Fidelma wurde plötzlich ernst. »Dann komme ich am besten wieder zur Sache, weiser Richter, bevor du mich der Verschwörung schuldig findest. Ach, noch eine Frage, Finguine. Was tatest du vorletzte Nacht vor Samradans Haus?«
»Vorletzte Nacht? Ich suchte Samradan, weil ich ihm ein paar Fragen stellen wollte. Ich ritt zu seinem Haus, aber auf mein Klopfen antwortete niemand.«
»Du gingst nicht hinein?«
»Ich stieg nicht einmal von Pferd. Ich ritt nur zur Tür und klopfte an. Als niemand antwortete, ritt ich wieder weg. Am nächsten Tag erfuhr ich, daß Samra-dan tot war - ermordet.«
»Auch im Tode liegt die Antwort bei Samradan«, bemerkte Fidelma. Wieder trat ein eisiges Schweigen ein, jeder lauschte gespannt ihren Worten. »Ich habe schon erwähnt, daß ich ihn ahnungslos fragte, ob er mit Silber handele, und daß er das verneinte. Er leugnete es, weil dieser Handel illegal war. Abgesehen von seinen Arbeitern und von Nion, der das Metall aus dem Erz gewann, wußte nur sein Mitverschwörer von der Silbermine. Dieser Mitverschwörer war der rigdomna, der den Sturz von Muman plante.
Als dieser junge rigdomna am Morgen des Attentats nach Cashel einritt, war er derjenige, der die Hand erhob und damit den Attentätern das Zeichen gab, auf Colgü zu schießen. Nur dadurch, daß Colgü sich plötzlich vorbeugte, um mich zu begrüßen, verfehlte der Schütze sein Ziel. Der zweite Pfeil traf wie vorgesehen und schlug Donennach eine schlimme, aber nicht lebensgefährliche Wunde. Dann galoppierte Gionga los, der die Attentäter erspäht hatte.
Daß seine Mitverschwörer lebend gefangen würden, war das letzte, was der rigdomna wollte. Waren sie tot, konnte der Plan immer noch gelingen. Einem von ihnen hatte er das Kreuz der Goldenen Kette gegeben und gesagt, er solle es am Ort fallen lassen. Er wußte aber nicht, daß der andere, Baoill, immer noch das Kruzifix Ailbes bei sich trug, und davon ging die Spur aus, die zu den Verschwörern führte.«
»Willst du damit sagen, daß Gionga falsch handelte, als er die Attentäter erschlug?« warf Solam ein.
»Er tat das, was er für das Richtige hielt. Er tötete die Attentäter, weil er sich in Gefahr glaubte. Hätte er gezögert, hätte wahrscheinlich der Hauptverschwörer, der ihm gefolgt war, dafür gesorgt, daß die beiden unter irgendeinem Vorwand umgebracht wurden, damit sie nicht mehr reden konnten. Jedenfalls wurden sie getötet. Aber Gionga ist dafür nicht zu tadeln.«
Gionga stand mit zusammengezogenen Brauen da, als sei er in tiefes Nachdenken versunken. Der Vorfall wurde ihm durch ihre Worte nun klarer.
Fidelma blickte aufmunternd zu ihm hinüber.
»Ich biete dir eine Wette an, Gionga. Der Mann, der dir dicht auf den Fersen war und dafür sorgte, daß du die beiden Männer bei Samradans Lagerhaus erschlugst, war derselbe, der dir andeutete, ich wäre entschlossen, auf jeden Fall Beweismaterial gegen Fürst Donennach herbeizuschaffen. Ist es nicht so? Hat er nicht vorgeschlagen, deine Krieger sollten mir den Weg nach Imleach versperren? Du solltest eine Wache auf die Brücke stellen?«
Giongas Gesicht erhellte sich. Er nickte eifrig. »Das stimmt. Aber er ...«
»Du hast nicht begriffen, daß du ihm in die Falle gingst, denn dadurch, daß du Krieger aussandtest, um mich am Verlassen von Cashel zu hindern, hast du noch mehr Verdacht auf deinen Fürsten gelenkt. Dein Verhalten schien die Schuld der Ui Fidgente noch zu vergrößern.«
Gionga schlug sich mit der Hand vor die Stirn. »Daran habe ich nicht gedacht.«
»Wer ist dieser Mann?« rief Brehon Rumann ungeduldig aus. »Genug der Anspielungen, nenne seinen Namen!«
»Welcher Mann hob die Hand, als die Leibwache König Colgüs an jenem Morgen auf den Marktplatz ritt?« fragte Fidelma. »Wir alle dachten, es sei ein Signal für seine Reiter, aber es war ein Signal für die Attentäter. Welcher Mann ritt sofort hinter Gionga her? Welcher Mann riet Gionga, eine Wache auf die Brük-ke über den Suir zu schicken? Welcher Mann sagte mir in einem unbedachten Moment, er habe eine gewisse Silberspange von Samradan gekauft, während doch Samradan aus seinen Silbergeschäften ein solches Geheimnis machte, daß der einzige, der außer Nion davon wußte, sein Partner und Schutzherr war?«
Langsam war Donndubhain aufgestanden und Fi-delma vor den Richtern gegenübergetreten. Während der ganzen Verhandlung hatte er geschwiegen. Er hatte mit unbewegtem Gesicht auf seinem Platz gesessen, hatte einfach vor sich hin gestarrt, weder nach rechts noch nach links gesehen. Jetzt war der Augenblick gekommen, da endlich alle wußten, wen Fidelma beschuldigte. Er stand nun gerade noch einen Schritt von ihr entfernt. Nach wie vor bewahrte er eine gelassene Miene.
»Was versuchst du mir da anzuhängen, Kusine?« Sein Ton war freundlich, doch seine Augen blickten hart und starr.
»Dir anzuhängen? Du bist der Drahtzieher einer üblen Verschwörung, Vetter. Du warst eifersüchtig, als Colgü zum Tanist gewählt und König von Muman wurde, denn du meintest, der Königstitel stände eigentlich dir zu. Selbst als du zum Tanist, zum Thronfolger für Colgü, gewählt wurdest, genügte dir das nicht. Colgü ist noch jung, und wenn nichts Unvorgesehenes eintrat, konntest du nicht hoffen, jemals König zu werden. Also hast du beschlossen, das Unvorhergesehene selbst herbeizuführen.
Colgü sollte ermordet werden. Die Schuld würde man den Ui Fidgente geben. Unruhe und Aufruhr würden Muman zerreißen, und du, lieber Vetter, würdest dann plötzlich ans Licht treten und die Krone für dich fordern, mit dem Versprechen, das Königreich wieder zu einen. Du hättest die Unterstützung des ganzen Königreichs, wenn du gegen die Ui Fid-gente marschieren würdest, um sie zu vernichten. Aus der Asche dieses Landes würdest du den Tribut an die Ui Neill zahlen und damit Mael Düin von Ailech die Gelegenheit geben, erneut seine blutige Hand nach der Herrschaft über unser Königreich auszustrecken.«
Viele hatten sich erhoben in der Großen Halle und drängten dorthin, wo sich das Drama abspielte. Eadulf wurde von ihnen mitgerissen und nach vorn geschoben. Er klammerte sich verzweifelt an seinen Pilgerstab, um in der Masse auf den Beinen zu bleiben.
Er geriet in die Nähe von Donndubhain und Fi-delma. Ihm gefiel das Mienenspiel des Tanist nicht, das sein hübsches Gesicht zu einer Maske ungebän-digten Hasses verzerrte. Es war deutlich, daß Fidel-mas Wahrheiten ihn ins Mark getroffen hatten.
Der Tanist von Cashel versuchte ihre Beschuldigungen selbstbewußt zurückzuweisen.
»Die Brehons wollen Beweise und keine Vermutungen hören, Kusine«, sagte er, vorgeblich belustigt. »Wo hast du die Beweise für diesen empörenden Unsinn?«
»Meinst du, ich habe noch nicht genug Beweise geliefert? Dort steht Gionga. Er wird dir sagen, wie du ihn überredet hast, seine Krieger auszusenden .«
»Und wenn schon? Für alles andere hast du keine Beweise. Baoill und Fedach sind tot, und .«
Fidelmas breites Lächeln ließ ihn innehalten. »Welchen Namen hast du eben genannt?« fragte sie ruhig.
»Baoill und .« Er brach ab, als er merkte, welchen Fehler er soeben begangen hatte.
»Ich glaube, der Name, mit dem du den Bogenschützen meintest, war Fedach? Habe ich nicht gesagt, daß niemand seinen Namen kannte? Daß der einzige lebende Mensch ...«
»Das ist noch kein Beweis. Ich kann ihn von jemand anderem gehört haben und .«
»Dein Entschluß, Samradan neulich nachts zu töten, war ein verhängnisvoller Fehler. Ohne diesen Mord wäre das Puzzlespiel, unser tomus- Spiel, das wir als Kinder spielten, nicht aufgegangen.«
»Aber ich habe dich doch zum Versteck der Pferde der Attentäter in Samradans Stall geführt«, wandte Donndubhain ein. »Hätte ein Schuldiger das getan?«
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