»Nein, natürlich hast du dir das nicht ausgedacht«, versicherte ihm Fidelma. »Ich glaube es dir. Und wie würdest du diesen Mann beschreiben?«
»Er sah nett aus«, schaltete sich Ciar ein. »Er hätte uns nicht gehauen. Er lächelte immer jeden an.«
»Er sah wie ein alter Zauberer aus!« verkündete Tressach, um nicht übertroffen zu werden.
»Sah er nicht! Er war ein lustiger alter Mann«, fiel Cera ein, die offensichtlich nicht länger vom Gespräch ausgeschlossen bleiben wollte, als es sich gehörte. »Er erzählte uns von Kräutern und Blumen und wozu sie gut sind.«
»Und dieser lustige alte Mann besuchte Cetach und Cosrach oft?«
»Ein paarmal. Er besuchte Schwester Eisten«, verbesserte Ciar. »Und mir hat er was über Kräuter erzählt«, fügte sie hinzu. »Er erzählte mir von, von .«
»Er hat es uns allen erzählt«, erwiderte Tressach verächtlich. »Und die Jungs wohnten in Schwester Ei-stens Haus, also besuchte er sie genauso wie Schwester Eisten! Bäh!«
Er streckte dem Mädchen die Zunge raus.
»Jungs!« höhnte Ciar. »Jedenfalls brachte er manchmal noch eine Schwester mit. Aber die war komisch. Sie war keine richtige Schwester!«
»Mädels sind so dumm!« sagte der Junge verächtlich. »Sie war wie eine Schwester angezogen.«
Aibnat blickte Fidelma an. Sie war sichtlich der Meinung, daß es nun genug war.
Fidelma hob die Hand, um den Streit zu beenden.
»Nun ist es gut. Nur noch eine Frage ... Seid ihr sicher, daß der Mann aus Ros Ailithir kam?«
Tressach nickte heftig.
»Das hat mir Cosrach gesagt, als sein Bruder drohte, mich zu verhauen.«
»Und diese Schwester, die mit ihm kam? Könnt ihr sie beschreiben? Wie sah sie aus?«
Der Junge zuckte gleichgültig die Achseln.
»Eben wie eine Schwester.«
Die Kinder schienen nun das Interesse zu verlieren und huschten davon zu der Schwester, die auf der Rohrflöte spielte.
Tief in Gedanken ging Fidelma mit Aibnat zurück zum Haus, wo Molua inzwischen den Tisch gedeckt hatte. Aibnat schien völlig verwirrt von dem Gespräch, stellte Fidelma aber keine Fragen. Der war das Schweigen willkommen, denn sie wollte über das Gehörte nachdenken. Als sie eintraten, blickte Cass auf und sah Fidelmas ratlose Miene.
»Hast du herausbekommen, was du wolltest?« fragte er heiter.
»Ich weiß nicht genau, was ich herausfinden wollte«, antwortete sie. »Aber ich habe wieder etwas dazugelernt. Im Augenblick ergibt es allerdings noch keinen Sinn. Überhaupt keinen.«
Die Mahlzeit, die Aibnat und Molua für sie bereitet hatten, war durchaus mit den Festessen zu vergleichen, an denen Fidelma in manchem Bankettsaal von Königen teilgenommen hatte. Sie mußte sich zwingen, nur mäßig zuzugreifen, denn sie dachte an den zehn Meilen langen Ritt zurück nach Ros Ailithir, der mit einem vollen Magen dem Körper nicht guttäte. Cass hingegen genoß das Mahl in vollen Zügen und trank noch mehr von dem kräftigen cuirm.
Aibnat bediente sie schweigend, während Molua sich entschuldigte, er habe noch etwas zu erledigen.
Als Molua ihre Pferde herausführte, stellten sie fest, daß er sie getränkt, gefüttert und gestriegelt hatte.
Fidelma bedankte sich vielmals bei Aibnat und Mo-lua für ihre Gastfreundschaft und schwang sich in den Sattel.
Sie segnete ihre Gastgeber, dann machten sie sich mit Cass auf den Rückweg nach Ros Ailithir.
»Was hast du erfahren, Fidelma?« fragte Cass, als sie den Fluß an der Furt durchquert hatten und die bewaldeten Hügel hinaufritten, die die breite Landzunge krönten.
»Ich habe herausbekommen, Cass, daß Cetach und Cosrach erst vor ein paar Wochen nach Rae na Scrine gebracht wurden und bei Schwester Eisten wohnten. Sie sind die Söhne Illans.«
»Aber der Mönch in Sceilig Mhichil sagte doch, daß Illans Söhne kupferrotes Haar hätten wie die beiden Mädchen.«
»Haare kann man färben«, bemerkte Fidelma. »Außerdem wurden sie mehrmals von jemandem aus Ros Ailithir besucht. Cosrach rühmte sich Tressach gegenüber, daß der Mann ein Gelehrter sei. Cetach und Cosrach redeten ihn mit aite an!«
Cass sah sie verblüfft an.
»Wenn dieser Mann ihr Vater war, dann können sie doch nicht die Söhne Illans sein. Illan kam vor einem Jahr ums Leben.«
»Aite kann auch Pflegevater bedeuten«, erklärte ihm Fidelma.
»Vielleicht«, gab Cass widerstrebend zu. »Aber was heißt das und wie fügt es sich in das Rätsel der beiden Morde ein?«
»Wenn ich das wüßte«, seufzte Fidelma. »Der Mann wurde gelegentlich von einer Schwester begleitet. Es gibt hier einen Weg, der zu Intat führt! Und wir wissen, daß Intat Salbachs Werkzeug ist. Alles bildet einen Kreis; wenn wir nur wüßten, wie wir hineingelangen.«
Sie verfielen in nachdenkliches Schweigen.
Sie waren noch keine zwei Meilen geritten und überquerten gerade die Hügelkuppe, als Cass über die Schulter zurückblickte und einen Ruf der Überraschung ausstieß.
»Was ist?« fragte Fidelma, drehte sich im Sattel um und folgte seinem Blick.
Cass brauchte nicht zu antworten.
Eine riesige schwarze Rauchsäule stieg in den blaßblauen kalten Herbsthimmel hinter ihnen auf.
»Das ist doch die Richtung von Moluas Hof, nicht wahr?« fragte Fidelma mit klopfendem Herzen.
Cass hob sich in den Steigbügeln, ergriff einen überhängenden Ast und kletterte mit einer Geschicklichkeit in den Wipfel des Baumes, die Fidelma überraschte.
»Was siehst du?« rief sie und spähte in das gefährlich schwankende Astwerk.
»Es ist Moluas Hof. Er scheint in Flammen zu stehen.«
Rasch kletterte Cass den Baum hinunter.
»Das verstehe ich nicht. Es ist ein großer Brand.«
Fidelma kam ein schrecklicher Gedanke.
»Wir müssen zurück!« rief sie und wendete ihr Pferd.
»Aber wir müssen vorsichtig sein«, entgegnete Cass. »Rae na Scrine sollte uns eine Warnung sein.«
»Genau so etwas befürchte ich!« rief Fidelma und jagte bereits auf die Rauchsäule zu. Cass mußte sein Pferd zu vollem Galopp antreiben, um mit ihr mitzuhalten. Er wußte zwar, daß Fidelma zu den Eoganacht gehörte und daß sein jetziger König Colgü ihr Bruder war, doch überraschte es ihn immer wieder, daß eine Nonne so gut reiten konnte. Man hatte den Eindruck, sie wäre im Sattel geboren; sie bildete mit ihrem Pferd eine Einheit. Geschickt lenkte sie es und preschte den Weg entlang, den sie gerade erst zurückgelegt hatten.
Kurz darauf erreichten sie den Kamm des Hügels und sahen die weite Bucht ausgebreitet vor sich liegen.
»Halt!« schrie Cass. »Schnell hinter die Bäume dort!«
Er war dankbar, daß Fidelma ausnahmsweise seinem Befehl sofort und ohne Widerrede gehorchte.
Sie hielten in der Deckung eines Espenwäldchens mit gelben Blättern und dichtem Unterholz.
»Was hast du gesehen?« fragte Fidelma.
Cass zeigte einfach ins Tal hinunter.
Sie erkannte einen Trupp bewaffneter Reiter, die den Holzzaun durchbrachen, der das kleine Anwesen von Molua und Aibnat umgab. Ein vierschrötiger Mann hielt auf seinem Pferd vor den brennenden Gebäuden, als beaufsichtige er das Tun seiner Männer. Es waren etwa ein Dutzend. Sie führten ihr schauriges Geschäft zu Ende und ritten dann durch die Bäume am jenseitigen Ufer des Flusses davon. Der vierschrötige Reiter, offensichtlich ihr Anführer, warf noch einen abschließenden Blick auf die Brandstelle und galoppierte ihnen nach.
Fidelma brach plötzlich in einen Schrei ohnmächtiger Wut aus. Sie hatte gehört, wie Salbach, als er von der Holzfällerhütte fortritt, sagte: »Ich glaube, ich weiß, wo sie sich verstecken . Ich gebe dir meine Anweisungen für Intat.« Sie hatte es gehört und nicht verstanden. Sie hätte es begreifen müssen. Sie hätte verhindern können . Etwas in ihrem zornerfüllten Gemüt sagte ihr, daß dies der zweite schwere Fehler war, den sie begangen hatte.
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