«Er will den Sack wegschaffen», stellte Fidelma fest. «Kommt, wir folgen ihm!»
Sie mußten sich sputen und gelegentlich selbst in einen ihres Standes unwürdigen Trab verfallen, um die Träger nicht aus den Augen zu verlieren. Trotz der halsbrecherischen Fahrt nach Marmorata wünschte Fidelma sich sehnlich den Einspänner herbei. Sie überquerten den kleinen Platz vor der Kirche und erreichten den Fuß des Palatin.
Cornelius’ Träger liefen im Tal an einem riesigen Bauwerk entlang, das gar nicht mehr zu enden schien.
«Der Circus Maximus», keuchte Licinius. «In der Zeit der Cäsaren haben dort unzählige Märtyrer ihr Leben gelassen.»
Außer Atem von der wilden Verfolgungsjagd, verzichteten sie auf ein weiteres Gespräch. Die Träger der lecticula eilten erst in nördlicher Richtung zum Tiber und wandten sich dann nach Südwesten. Fidelma wunderte sich, wie zwei Männer mit dem Gewicht eines schweren Holzgestells und ihres nicht gerade schmächtigen Herrn so rasch und mühelos vorankommen konnten, denn sie hatten Schwierigkeiten, mit den drahtigen Trägern Schritt zu halten. Fidelma beobachtete, daß sie immer abwechselnd eine Weile gingen und dann auf Anweisung des Hintermannes zu laufen begannen. So eilten sie das Flußufer und die Kais entlang, wo Holzhütten und Lagerhäuser standen.
Plötzlich geriet Furius Licinius in der Dunkelheit ins Stolpern und stieß einen Fluch aus.
Eadulf blieb stehen und half dem jungen tesserarius wieder auf die Beine.
«Ihr könnt einen Augenblick ausruhen», keuchte Fidelma. «Die Träger sind stehengeblieben.»
«Ausgerechnet hier», stöhnte Licinius. «Wir sind wieder in Marmorata.»
Fidelma hatte bereits gemerkt, daß sie Cornelius’ Trägern tatsächlich in die gleiche Gegend gefolgt waren wie wenige Stunden zuvor Puttocs lec-ticula. In der Dunkelheit wirkte das Elendsviertel noch unheimlicher.
Fidelma rümpfte angewidert die Nase, als sie die fauligen Abwässer roch. Es war eine düstere und bedrohliche Gegend mit baufälligen Häusern. Hunde und Katzen streunten durch die Straßen und durchwühlten die Abfälle nach Essensresten.
Cornelius’ lecticula stand vor einem alten Lagerhaus, hinter dem ein grobgezimmerter Holzsteg in den Fluß ragte. Die Träger hatten die Sänfte abgesetzt. Offenbar war auch ihnen diese Gegend nicht ganz geheuer, denn ihre Hände ruhten auf den Messern, die sie an ihren Gürteln trugen.
Es dauerte eine Weile, bis Fidelma, Eadulf und Licinius zu ihrem Ärger bemerkten, daß Cornelius die Sänfte bereits verlassen hatte.
«Er muß ins Lagerhaus gegangen sein», flüsterte Eadulf.
«Aber seine Träger scheinen auf ihn zu warten», bemerkte Licinius.
Wieder ertappte Fidelma sich dabei, wie sie auf ihrer Lippe kaute. «Offenbar findet das Treffen im Lagerhaus statt.» Sie faßte einen raschen Entschluß. «Licinius, Ihr geht zur Vordertür und wartet dort. Werden die Träger Euch Schwierigkeiten machen?»
Licinius schüttelte den Kopf. «Meine Uniform wird ihnen Respekt einflößen.»
«Sehr gut. Wenn Ihr mich nach Hilfe rufen hört, kommt Ihr sofort. Und falls die Träger versuchen, Euch zurückzuhalten, macht Ihr von der Waffe Gebrauch. Eadulf, Ihr begleitet mich.»
«Wohin?» fragte Eadulf verwirrt.
«Zur Rückseite des Lagerhauses. Am Flußufer gibt es einen Holzsteg. Seht Ihr ihn? Er ist im Mondlicht gerade noch zu erkennen. Wir werden versuchen, von dort aus ins Lagerhaus einzudringen. Ich will unbedingt in Erfahrung bringen, was Cornelius dort zu suchen hat.»
Fidelma eilte, gefolgt von Eadulf, zum Fluß hinunter. Licinius, der den beiden nachsah, staunte, wie bereitwillig Eadulf den Anweisungen einer Frau gehorchte. Dann zog er sein gladius und schlenderte auf die lecticula zu.
Als die Träger ihn kommen sahen, zuckten sie erschrocken zusammen. Einer von ihnen hatte für den Rückweg bereits eine Laterne angezündet. Beim Anblick seiner Uniform atmeten sie erleichtert auf. Offenbar waren sie sich keiner Schuld bewußt.
Unterdessen schlichen Fidelma und Eadulf vorsichtig zum Steg. Schon aus einiger Entfernung vernahmen sie aufgebrachte Männerstimmen. Dankbar für das Rauschen des Wassers, das laut gegen die hölzernen Pfosten schlug und ihre Schritte übertönte, näherten sie sich über die Planken des Stegs der Hintertür.
Zu ihrer Überraschung war sie bloß angelehnt. Von drinnen war ein heftiger Wortwechsel in einer fremden Sprache zu hören. Mit einem fragenden Blick wandte sie sich an Eadulf, der ihr durch ein Achselzucken zu verstehen gab, daß auch er diese Sprache nicht kannte.
Vorsichtig schob Fidelma die Tür ein Stückchen weiter auf. Dahinter lag ein großer, fast leerer Raum.
In einer Ecke saßen drei Männer an einem Tisch, auf dem eine zischende Lampe einen schwachen Schein verbreitete. Eine amphora, offenbar mit Wein gefüllt, und einige Tongefäße standen daneben. Cornelius nippte ungeduldig an dem Gefäß in seiner Hand. Die anderen beiden Männer tranken nichts. Trotz des trüben, flackernden Lichts hatte Fidelma auf Anhieb das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben.
Dennoch brauchte sie einen Augenblick, bis sie die beiden Araber an ihren wallenden Gewändern und dunklen Gesichtszügen erkannte.
Die Sprache, in der sie miteinander stritten, war also Arabisch, das Cornelius anscheinend fließend beherrschte.
Plötzlich legte einer der Araber einen in ein Tuch gewickelten Gegenstand auf den Tisch und forderte Cornelius mit einer einladenden Geste auf, ihn näher zu betrachten. Der griechische Chirurgus folgte seiner Aufforderung. Fidelma stellte fest, daß es ein Buch war. Cornelius griff nach dem Sack, den er an seinen Stuhl gelehnt hatte, und zog einen Kelch heraus.
Fidelma lächelte finster.
Es lag auf der Hand, daß hier ein Tauschhandel stattfand. Allmählich fügten sich die Mosaikstein-chen zu einem Bild zusammen.
Während Cornelius das Buch prüfte, untersuchte einer der Araber den Kelch.
Eadulf, der hinter Fidelma stand, stöhnte erschrocken auf, als sie plötzlich die Tür aufschob und das Lagerhaus betrat.
«Keine Bewegung!» rief sie.
Blinzelnd stolperte Eadulf hinter ihr in den großen Raum und schaute sich um.
Cornelius von Alexandria erstarrte. Als ihm klar wurde, daß er entdeckt worden war, erbleichte er vor Entsetzen.
«Tauba!» rief einer der Araber, sprang auf und griff nach dem großen, krummen Messer, das er am Gürtel trug.
«Keine Bewegung!» wiederholte Fidelma. «Das Haus ist umstellt. Licinius!»
Von der Vorderseite des Lagerhauses war Licinius’ Antwort zu vernehmen.
Die beiden Araber wechselten einen raschen Blick. Wie auf ein Zeichen stieß einer von ihnen die Lampe vom Tisch, während der andere nach dem Sack griff. Fidelma hörte, wie der Tisch umfiel. Im Lagerhaus herrschte jetzt völlige Dunkelheit. Ein fahles Licht schien herein, als die Vordertür aufging. Kurz darauf schrie Furius Licinius vor Schmerzen auf.
«Eadulf, ein Licht! Schnell, beeilt Euch!»
Ein Feuerstein wurde angeschlagen, und im nächsten Moment hielt Eadulf eine brennende Kerze in der Hand.
Die Araber waren verschwunden, aber Cornelius saß noch immer mit hängenden Schultern auf seinem Platz und umklammerte das Buch mit beiden Händen. Der Tisch war tatsächlich umgefallen, von dem Sack fehlte allerdings jede Spur.
Fidelma nahm dem zitternden Cornelius das Buch ab. Wie erwartet handelte es sich um ein altes, medizinisches Traktat.
«Schaut nach, ob Licinius verletzt ist, Eadulf», sagte Fidelma und stellte den Tisch wieder auf.
Eadulf warf einen fragenden Blick auf Cornelius.
«Von Cornelius habe ich nichts zu befürchten», versicherte sie ihm. «Aber es könnte sein, daß der junge Licinius in Schwierigkeiten geraten ist.»
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