Mit gerötetem Gesicht und höhnischem Lächeln sprang Solam auf. »Ich vertrete hier den Fürsten der Ui Fidgente«, fauchte er auf seine aufgeregte Art. »Fi-delma wird für ihren Bruder sprechen.«
»Hast du diese Tatsache gekannt und uns verschwiegen?« fragte Brehon Rumann mit sichtlichem Unwillen.
»Ich kannte die Tatsache und wußte auch, daß Fi-delma davon reden würde. Ich bin nicht verpflichtet, ihre Argumente vorzubringen.«
Solams Reizbarkeit geriet ihm zum Nachteil, denn Brehon Rumann runzelte die Stirn. »Manchmal ist sparsamer Umgang mit der Wahrheit nicht besser als eine Lüge, Solam. Sei gewarnt. Ich dulde keine Halbwahrheiten.«
Solam neigte reuig den Kopf.
Fidelma überraschte alle, indem sie sagte: »Ich mache Solam keinen Vorwurf, weise Richter, weil er seine Wahrheit dadurch zu finden hofft, daß er alles wegläßt, was er meint, nicht äußern zu müssen. Ich wünschte, wir fänden die Wahrheit ebenso leicht, wie wir die Unwahrheit aufdecken können.
Tatsache ist jedoch, daß der König ebenfalls verwundet und als erster getroffen wurde, und das daraus entstehende Durcheinander war vielleicht der wahre Grund, weshalb der Attentäter nicht in der Lage war, den Fürsten der Ui Fidgente tödlich zu treffen. Oder wollte er es vielleicht gar nicht?«
»Das ist eine Unterstellung!« rief Solam und sprang auf. »Es ist eine Beleidigung und eine Beschuldigung der Ui Fidgente!«
»Es ist ebenso eine Unterstellung wie Solams Interpretation«, antwortete Fidelma gelassen. »Ferner ist es richtig, daß Gionga, der Hauptmann der Leibwache Donennachs, den Attentätern nachsetzte. Das tat auch der Tanist von Muman, Donndubhain. Beide waren am Tod der Attentäter beteiligt.
Ich behaupte, daß es keine Verschwörung des Königs von Muman gab, den Fürsten der Ui Fidgente zu ermorden, und das werde ich beweisen.«
Solam war wieder auf den Beinen. »Dieser Beweis dürfte interessant werden. Ich möchte nun meiner ersten Darlegung des Falles gegen Muman noch etwas hinzufügen. Ich habe bewiesen, daß einer der Attentäter ein Mitglied der Leibgarde des Königs von Cashel war .«
»Du hast nichts dergleichen bewiesen!« unterbrach ihn Fidelma. »Die Tatsache, daß er das Abzeichen der Goldenen Kette trug, macht ihn noch nicht zum Mitglied des Ordens.«
»Das werden wir im Licht des Beweismaterials beurteilen«, versicherte ihr Brehon Rumann.
»Das Beweismaterial wird noch eine andere Verbindung aufdecken«, fuhr Solam triumphierend fort. »Ich sagte bereits, daß der andere Attentäter der Bruder des Bewahrers der heiligen Reliquien in Imleach war. Am Abend vor dem Attentatsversuch verschwand der Bewahrer der heiligen Reliquien mit den Reliquien Ailbes aus Imleach. Er richtete es so ein, daß es aussah, als sei er von Feinden verschleppt worden. Das sollte er tun, damit man den Ui Fidgente die Schuld daran zuschieben könnte. Weise Richter, ich habe mich der Person dieses mitverschworenen Mönchs Bruder Mochta versichert, dessen Zwillingsbruder Baoill der Attentäter war, von dem ich sprach. Er sitzt dort und wird als Zeuge aufgerufen werden, und ich freue mich, sagen zu können, daß Gionga von den Ui Fidgente das Reliquiar Ailbes gefunden hat, das hier in Cashel versteckt war, damit man seinen Diebstahl den Ui Fidgente zuschreiben könnte.«
Rot vor Zorn war Fidelma aufgesprungen. »Weise Richter, das ist eine Verdrehung der Wahrheit.«
Solam war ebenso aufgebracht. »Wahrheit? Die dalaigh von Cashel führt ständig die Wahrheit im Munde. Kann sie uns auch erklären, warum sie Bruder Mochta und die heiligen Reliquien versteckt hat?
Warum sie Mochta und jene Reliquien von Imleach nach Cashel geschmuggelt hat, ohne irgend jemandem etwas davon zu sagen, und versucht hat, sie im Hause einer stadtbekannten Prostituierten zu verbergen? Einer Prostituierten?«
Jetzt gab es einen Aufruhr in der Halle, weil nun doch jeder auf Solams Theatralik reagierte.
»Stimmt das, Fidelma?« wollte Brehon Rumann wissen, nachdem er Ruhe geboten hatte.
Eadulf stöhnte, weil er wußte, was Fidelma darauf antworten mußte.
»Die Tatsachen stimmen, aber .«
Der Rest ihrer Rede ging im Lärm unter.
»Außerdem, außerdem ...«, schrie Solam rasch und ließ ihr keine Zeit, den Satz zu beenden, als der Sturm sich legte. »Außerdem gab es noch ein weiteres Komplott mit dem Ziel, die Ui Fidgente in Verruf zu bringen. Man hat einen Trupp Söldner angeheuert, die Im-leach überfielen, den heiligen Eibenbaum dort fällten und einen Eber in den Stumpf schnitten, das Emblem meines Fürsten, um damit den Ui Fidgente die Schuld unterzuschieben.
Hinter allen diesen Intrigen, behaupte ich, steckt der König von Muman. Es geht darum, die Ui Fidgen-te in Mißkredit zu bringen, um einen Vorwand zu bekommen, sie zu vernichten. Ich behaupte, daß alle Eoghanacht daran beteiligt sind, vom König und seiner Schwester, die sich hier als seine unvoreingenommene Anwältin aufspielt, über die Fürsten von Mu-man bis zum Comarb von Ailbe selbst.«
Rasch setzte er sich wieder, und Wut und Zorn erfüllten die Große Halle.
Brehon Rumann wartete, bis wieder Ruhe eintrat, und schaute dann Fidelma scharf an.
»Das sind wahrhaftig schwere Vorwürfe, die ich da gehört habe, so schwere Vorwürfe, wie sie kein dalaigh erheben würde, wenn er nicht sehr gute Gründe dafür hätte. Bevor wir uns die Beweise anhören, die Solam dafür vorzulegen hat, ist es meine Pflicht, dich dein Gegenplädoyer fortsetzen zu lassen, Fidelma. Dabei muß ich bedenken, daß du selbst die Wahrheit bestimmter Vorwürfe zugegeben hast, die Solam gegen dich gerichtet hat. Willst du sprechen?«
Fidelma erhob sich. Es herrschte absolute Stille in der Großen Halle, und alle lauschten gespannt ihren Worten.
»Ja, weise Richter«, begann sie. »Erlaubt mir zu bemerken, daß ich die Tatsachen anerkannt habe, nicht aber den Sinn, den Solam ihnen unterlegt.«
Brehon Rumann runzelte die Stirn. »Die Tatsachen scheinen für sich zu sprechen«, meinte er. »Wir alle sind an die Tatsachen gebunden, und Tatsachen lassen sich nicht verändern.«
»Mit Verlaub, weiser Richter, eine Tatsache hat viele Seiten. Sie ist wie ein Getreidesack. Kann ein leerer Getreidesack stehen? Nein, man muß ihn erst mit Korn füllen. Dann kann er auch stehen. Eine Tatsache ist wie ein leerer Getreidesack. Auch sie steht nicht, wenn sie nicht gefüllt wird. Die Tatsache muß zusammen mit den Ursachen geprüft werden, die zu ihr geführt haben.«
Brehon Rumann wollte schon antworten, als ihm aufging, was Fidelma meinte. »Ich verstehe. Du hast sicherlich vor, unseren Getreidesack zu füllen?«
»Ja, weiser Richter.«
»Ich nehme an, du wirst Solam entgegenhalten, daß das Königreich von Cashel nicht der Verschwörung schuldig ist, mit dem Ziel, die Ui Fidgente in Verruf zu bringen? Daß es in Wirklichkeit die Ui Fidgente sind, die ein Komplott gegen das Königreich von Muman und die Eoghanacht schmieden?« Rumann lehnte sich zurück. »Habe ich recht mit dieser Vermutung?«
Es trat eine kurze Pause ein.
Dann sagte Fidelma: »Nein, weiser Richter. Du hast nicht recht.«
Es war totenstill. Brehon Rumann starrte sie an, als habe er nicht recht gehört. Seine Kollegen Dathal und Fachtna waren ebenso verblüfft.
»Ich habe dich wohl nicht richtig verstanden. Ich sage noch einmal, du wirst doch sicher Solam entgegnen, daß die Eoghanacht nicht einer Verschwörung schuldig sind, woraus folgt, daß dann die Ui Fidgente einer Verschwörung gegen Cashel schuldig sind.«
»Weise Richter«, sagte Fidelma laut und deutlich, »die Ui Fidgente sind nicht einer Verschwörung gegen Cashel schuldig.«
Das Schweigen war beinahe lastend.
»Außerdem«, fuhr sie fort, »kann ich die Eogha-nacht nicht von der Verantwortung für eine Verschwörung mit dem Ziel, Zwist in diesem Königreich zu entfachen, freisprechen.«
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