Cornelius verstummte und hielt Eadulf sein leeres Trinkgefäß hin.
Widerwillig goß der sächsische Mönch ihm aus der amphora noch etwas Wein nach, den Cornelius in großen Schlucken hinunterstürzte. Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, fuhr er fort: «Vor nicht allzu langer Zeit sprach mich dann hier in Rom ein arabischer Kaufmann an. Er sagte, er habe gehört, ich sei früher als Medikus in Alexandria tätig gewesen und ein guter Kenner der dortigen Bibliothek. Er habe etwas, das er mir zeigen wolle. Es war Era-sistratus’ Buch, von ihm eigenhändig niedergeschrieben. Ich konnte es kaum glauben. Der Kaufmann sagte, er würde mir das Werk und zwölf weitere Bücher aus der Alexandrinischen Bibliothek verkaufen. Die Summe, die er nannte, war lächerlich hoch - eine Summe jenseits meiner Möglichkeiten, obwohl ich nach römischen Maßstäben durchaus wohlhabend bin. Der Kaufmann gab mir Bedenkzeit und sagte, wenn ich seinen Preis bezahlen könne, wäre er zum Handel bereit.
Was sollte ich tun? Ich verbrachte eine ganze Nacht in schlafloser Grübelei. Schließlich vertraute ich mich Bruder Osimo Lando an, der ebenfalls aus Alexandria stammte. Er zögerte keinen Augenblick. Wenn wir das Geld nicht auf gesetzliche Weise zusammenbekommen könnten, müßten wir es eben anders versuchen. Wir schworen uns, die großen Zeugnisse griechischer Gelehrsamkeit für die Nachwelt zu retten.»
«Für die Nachwelt . oder für Euch selbst?» fragte Fidelma kühl.
Doch Cornelius ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Stolz schwang in seiner Stimme mit.
«Wer sonst außer mir, einem alexandrinischen Arzt, hätte den wahren Wert dieser Bücher schätzen können? Selbst Osimos Interesse war eher allgemeiner Natur, während ich die Gelegenheit sah, mit den großen Geistern meines Fachs in unmittelbare Zwiesprache zu treten.»
«Also habt Ihr Wighard getötet, um an seine Schätze und damit an die nötige Kaufkraft zu gelangen?» fragte Eadulf verächtlich.
Cornelius schüttelte den Kopf. «Nein, ganz so war es nicht», entgegnete er leise.
«Wie denn sonst?» fragte Furius Licinius ungeduldig.
«Es stimmt, daß wir Wighard bestohlen haben, getötet haben wir ihn aber nicht», beharrte Cornelius trotzig. Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er tat sein möglichstes, um sie zu überzeugen.
«Laßt Euch Zeit», erwiderte Fidelma kühl, «und erklärt uns in aller Ruhe, wie sich alles abgespielt hat.»
«Osimo war ein enger Freund von Ronan Ragallach ...» Cornelius sah Fidelma an. «Ihr wißt, was ich damit meine? Ein sehr enger Freund», sagte er mit anzüglicher Betonung.
Fidelma nickte. Das Wesen dieser Freundschaft war ihr längst klar gewesen.
«Osimo beschloß daher, Ronan in die Sache einzuweihen. Wir hörten, daß Wighard nach Rom gekommen sei, um sich von Seiner Heiligkeit zum Erzbischof von Canterbury weihen zu lassen. Aber was viel wichtiger war: Wir wußten, daß Wighard kostbare Geschenke aus den sächsischen Königreichen mitgebracht hatte. Diese Schätze waren genau das, was wir brauchten. Und Ronan Ragallach, der diesem Wighard schon früher begegnet war und keine besondere Zuneigung für ihn hegte, schien es eine gewisse Schadenfreude zu bereiten, ausgerechnet ihn seiner Schätze zu berauben.»
Fidelma wollte etwas sagen, besann sich aber eines Besseren. «Sprecht weiter», forderte sie ihn auf.
«Es war alles ziemlich einfach. Ronan kundschaftete Wighards Gemächer aus. Allerdings wurde er in der Nacht fast von einem tesserarius geschnappt. Ronan sagte dem Mann auf Irisch, sein Name sei . Zum Glück hat der Soldat es ihm geglaubt.»
Verlegen sah Licinius zu Boden. «Dieser tesserarius war ich», gestand er. «Und ich muß Euch sagen, ich kann über diesen Witz bis heute nicht lachen.»
Cornelius ging nicht weiter darauf ein. «Er ist noch einmal davongekommen. Besser wäre es allerdings gewesen, er wäre gar nicht erwischt worden.»
«Und wenn ich ihm nicht geglaubt hätte, wäre Wighard vielleicht noch am Leben», sagte Licinius. «In der darauffolgenden Nacht ist er ermordet worden.»
«Uns ging es nur um seine Schätze», widersprach Cornelius. «Osimo und Ronan beschlossen, den Diebstahl gemeinsam auszuführen, da ich im Palast zu gut bekannt sei. Sie planten, durch die neben Abt Puttocs Zimmer liegende Kammer in das domus hospitale einzudringen ...»
«Durch Bruder Eanreds Kammer?» fragte Fidelma.
«Ja. Auf diese Weise konnten sie die Wachposten umgehen und gleich ins obere Stockwerk gelangen. Unter dem Fenster dieser Kammer beginnt ein breiter Sims, der bis zu den Fenstern des munera peregrinitatis verläuft.»
«Ich habe diesen Sims gesehen. Von Eanreds Zimmer aus ist er leicht zu erreichen.»
Cornelius nickte anerkennend. «Ihr habt ein scharfes Auge, Schwester. Ronan und Osimo konnten also unbeobachtet ins domus hospitale gelangen. Die einzige Schwierigkeit bestand darin, den sächsischen Diener aus dem Verkehr zu ziehen.»
«Und das war Eure Aufgabe», meinte Fidelma mit einem zufriedenen Lächeln. «Deshalb habt Ihr den einfältigen Eanred in Eure Villa eingeladen und mit Wein und gelehrten Vorträgen bei Laune gehalten, bis ihr davon ausgehen konntet, daß Eure Komplizen die Beute an sich gebracht hatten.»
Cornelius nickte, erstaunt über Fidelmas Wissen.
«Während ich Eanred ablenkte - glaubt mir, es war keine leichte Aufgabe, diesen Einfaltspinsel zu beschäftigen -, machten Osimo und Ronan sich auf den Weg in seine Kammer. Osimo hielt Wache, und Ronan schlich sich in Wighards Gemächer, um zu sehen, ob er schon schlief.»
«Aber Wighard überraschte Ronan und mußte dafür mit seinem Leben bezahlen?» fragte Eadulf ungeduldig.
«Nein!» entgegnete Cornelius. «Ich sagte Euch doch schon: Weder Ronan noch Osimo haben Wighard getötet.»
Fidelma sah Eadulf stirnrunzelnd an. «Laßt Cornelius die Geschichte auf seine Weise erzählen», wies sie ihn sanft zurecht.
«Aus Wighards Gemächern war kein Geräusch zu hören, also trat Ronan ein. Er schlich als erstes ins Schlafzimmer, wo er den toten Wighard fand. Im ersten Augenblick des Entsetzens wollte Ronan fliehen, doch dann fiel ihm ein, daß der Diebstahl nun um so leichter auszuführen war. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und füllte die beiden Säcke, die er zu diesem Zweck mitgebracht hatte, mit den wertvollen Kelchen. Die Säcke waren sperrig und schwer, so daß er zunächst nur einen davon zu dem in Eanreds Kammer wartenden Osimo bringen konnte und noch einmal zurückkehren mußte, um den zweiten Sack zu holen.
Osimo kletterte mit dem ersten Sack zurück ins munera peregrinitatis, während Ronan den zweiten Sack in Eanreds Kammer schleppte .»
«Wobei ein Stück von dem Sackleinen am Türrahmen hängenblieb», murmelte Fidelma.
Cornelius fuhr fort: «Ronan war schon dabei, aus Eanreds Fenster zu klettern, als ihm voller Schreck einfiel, daß er Wighards Tür nicht geschlossen hatte. Aus Angst, die Leiche könnte entdeckt werden, ehe sie ihre Beute sicher verstaut hatten, ließ er den Sack am offenen Fenster stehen und kehrte noch einmal auf den Flur zurück. Es war ein törichter Entschluß, der geradewegs zu seiner Verhaftung führte, denn wie er uns später erzählte, hatte er Eanreds Kammer gerade verlassen, als plötzlich ein decurion der custodes vor ihm auftauchte und ihn aufforderte stehenzubleiben.
Ronan war so geistesgegenwärtig, nicht in Ean-reds Kammer zurückzukehren und damit den decurion auf die Fährte seines Komplizen Osimo zu lenken. Statt dessen versuchte er, über die Treppe am anderen Ende des Flurs zu flüchten. Dabei lief er jedoch geradewegs den beiden Soldaten unten im Innenhof in die Arme.»
«Die Flucht durch Eanreds Fenster wäre aussichtsreicher gewesen», bemerkte Eadulf.
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