Rasch beugte sich Fidelma über die Frau, fühlte ihr den Puls und untersuchte die Kopfwunde.
«Sie wird es überstehen», verkündete sie und richtete sich erleichtert wieder auf.
Furius Licinius strahlte sie bewundernd an. «Wahrhaftig, ich habe kaum einen römischen Soldaten gesehen, der sich im Nahkampf besser behauptet hätte», sagte er. «Wie habt Ihr das gemacht?»
«Das ist nichts Besonderes», winkte Fidelma ab. «Die gelehrten Männer, die früher durch mein Heimatland reisten, um die uralten Philosophien unseres Volkes zu verbreiten, wurden auf den Landstraßen von Räubern und Dieben überfallen. Da sie es jedoch aus Überzeugung ablehnten, Waffen zu tragen, waren sie gezwungen, eine Kunst zu entwickeln, die sie troidsciathaigid nannten -Kampf durch Verteidigung. Ich lernte diese Selbstverteidigung ohne Waffen schon in sehr jungen Jahren. Auch für viele unserer Missionare gehört sie ganz selbstverständlich zur Ausbildung.»
Gefolgt von Licinius und Eadulf, ging Fidelma durch die nächste Tür, hinter der sich eine Treppe befand. Auf der untersten Stufe blieb Fidelma stehen und lauschte angestrengt. Sie hörte Stimmen und das Lachen junger Mädchen. Ansonsten war es im Haus vollkommen still. Außer der Frau hatte niemand ihr Eindringen bemerkt. Sie drehte sich um und flüsterte: «In das Zimmer ganz rechts im oberen Stock! Kommt schnell!»
Sie liefen die Stufen hinauf und gelangten in einen langen Korridor. Es war nicht schwer, die Tür des Zimmers zu finden, an dessen Fenster sie Put-toc gesehen hatten.
Vor der Tür hielt Fidelma noch einmal inne, um zu lauschen. Wieder drang das Gelächter junger Mädchen an ihr Ohr. Sie nickte ihren Gefährten zu, drehte vorsichtig den Türknauf herum und schob die Tür auf.
Nicht einmal Fidelma hätte mit diesem Anblick gerechnet.
Im Zimmer war es hell, da Abt Puttoc - wie zuvor beobachtet - einen der Fensterläden aufgeschoben hatte, um das Tageslicht hereinzulassen. In einer Ecke stand ein großes Bett mit frischen, jedoch abgenützten Laken. An der Wand waren ein paar Stühle aufgereiht. Das einzige andere Möbelstück war eine große Holzwanne, vor der mehrere leere Eimer standen. Das heiße Wasser, mit dem sie gefüllt gewesen waren, dampfte jetzt in der dickbauchigen Wanne.
Darin saß ein völlig überraschter Abt Puttoc. Soweit sich dies von der Tür aus sagen ließ, war er splitterfasernackt. Breitbeinig auf seinem Schoß hockte ein ebenfalls nacktes, höchstens sechzehn Jahre altes Mädchen. Die beiden waren in einer eindeutigen Umarmung erstarrt. Hinter ihnen, einen Eimer mit dampfendem Wasser in der Hand, das sie gerade über die beiden gießen wollte, stand ein zweites, ebenfalls nacktes Mädchen.
Mit finsterer Miene trat Fidelma vor und sah sich im Zimmer um, da sie jeden Irrtum ausschließen wollte. Die Gewänder des Abts befanden sich auf dem Stuhl am Fußende des Bettes. Ein Kleid, das offenbar einem der jungen Mädchen gehörte, lag daneben.
Sie wandte sich an den noch immer verblüfften Abt und zog höhnisch die Augenbraue hoch. «Nun, Abt Puttoc?» fragte sie mit unverhohlenem Spott.
Das Mädchen in der Wanne löste sich als erste aus der Erstarrung. Als sie herauskletterte, schwappte das Wasser in alle Richtungen. Anscheinend war es ihr überhaupt nicht peinlich, in dieser Lage ertappt worden zu sein, denn sie stemmte die Hände in die Hüften, baute sich nackt vor Fidelma auf und stieß einen Schwall von Beschimpfungen aus. Ihre Freundin ließ den Eimer fallen, und die beiden kamen drohend auf Fidelma zu.
Doch Furius Licinius hielt sie zurück, indem er sie mit scharfer Stimme zurechtwies und seine Worte mit erhobenem Schwert unterstrich. Erschrocken wichen die Mädchen in eine Ecke des Zimmers zurück, von wo aus sie die Eindringlinge mit feindseligen Blicken durchbohrten.
Puttoc saß noch immer reglos in der Wanne. Er war leichenblaß geworden und sah Fidelma und Eadulf haßerfüllt an.
Furius Licinius wechselte ein paar Worte mit den Mädchen, dann wandte er sich verlegen zu Fidelma um.
«Dieses Haus ist ein bordellum, Schwester, ein Ort, wo ...»
Fidelma beschloß, dem jungen Mann weitere Peinlichkeiten zu ersparen. «Ich weiß sehr wohl, was ein Bordell ist, Furius Licinius», sagte sie ernst. «Viel mehr interessiert mich aber die Frage, was ein Abt der heiligen Kirche dort zu suchen hat.»
«Ich glaube nicht, daß ich Euch das wirklich in allen Einzelheiten erläutern muß, Fidelma von Kil-dare.» Abt Puttocs Miene war schicksalsergeben.
Fidelma verzog das Gesicht. «Da habt Ihr vielleicht sogar recht.»
«Ich nehme an, Ihr werdet Bischof Gelasius von der Angelegenheit berichten, Eadulf von Canterbury?» wandte sich Puttoc an den sächsischen Bruder.
Eadulf sah ihn angewidert an. «Ich hätte nicht von Euch erwartet, daß Ihr überhaupt Anlaß für solche Überlegungen bietet», erwiderte er knapp. «Ihr kennt die Regeln unseres Glaubens. Mit Sicherheit wird man erwarten, daß Ihr von Eurem Amt zurücktretet. Eine Bestrafung wird folgen.»
Puttoc rang nach Luft und blickte zweifelnd zwischen Licinius, Fidelma und Eadulf hin und her. «Könnten wir das alles nicht in einer günstigeren Umgebung besprechen?»
«Günstiger wofür, Puttoc?» fragte Fidelma. «Nein, ich glaube, es gibt in dieser Sache nichts zu sagen, was unsere Haltung und unsere Absichten ändern würde. Eine Frage könnt Ihr mir allerdings noch beantworten: Seid Ihr nur hergekommen, um der Fleischeslust zu frönen, oder wolltet Ihr Euch hier auch mit jemandem treffen?»
Puttoc sah sie verständnislos an. «Mit jemandem treffen? Wen meint Ihr damit?»
«Ihr habt keinerlei Verbindung zu arabischen Kaufleuten?»
Die Verblüffung auf seinem Gesicht war echt. «Ich verstehe Euch nicht, Schwester?»
Fidelma sparte sich die Mühe, ihm Näheres zu erklären. Enttäuscht mußte sie erkennen, daß ihr Instinkt sie getrogen hatte. Sie hatte Licinius und Eadulf überredet, einer falschen Fährte zu folgen. Puttoc hatte sich schuldig gemacht - allerdings nur der Unkeuschheit, nicht des Mordes.
«Wir werden Euch jetzt Eurer Wollust überlassen, Puttoc», sagte sie. «Den Preis dafür müßt Ihr selbst zahlen.»
Der Abt streckte die Hand aus, als wollte er sie am Gehen hindern.
Eadulf warf ihm einen vernichtenden Blick zu, ehe er Fidelma aus dem Zimmer folgte. Furius Li-cinius grinste dem Abt anzüglich zu, steckte sein Schwert weg und trottete hinterdrein.
Unten in der Eingangshalle kam die Frau gerade ächzend wieder zu sich.
Mit einem Seufzer blieb Fidelma stehen. Aus ihrem marsupium zog sie eine Münze hervor und legte sie auf den Tisch.
«Entschuldigt, daß ich Euch weh getan habe», sagte sie zu der noch immer benommenen Frau.
Draußen wartete der pockennarbige Nabor neben ihrem Wagen.
«Einen sestertim, junger custos», grunzte er und fügte mit einem lüsternen Grinsen hinzu: «Wenn ich gewußt hätte, daß Ihr ausgerechnet dieses Haus besuchen wollt, hätte ich Euch etwas Besseres empfehlen können ...»
Furius Licinius errötete heftig, warf ihm die versprochene Münze zu und kletterte in den Wagen.
Schweigend fuhren sie am Tiber entlang, durch die Valle Murcia und schließlich in östlicher Richtung zurück zum Lateranpalast.
Decurion Marcus Narses kam die breite Treppe hinunter auf sie zugelaufen.
«Schwester, ich habe Neuigkeiten von Bruder Osimo Lando», keuchte er.
«Sehr gut», antwortete Fidelma. Vielleicht würde sie nun herausfinden können, was Ronan Ragallach mit den Arabern zu schaffen gehabt hatte. «Warum ist er heute nachmittag nicht zu seiner Arbeit erschienen? Ist er krank?»
Marcus Narses schüttelte den Kopf. Noch ehe er sprach, wußte Fidelma, was er sagen wollte.
«Ich fürchte, Schwester, Bruder Osimo weilt nicht mehr unter den Lebenden.»
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