In seinem Eifer wäre er am liebsten sofort umgedreht, um ihr die wertvollen Schätze vorzuführen. Fidelma legte eine Hand auf seine Schulter. «Später vielleicht, Furius Licinius. Alles der Reihe nach. Jetzt nehmen wir erst einmal Ronan Ragal-lachs Unterkunft unter die Lupe.»
Licinius errötete heftig, als er erkannte, daß er sich von seiner jugendlichen Begeisterung hatte hinreißen lassen. Er deutete auf einen Bogen des Aquädukts auf der anderen Seite des Platzes.
«Dort steht die Herberge, die Bieda gehört.»
Das kleine Haus im Schatten einer der eindrucksvollen Steinbögen des großen Aquädukts wirkte schäbig und heruntergekommen.
Ein einsamer custos hielt Wache vor Biedas Haus.
«Er paßt auf, falls Ronan Ragallach versucht zurückzukehren», erklärte Furius Licinius, während er sie in das schmuddelige Gebäude führte.
Fidelma schnaubte verächtlich. «Ich glaube kaum, daß Bruder Ronan so dumm sein wird. Bestimmt weiß er, daß man ihn hier als erstes suchen wird.»
Licinius reckte trotzig sein Kinn. Er hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt, daß eine Frau ihn tadelte oder ihm Befehle erteilte. Zwar hatte er schon vorher von den Frauen in Irland, Gallien und Britannien gehört, die soviel mehr Befugnisse und Rechte besaßen als die römischen Frauen, die sich in Bescheidenheit übten und sich hauptsächlich im Haus aufhielten. Und doch empfand er es als erniedrigend, von einer Frau, dazu noch von einer Fremden, herumkommandiert zu werden. Aber superista Marinus, sein oberster Dienstherr, hatte seinen Standpunkt klargemacht: Furius mußte dieser Frau und dem gutmütigen sächsischen Geistlichen gehorchen.
Als sie gerade die Stufen im dunklen Hausflur emporsteigen wollten, stürmte eine Frau mittleren Alters aus einem Zimmer im Erdgeschoß. Beim Anblick von Licinius’ Uniform stieß sie einen Schwall wüster Beschimpfungen aus. Da sie in dem seltsam kehligen Akzent der römischen Straßen sprach, verstand Fidelma kaum ein Wort. Doch es gab keinen Zweifel daran, daß es sich nicht um Schmeicheleien handelte. beendete die Frau ihren zornigen Wortschwall.
«Warum ist sie so erbost?» wollte Fidelma wissen.
Doch ehe Licinius antworten konnte, hatte sich die Frau schon an ihm vorbeigedrängt und sprach nun direkt Fidelma an, wobei sie ihr Sprechtempo etwas verlangsamte, damit der Fremden auch keine Silbe entging.
«Und wer bezahlt mir das leere Zimmer? Der fremde Bruder kommt nicht wieder, und seine Schulden wird er mir wohl auch nicht bezahlen. Es ist einen Monat her, daß ich die letzte Miete von ihm erhalten habe. Und das bei den Scharen von Pilgern in Rom! Ich habe ein leeres Zimmer und kann es nicht vermieten, bloß weil dieser catalus vulpinus es so befohlen hat!»
Fidelma lächelte spöttisch. «Beruhigt Euch. Ich bin sicher, Ihr werdet für den Mietausfall entschädigt. Wenn wir mit unserer Untersuchung fertig sind und Bruder Ronan nicht zurückkehrt, werdet Ihr die Sachen, die er zurückgelassen hat, doch sicherlich verkaufen können.»
Fidelmas höhnischer Tonfall schien der Frau nicht zu gefallen.
«Soll das Euer Ernst sein?» keifte sie. «Ich habe noch nie einem irischen Pilger ein Zimmer vermietet, der mehr besessen hätte als die Kleider, die er am Leibe trug. Der Mann hatte kein Geld, und in seinem Zimmer gibt es nichts, das sich verkaufen ließe. Seinetwegen werde ich noch am Hungertuch nagen!»
«Wahrscheinlich habt Ihr bereits dafür gesorgt, daß es in seinem Zimmer nichts Lohnendes mehr gibt?» fragt Fidelma mit drohendem Unterton.
«Natürlich habe ich ...»
Die Frau hielt erschrocken inne.
Furius Licinius runzelte die Stirn. «Euch wurde befohlen, das Zimmer nicht zu betreten», tadelte er.
Die Frau reckte trotzig das Kinn. «Ihr habt es leicht, solche Befehle zu erteilen. Ich wette, Ihr habt noch nie eine Mahlzeit ausfallen lassen müssen.»
«Habt Ihr nun etwas aus Bruder Ronan Ragal-lachs Zimmer entfernt oder nicht?» hakte Fidelma nach. «Sprecht die Wahrheit. Alles andere würdet Ihr ohnehin nur bereuen.»
Erschrocken sah die Frau Fidelma an. «Ich habe nichts angerührt .»
Ihre Stimme erstarb unter Fidelmas strengen Blick, und sie senkte die Augen.
«Auch ich will überleben, Schwester. Die Zeiten sind schlecht. Ich muß an mein Auskommen denken.»
«Bruder Eadulf, begleitet diese Frau, und laßt Euch alles geben, was sie aus Ronan Ragallachs Zimmer entwendet hat. Und Ihr, Frau, denkt daran, wenn Ihr nicht ehrlich seid, wird dies früher oder später ans Tageslicht kommen, und Lügen haben nicht nur in dieser Welt harte Strafen zur Folge.»
Die Frau ließ mißmutig den Kopf hängen.
Bruder Eadulf streifte Fidelma mit einem verschmitzten Seitenblick. Er wußte, daß ihr rauher Ton oft vorgetäuscht war. Er nickte kurz und wandte sich dann an die verstörte Hauswirtin.
«Kommt», sagte er streng. «Zeigt mir, was Ihr an Euch genommen habt. Und daß Ihr mir ja ganz genaue Angaben macht!»
Furius Licinius und Fidelma stiegen weiter die Treppe hinauf.
«Diese verdammten Bauerntölpel!» murmelte Licinius. «Sie würden auch noch einen kranken Mann auf seinem Totenbett ausrauben. Ich habe es satt, mich mit ihnen herumzuärgern.»
Fidelma beschloß, nicht darauf einzugehen, und folgte ihm stumm in eine kleine Kammer im ersten Stock. Sie war dunkel und trist und roch nach Küchendünsten und abgestandenem Schweiß.
«Ich frage mich, wieviel sie für dieses Loch verlangt», sagte Licinius, der Fidelma die Tür aufgehalten hatte. «Leider gibt es in dieser Stadt genug Halsabschneider, die ahnungslosen Pilgern zu völlig überhöhten Preisen Zimmer vermieten und sich damit eine goldene Nase verdienen.»
«Ihr sagtet, daß diese Herberge nicht unter Aufsicht der Kirche steht», sagte Fidelma. «Trotzdem muß die Kirche, was die Mieten in der Stadt angeht, doch etwas mitzureden haben?»
Licinius lächelte verkniffen. «Bieda ist ein wohlgenährter Geschäftsmann, der mit einer ganzen Reihe solcher Häuser ein Vermögen macht. Er heuert einfach für jedes seiner Häuser eine quae res domestic dispensat an ...»
«Eine was?»
«Jemanden, der das Haus für ihn führt. So wie die Frau da unten. Wahrscheinlich zieht der gute Bieda die Kosten für das leere Zimmer von ihrem Lohn ab.»
«Natürlich war es falsch von der Frau, die Sachen aus dem Zimmer an sich zu nehmen, aber ich möchte natürlich auch nicht, daß sie leidet, weil ihr Einkommen von der ständigen Vermietung aller Zimmer abhängt.»
Furius Licinius schnaubte verächtlich. «Macht Euch keine Sorgen: Unkraut vergeht nicht! Was wollt Ihr Euch ansehen?»
Fidelma blickte in die düstere Kammer. Obgleich die Läden nicht geschlossen waren, ließ das winzige Fenster nur wenig Licht in den Raum, weil der hohe Aquädukt draußen die Sicht versperrte.
«Als erstes würde ich gern überhaupt irgend etwas sehen», beklagte sie sich. «Gibt es hier keine Kerze?»
Licinius fand einen Kerzenstummel neben dem Bett und zündete ihn an.
Außer einem großem Holzbett mit einer nach Schweiß stinkenden Decke und einem Kissen, einem kleinem Tisch und einem Stuhl gab es in Ronans Kammer keine Möbel. Ein großer sacculus hing an einem in die Wand geschlagenen Haken. Fidelma schüttete den Inhalt aufs Bett: einige alte Kleider und ein Paar Sandalen. Ronans Rasierzeug stand auf dem Tisch.
«Bruder Ronan führte offenbar ein einfaches Leben.» Licinius gönnte sich einen Moment der Schadenfreude angesichts der Enttäuschung in Fidelmas Gesicht.
Wortlos stopfte Fidelma die Kleider wieder in den sacculus und hängte ihn an den Haken. Dann ließ sie ihren prüfenden Blick durchs Zimmer schweifen. Im Grunde deutete nichts daraufhin, daß ein Mensch mehrere Monate lang hier gewohnt hatte. Sie ging zum Bett und unterzog Decken, Matratzen und Gestell einer eingehenden Prüfung. Zehn Minuten später hatte sie noch immer keinen Lohn für ihre Mühe.
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