen Betrachtungen hoch und blickte verwundert um sich. Einige der Kirchenoberen waren in einem Handgemenge, darunter Ordgar, der einen anderen Geistlichen an der Kehle packte. Das war Cadfan. Die beiden Männer beschimpften und schlugen sich wie ein Paar sich prügelnder Kinder. Die Umstehenden versuchten sie zu trennen. Cadfans Gewand war eingerissen, Ordgar blutete im Gesicht. Man musste kein Sprachkundiger sein, um die Unflätigkeiten zu verstehen, die sie sich entgegenschleuderten.
Bischof Leodegar und Nuntius Peregrinus eilten hinzu. Einige der Kleriker hielten die Streithähne gewaltsam zurück, um zu verhindern, dass sie weiter blindwütig auf einander eindroschen.
»Brüder! Seid ihr Brüder in Christo oder wilde Tiere, dass ihr euch derart benehmt?«, brüllte Bischof Leodegar sie an.
Abt Cadfan blinzelte und schien sich zu besinnen. »Der Sachse ist über mich hergefallen«, verteidigte er sich.
»Der Welsche hat mich beleidigt«, schnauzte Bischof Ordgar, doch auch er bekam sich wieder in die Gewalt. Bekümmert schüttelte Bischof Leodegar den Kopf. »Ihr solltet euch schämen. Begebt euch in eure Quartiere und betet um Vergebung, dass ihr euch derart gegen die Lehren Unseres Herrn vergangen habt. Schande lastet auf euch, bis ihr euer Verhalten gesühnt habt. Ich gebe euch beiden eine letzte Gelegenheit an unseren Beratungen teilzunehmen, nicht euch zuliebe, sondern denen zuliebe, die ihr vertretet. An Theodor von Canterbury und Drosto von Gwynedd werden wir Boten senden, um sie in Kenntnis zu setzen, wie ihr eure heiligen Pflichten wahrnehmt. Wenn wir das nächste Mal zusammentreten und ihr immer noch einander Feind seid, werde ich euch beide von diesem Konzil ausschließen und wir werden ohne eure Mitwirkung fortfahren. Habt ihr das verstanden?«
Beide schwiegen, und dann murmelten sie wie gescholtene Knaben ihr Einverständnis, erst Abt Cadfan und dann auch Bischof Ordgar.
Bischof Leodegar seufzte aus tiefstem Herzen. »Geht nun auseinander«, ordnete er an und schaute jedem in der Runde in die Augen. »Ihr alle, geht auseinander.«
Einzeln oder zu zweit verließen die Männer langsam den prächtigen Hof und begaben sich in die großen Häuser der Abtei.
Abt Dabhoc verzog die Miene zu einem Grinsen und meinte zu seinem Mitbruder: »Das sage ich dir, Segdae, das wird das heißblütigste Konzil, auf dem ich je gewesen bin. Die Auseinandersetzungen zwischen unseren Leuten waren heftig genug, wenn es um Glaubensfragen ging, aber ich habe nie erlebt, dass es unter Geistlichen zu einer regelrechten Schlägerei gekommen ist.«
»Ich fürchte, unser Gastgeber gibt sich der trügerischen Hoffnung hin, dass diese beiden einen Waffenstillstand schließen für die Dauer des Konzils«, meinte auch Seg-dae. »Nicht nur die Kämpfe zwischen den Britanniern und den Sachsen werden für Zündstoff sorgen, viel eher noch die Ideen aus Rom. Die Franken und die Sachsen haben sich dafür entschieden - und wir müssen jetzt gegen sie Stellung beziehen. Diese Debatten dürften sich zu neuen Feindseligkeiten zuspitzen.«
»Was die Franken und die Sachsen in ihren Ländern tun, kann uns gleich sein«, erwiderte Abt Dabhoc verdrossen. »Wir haben unsere Glaubenslehre und unsere Liturgie. Was auf diesem Konzil beschlossen wird, gilt für uns ebenso wenig wie die Beschlüsse, die in Whitby verabschiedet wurden.«
Damit war Abt Segdae keineswegs einverstanden. »Erst hatten wir Whitby, und nun kommt dieses Konzil in Au-tun. Unsere Glaubensvorstellungen und unsere darauf beruhenden Gebräuche werden allmählich von der neuen Denkweise aus Rom unterwandert, mir passt das ganz und gar nicht. Über die Jahre haben Synoden oder Konzile wie dieses hier die ursprünglichen Grundsätze des Glaubens verändert oder mit Zusätzen versehen, so dass die Lehren der Gründungsväter kaum noch zu erkennen sind.«
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