Furius Licinius lehnte gegen den Türpfosten und beobachtete sie aufmerksam.
«Ich sagte Euch doch schon, daß man hier nichts gefunden hat», meinte er. Nach der Demütigung in Wighards Schlafgemach war seine Erleichterung unüberhörbar.
«Ich weiß.»
Fidelma bückte sich und begutachtete den Boden. Nichts als Staub. Sie erschrak, als sie ganze Scharen kleiner schwarzer Käfer davonhuschen sah. Was war das für häßliches Getier?
«Scarabaeus», erklärte Furius Licinius. «Kakerlaken. In diesen alten Häusern wimmelt es nur so davon.»
Fidelma wollte sich schon voller Ekel abwenden, als sie unter dem Bett etwas bemerkte. Sie überwand ihre Abscheu, beugte sich vor, um danach zu greifen, und hielt kurz darauf ein kleines Stück Papyrus in der Hand, das mit Fußabdrücken übersät und deshalb vom schmutzigen Boden kaum zu unterscheiden gewesen war.
Fidelma hob den Kerzenstummel und betrachtete es etwas genauer.
Das kaum mehr als ein paar Zoll große Stück war offenbar von einem größeren Papyrus abgerissen worden und mit seltsamen Hieroglyphen bedeckt, wie sie Fidelma noch nie zuvor gesehen hatte. Es waren weder griechische noch lateinische Buchstaben, und sie hatten auch mit der alten Ogham-Schrift ihres Heimatlandes keinerlei Ähnlichkeit.
Lächelnd hielt Fidelma dem beschämten Furius Licinius ihr Fundstück hin.
«Was haltet Ihr von diesen Schriftzeichen? Könnt Ihr sie entziffern?»
Furius Licinius betrachtete den Papyrus und schüttelte den Kopf.
«Nein, solche Schriftzeichen sind mir unbekannt», sagte er und fügte aus Furcht, die custodes könnten von der selbstbewußten Irin noch einmal gedemütigt werden, eilig hinzu: «Meint Ihr, es könnte wichtig sein?»
«Wer weiß?» Fidelma verstaute das Papyrusstück in ihrem marsupium. «Wir werden sehen. Aber Ihr hattet recht, Furius Licinius: In diesem Zimmer gibt es nichts, was uns unmittelbar weiterhelfen könnte.»
Sie hörten Schritte auf der Treppe. Eadulf kam herein, den Arm voller verschiedener Gegenstände.
«Ich fürchte, es hat eine Weile gedauert, bis sie alles zusammengesucht hatte. Zumindest glaube ich, daß das alles ist. Wir kamen gerade noch rechtzeitig, um den Verkauf von Ronans Habseligkeiten zu verhindern.»
Er legte die Gegenstände vorsichtig aufs Bett: einen Rosenkranz; ein nicht sehr aufwendig gearbeitetes, aber sicherlich recht wertvolles Kruzifix aus rotem irischen Gold; einen leeren crumena oder Geldbeutel; mehrere kleine Andenken an römische Heiligtümer; und zwei kleine Bücher, das Lukas- und das Matthäus-Evangelium.
Furius Licinius lachte empört.
«Die Miete eines Monats? Das hätte für drei Monate oder mehr in diesem Loch gereicht. Die aus dem crumena verschwundenen Münzen nicht mitgezählt.»
Fidelma untersuchte sorgsam die beiden griechischen Evangelien und blätterte Seite für Seite um, als erwartete sie, es könnte etwas herausfallen. Seufzend gab sie schließlich ihre Suche auf.
«Ihr habt nichts gefunden?» fragte Eadulf und schaute sich im Zimmer um.
Fidelma, die meinte, er spreche von den Evangelien, schüttelte den Kopf.
«Irgendwelche Geheimverstecke?»
Erst jetzt wurde Fidelma klar, daß er Bruder Ronans Zimmer meinte.
Furius Licinius lächelte nachsichtig. «Diese Möglichkeit hat decurion Marcus Narses schon ausgeschlossen.»
«Trotzdem», erwiderte Eadulf und klopfte mit dem Knöchel Wände und Boden auf mögliche Hohlräume ab.
«Decurion Marcus Narses hatte recht», sagte er zu Licinius. «Es scheint kein Geheimversteck zu geben, in dem Bruder Ronan die gestohlenen Gegenstände aus Wighards Schatztruhe hätte verbergen können.»
Fidelma sammelte Ronan Ragallachs Habseligkeiten zusammen und steckte sie zu den Kleidern in seinem sacculus.
«Wir nehmen Ronans sacculus in Gewahrsam. Furius Licinius, sagt seiner Zimmerwirtin, daß die ausstehende Miete aus dem Erlös von Ronans Eigentum beglichen werden kann, wenn wir unsere Untersuchungen abgeschlossen haben. Allerdings muß Diakon Bieda persönlich kommen, um seine Ansprüche geltend zu machen, und gleichzeitig eine Rechnung für das Zimmer vorlegen.»
Der junge tesserarius nickte lächelnd.
«Es sei, wie Ihr es sagt, Schwester.»
«Gut. Ich hatte gehofft, Bruder Sebbi und vielleicht auch Abtissin Wulfrun und Schwester Eafa noch vor dem Abendessen befragen zu können. Doch ich fürchte, dazu ist es jetzt wohl zu spät.»
«Sollten wir nicht versuchen, mehr über diesen Ronan Ragallach herauszufinden?» meinte Eadulf. «Bisher haben wir uns vor allem mit Wighards Gefolge, aber kaum mit dem Mann befaßt, dem vorgeworfen wird, ihn getötet zu haben.»
«Da Ronan Ragallach aus seinem Gefängnis geflohen ist, wäre das wohl auch schlecht möglich», erwiderte Fidelma trocken.
«Mir geht es nicht darum, Ronan zu befragen», sagte Eadulf. «Ich dachte eher, es wäre an der Zeit, uns den Ort anzusehen, wo er gearbeitet hat, und mit den Leuten dort zu sprechen.»
Fidelma war klar, daß Eadulf vollkommen recht hatte. Diesen Gesichtspunkt hatte sie übersehen.
«Soweit ich weiß, bekleidete er eine untergeordnete Stellung im munera peregrinitatis - dem Amt für fremdländische Angelegenheiten», warf Licinius erklärend ein.
Fidelma machte sich im stillen Vorwürfe. Sie hätte Ronan Ragallachs Arbeitsplatz längst berücksichtigen müssen.
«Dann», sagte sie mit betont ruhiger Stimme, «sollten wir uns dieses Amt mal etwas genauer anschauen.»
In dem officium, das der superista ihnen zur Verfügung gestellt hatte, hielt Eadulf auf seinen Tontafeln die wichtigsten Punkte der Befragung von Abt Puttoc und Bruder Eanred fest. Bei ihrer Rückkehr in den Palast hatten sie erfahren, daß das munera peregrinitatis, in dem Ronan Ragallach als scriptor beschäftigt gewesen war, zur Zeit geschlossen war und der Vorsteher beim cena, dem Abendessen, weilte.
Zu ihrem Verdruß hörte Fidelma, daß man für sie im Refektorium des Palasts keine Abendmahlzeit vorgesehen hatte, und so wurde Furius Licini-us ausgeschickt, um ihnen etwas zu essen und zu trinken zu besorgen, während Fidelma und Eadulf in ihr officium gingen. Fidelma verstaute die Sachen, die sie aus Ronans Zimmer mitgebracht hatte. Dann setzte sie sich und legte zwei kleine Gegenstände vor sich auf den Tisch, um sie voller Neugier zu betrachten: das Stück Sackleinen von dem Splitter an Eanreds Zimmertür und das abgerissene Stück Papyrus aus Ronans Kammer.
«Was sind das für Sachen?» wollte Eadulf wissen.
«Ich wünschte, ich könnte es Euch sagen», erwiderte Fidelma. «Wahrscheinlich haben sie mit unseren Ermittlungen gar nichts zu tun.»
«Ach, das Sackleinen.» Eadulf verzog das Gesicht. «Und das andere?»
Fidelma sah ihn entschuldigend an. «Tut mir leid, ich habe vergessen, es zu erwähnen. Ein Stück Papyrus, das ich in Ronans Zimmer auf dem Boden gefunden habe. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.»
Sie reichte es Eadulf.
«Es ist Schrift drauf», bemerkte er.
«Ja. Ziemlich seltsame Hieroglyphen», seufzte Fidelma. «Ich habe keine Ahnung, was das für Zeichen sind.»
Eadulf lächelte breit. «Da kann ich Euch weiterhelfen. Das ist die Schrift der Araber - der Anhänger des Propheten Mohammed.»
Erstaunt sah Fidelma ihn an. «Woher wißt Ihr das?» fragte sie. «Seid Ihr dieser Sprache etwa kundig?»
Eadulf grinste selbstzufrieden. «Das kann ich leider nicht behaupten. Aber ich habe die Schriftzeichen schon bei meinem früheren Aufenthalt in Rom gesehen. Sie sind unverwechselbar, und ihre Formen haben sich mir tief eingeprägt. Es könnte sich höchstens um eine andere Sprache handeln, die sich der gleichen Schriftzeichen bedient, meiner Meinung nach steckt jedoch die Sprache der Araber dahinter.»
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