Mugron stand auf, ging zur Kajütentür und rief: »Midnat«. Er setzte sich wieder. Einen Moment später trat ein ältlicher, bärtiger Mann ein und grüßte seemännisch. Er war grauhaarig und sonnenverbrannt.
»Sag der Schwester hier deinen Namen und deine Stellung auf dem Schiff. Dann erzähl ihr, was passierte, als du heute an Land gingst.«
Der Alte drehte sich zu Fidelma um, nickte und entblößte seine zahnlosen Gaumen.
»Ich heiße Midnat, Lady. Ich bin hier der Schiffskoch. Ich ging heute an Land, um frisches Gemüse und Hafer für die Mannschaft zu kaufen.«
»Wann war das?«
»Gerade als in der Abtei zum Mittagessen geläutet wurde.«
»Erzähl Schwester Fidelma, was passierte«, unterbrach ihn Mugron. »Genau so, wie du es mir erzählt hast.«
Der Alte sah ihn überrascht an.
»Von der ...?«
»Na los, Mann«, fuhr ihn Mugron an. »Erzähl ihr alles.«
Der Alte wischte sich über Mund und Kinn.
»Also, ich gehe zu meinem Boot zurück. Ich habe Gemüse gekauft, weißt du. Also, ich gehe zurück ... na, da ruft mich diese Schwester an und fragt mich, ob mein Kapitän zwei Passagiere auf die Reise mitnehmen kann.«
»Sie sprach von zwei Passagieren?« fragte Fidelma. »Was hat sie genau gesagt?«
»Ungefähr so: >He, Seemann, bist du von dem See-schiff?< sagt sie. Ich nicke. >Wieviel verlangt dein Kapitän für die Überfahrt von zwei Personen nach Britannien oder Gallien?< Da merke ich, daß sie mich für einen von dem fränkischen Schiff da drüben hält. Dem großen Handelsschiff. Sie bietet, sagt sie, zwei screpall für die Überfahrt.«
Fidelma starrte ihn einen Moment verblüfft an.
»Die Schwester bot solche wertvollen Silbermünzen?«
Midnat nickte nachdrücklich.
»Ich sage: >Würd ich gerne nehmen, Schwester, aber ich bin bloß der Koch von dem Kriegsschiff da aus Laigin. Wenn du aus diesem Land raus willst, mußt du dich an einen Seemann von dem fränkischen Handelsschiff wenden, das auf der anderen Seite der Bucht ankert.< Kaum hab ich das gesagt, tritt sie zurück, hat die Hand vor dem Mund und so große Augen, als wär ich der Teufel in Person. Dann dreht sie sich um und rennt weg.«
Der Mann schwieg und wartete, den Blick auf Fi-delmas Gesicht gerichtet.
»Ist das alles?« Fidelma war enttäuscht.
»Es war genug«, meinte Midnat.
»Sie verschwand, und du hast sie nicht wieder gesehen?«
»Sie lief weg, das Ufer lang. Ich kehrte auf mein Schiff zurück. Vor einer Weile dann, grade als es dunkel wird, hör ich Lärm. Ich geh an Deck und will sehen, was los ist. Nicht weit weg holen zwei Fischer eine Leiche aus dem Wasser. Es ist dieselbe Schwester, die mir Geld für die Überfahrt geboten hat.«
Fidelma warf ihm einen durchdringenden Blick zu.
»Es war Dämmerung, fast schon dunkel. Wie konntest du sicher sein, daß es dieselbe Schwester war?«
»Es war noch hell genug«, meinte der alte Koch, »und die Leiche der Schwester trug immer noch das merkwürdige Kreuz am Hals. Es war deutlich genug zu sehen, daß ich wußte, daß ich so eins noch nie gesehen hatte außer bei der Schwester, die nach der Überfahrt nach Britannien oder Gallien gefragt hatte.«
Das stimmt schon, dachte Fidelma. Eistens römisches Kreuz war hinreichend auffällig in dieser Gegend. Aber sie wollte sichergehen.
»Merkwürdig? Inwiefern?«
»Es war ein Kreuz ohne einen Kreis.«
»Du meinst ein römisches Kreuz?« fragte Fidelma nach.
»Weiß ich nicht. Wenn du’s so nennst«, antwortete der andere gleichgültig. »Jedenfalls war es groß und verziert und mit ein paar Edelsteinen besetzt, die das Lösegeld für einen König wert sind.«
Es überraschte nicht, daß der alte Seemann die Halbedelsteine für Juwelen von großem Wert hielt. Die Beschreibung war zwar dürftig, reichte aber aus, um Fidelma davon zu überzeugen, daß der Mann die Wahrheit sagte.
»Das wäre alles, Midnat«, stellte Mugron fest.
Der alte Koch grüßte zum Abschied und verließ die Kajüte.
»Nun?« fragte Mugron. »Bist du damit zufrieden?«
»Nein«, erwiderte Fidelma ruhig. »Denn das alles erklärt noch nicht, woher du den Namen der unglücklichen Frau weißt.«
Mugron machte eine wegwerfende Geste.
»Na, das ist kein großes Geheimnis. Ich sagte dir schon, daß wir die Erlaubnis von Salbach haben, hier zu ankern und das Pfändungsverfahren gegen Brocc von Ailithir zu betreiben. Als wir vor gut einer Woche hierherkamen, gingen wir auf Anweisung des Brehons unseres Königs gleich zu Salbachs Burg in Cuan Doir, um die Erlaubnis dazu einzuholen.«
»Und dann?« fragte Fidelma, die nicht verstand, worauf Mugron hinauswollte.
»In Cuan Doir wurde ich Schwester Eisten vorgestellt. Als Midnat zu mir kam und die Schwester mit dem merkwürdigen Kruzifix beschrieb und sagte, das sei dieselbe Schwester, die eine Überfahrt suchte, fielen mir das Kruzifix und der Name wieder ein.«
»Du bist also sicher, daß Schwester Eisten vor einer Woche auf Salbachs Burg war?« fragte Fidelma. Das war alles ziemlich verwirrend.
»Allerdings. Cuan Doir liegt an der nächsten Bucht, nicht weit von hier. Warum überrascht es dich so, daß sie dort war?«
Fidelma ließ sich auf keine Erklärung ein.
»Eins möchte ich noch von dir, Mugron«, sagte sie. »Ich möchte, daß du mich zur Abtei begleitest und feststellst, ob die Leiche von Schwester Eisten dieselbe
Person ist wie die Schwester, die du in Salbachs Burg gesehen hast. Ich möchte ganz sicher sein.«
Mugron zögerte.
»Na, ich denke, ein Landgang ist besser, als hier auf dem Pott sitzen und von den Wellen geschaukelt werden. Ich verstehe allerdings nicht, was der Tod dieser unglückseligen jungen Frau mit dem Mord an Dacan zu tun hat? Es gibt für dich doch sicher Wichtigeres zu tun?«
Er sah Fidelmas Gesicht und hob begütigend die Hand.
»Ja, ja, Schwester Fidelma. Ich komme mit, aber du als dalaigh mußt dafür sorgen, daß ich von den Anhängern Abt Broccs nicht beleidigt werde.«
»Das garantiere ich dir«, versicherte ihm Fidelma.
»Dann ist es abgemacht.«
»Noch eins«, sagte Fidelma und hielt Mugron zurück, als er aufstehen wollte.
»Nämlich?«
»Du sagtest, du wurdest Schwester Eisten vorgestellt. Warum geschah das?«
»Während wir im Bankettsaal auf Salbachs Erscheinen warteten, sah ich sie. Das Kreuz, das sie trug, interessierte mich, weil es so anders war als die Kruzifixe, die hierzulande bei Mönchen und Nonnen üblich sind. In Laigin könnte ich dafür einen guten Preis erzielen.«
»Das stimmt«, bestätigte Fidelma. »Das Kruzifix wurde in Bethlehem gekauft, denn Schwester Eisten machte eine dreijährige Pilgerfahrt zum heiligen Geburtsort Christi.«
»Genau das hat sie mir damals erzählt, Schwester«, pflichtete ihr der Kapitän bei. »Es hat sich wohl fast jeder danach erkundigt. Ich hatte Schwester Eistens Begleiterin gebeten, mich vorzustellen, damit sie wüßte, daß sie mir trauen konnte. Aber leider hing sie zu sehr an dem Kreuz, als daß sie es verkauft hätte.«
»Wer stellte dich vor?« fragte Fidelma. »Du hast angedeutet, daß du die Begleiterin von Schwester Eisten kanntest.«
Mugron war ohne Arg.
»Natürlich kannte ich sie. Ich war ihr begegnet, als ich im Dienst des alten Königs Fearna besuchte. Und sie erkannte mich auch gleich wieder. Ich war erstaunt, eine Dame aus Laigin in der Burg des Fürsten der Cor-co Loigde anzutreffen, besonders, da es sich um die frühere Gattin Dacans handelte.«
Das war nun wirklich eine gewaltige Überraschung.
»Die frühere Gattin des Ehrwürdigen Dacan?« wiederholte Fidelma langsam, sie traute ihren Ohren kaum. »Bist du dir da ganz sicher?«
»Natürlich bin ich mir sicher. Ich wußte, daß Da-can verheiratet gewesen war. Es ist vierzehn Jahre her, aber ich erinnere mich an sie. Sie war damals ein sehr schönes junges Mädchen. Sie blieben nicht lange zusammen, dann ließ sie sich von ihm scheiden, um ihre geistliche Laufbahn zu verfolgen. Ich dachte, sie wäre nach Cealla gegangen.«
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