Chrysogonus trat auf ihn zu, um ihn zu begrüßen, wobei er eine angedeutete Verbeugung machte. Sie umarmten sich, sprachen kurz miteinander, lachten und lächelten. Sie legten sich gegenseitig die Arme um die Schultern und verschwanden im Haus.
Die Sänftenträger wurden entlassen. Die Gefolgsleute sortierten sich zwanglos nach Wichtigkeit und gingen nach dem Herrn ins Haus. Ihnen folgten die noch immer spielenden Musiker und zuletzt die Fackelträger, wobei zwei von ihnen rechts und links neben der Tür stehenblieben und ein schwaches Licht für mögliche Spätankömmlinge spendeten. Aus dem Haus drang gedämpfter Applaus und Jubel. Die Seele des Abends war eingetroffen.
*
Zwei Tage zuvor hatte Rufus mir Chrysogonus’ Villa von außen gezeigt und mich auf jeden Eingang hingewiesen, wobei er mir, so gut er es aus dem Gedächtnis konnte, die Lage der Räume erläutert hatte. An der Nordseite, um die Ecke von dem Portikus und verdeckt durch eine Gruppe von Zypressen auf dem dahinterliegenden Gelände, war eine kleine Haustür in die Mauer eingelassen. Laut Rufus führte sie in eine Speisekammer, die sich an die riesigen Küchen im hinteren Teil des Hauses anschloß. Wir sollten warten, bis Rufus kam, wenn es ihm nicht gelang, Felix und Chrestus selbst aufzuspüren. Andernfalls würde er sie zu uns schicken. Die Dunkelheit schützte uns vor neugierigen Blicken von der Straße, und die Zypressen schirmten uns vor den Sänftenträgern ab, die auf der Freifläche zwischen dem Haus und den Ställen herumlungerten. Das Haus selbst hatte keine Fenster nach Norden, nur einen verlassenen, unbeleuchteten Balkon im oberen Stockwerk.
Ich befürchtete, daß Tiro nervös werden könnte, weil er es nicht gewohnt war, untätig in der Dunkelheit herumzusitzen, aber er schien ganz zufrieden damit, gegen den Baumstamm gelehnt in die Nacht zu starren. Er hatte seit unserem Treffen mit Roscia praktisch kein Wort mit mir gewechselt. Er war viel tiefer verletzt, als er zu erkennen gab. Gelegentlich sah er mich von der Seite an, um seinen Blick jedesmal mit blitzenden Augen sofort wieder abzuwenden.
Es kam mir vor, als warteten wir eine lange Zeit. Die Musik aus dem Haus vermischte sich mit dem Zirpen der Zikaden, und einmal hörte ich eine Stimme etwas vortragen, regelmäßig unterbrochen von Lachsalven und Applaus. Endlich flog die Tür auf. Ich erstarrte im Schatten des Baumes und machte mich bereit loszurennen, aber es war nur eine Sklavin, die einen Eimer mit dreckigem Wasser leerte. Sie schüttete ihn blind in die Dunkelheit, fuhr dann herum und schlug die Tür hinter sich zu. Tiro wischte seine Beine ab, weil ein paar Tropfen auf den Saum seiner Tunika gespritzt waren. Ich griff in meinen Ärmel und spürte den Griff des Messers - desselben Messers, das der stumme Sohn Polias mir auf der Straße zum Haus der Schwäne in die Hand gedrückt hatte, vor langer Zeit, so kam es mir vor, und weit weg.
Ich war fast eingedöst, als die Tür erneut aufging. Ich umklammerte den Knauf des Messers und richtete mich auf. Die Tür quietschte leise in den Angeln und schwang dermaßen verstohlen auf, daß ich wußte, es konnte nur Rufus sein oder aber gedungene Mörder, die gekommen waren, um uns zu töten.
»Gordianus?« flüsterte eine Stimme.
»Komm raus, Rufus. Mach die Tür hinter dir zu.«
Er schloß sie mit derselben übertriebenen Vorsicht und stand blinzelnd wie ein Maulwurf da, trotz des hellen Mondes unfähig, irgend etwas in der Dunkelheit zu erkennen.
»Hast du sie schon gefunden?« fragte ich.
»Sie sind im Haus, ja. Oder es gibt zumindest zwei Sklaven namens Felix und Chrestus, die beide neu im Haus sind; das hat mir jedenfalls eine der Serviererinnen erzählt. Aber ich habe sie nirgends entdecken können. Sie kümmern sich nicht um die Gäste. Sie haben keinen Kontakt zu irgend jemandem außerhalb des Hauses. Chrysogonus hält sie sich als seine persönlichen Arbeitssklaven. Das Mädchen sagt, daß sie das obere Stockwerk praktisch nie verlassen.«
»Vielleicht kann sie ihnen eine Botschaft übermitteln.«
»Das habe ich sie schon gefragt. Chrysogonus würde sehr wütend werden, wenn sie während der Feier nach unten kämen. Aber sie ist bereit, euch zu ihnen zu führen.«
»Wo ist das Mädchen?«
»Sie wartet in der Speisekammer auf mich. Sie hat so getan, als müsse sie etwas holen.«
»Vielleicht rennt sie aber auch in diesem Augenblick zu Chrysogonus.«
Rufus sah sich besorgt zu der Tür um und schüttelte dann den Kopf. »Das glaube ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Du weißt doch, wie das ist. Man weiß, ob ein Sklave bereit ist, irgendeine schmutzige Sache hinter dem Rücken seines Herrn abzuwickeln. Ich glaube, sie kann den Goldengeborenen nicht besonders leiden. Sklaven hassen es, für einen Freigelassenen zu arbeiten, heißt es doch - die ehemaligen Sklaven sind immer die grausamsten Herren.«
Ich blickte zu der Tür und dachte, wie leicht uns dahinter der Tod erwarten könnte. Ich atmete tief ein und beschloß dann, mich auf Rufus’ Einschätzung zu verlassen. »Geh voran.«
Er nickte und öffnete verstohlen die Tür. Der Sturz war so niedrig, daß ich mich bücken mußte. Tiro folgte mir. Es bestand keine Veranlassung, daß er mitkam, und ich hatte ihn eigentlich vor der Tür warten lassen wollen, aber als ich mich über die Schulter umsah, war sein Gesichtsausdruck von solcher Entschlossenheit, daß ich nachgab. Leise quietschend schloß sich die Tür hinter uns.
Das Mädchen war jung und hübsch, mit langen schwarzen Haaren und einer zarten Haut, die im Licht der Lampe, die sie in der Hand hielt, honigfarben glänzte. Wäre sie eine Kurtisane gewesen, wäre ihr Aussehen nicht weiter bemerkenswert gewesen, für ein einfaches Serviermädchen jedoch schien ihre Schönheit von absurder Extravaganz. Chrysogonus war berühmt dafür, sich mit hübschen Dekorationen und Spielsachen zu umgeben.
»Das sind die Männer«, erklärte Rufus. » Kannst du sie so leise nach oben bringen, daß niemand etwas merkt?«
Das Mädchen nickte und lächelte, als ob es dumm sei, überhaupt zu fragen. Dann öffnete sich ihr Mund, sie schnappte nach Luft und fuhr herum. Die Tür hinter ihr ging langsam auf.
Der Raum war niedrig und eng, mit Regalen, Flaschen, Urnen, Schalen und Säcken vollgestellt. Knoblauch hing von der Decke, und der staubige Geruch, der vom Boden aufstieg, lag schwer in der Luft. Ich zog mich, soweit ich konnte, in eine Ecke zurück und drängte Tiro hinter mich. Im selben Augenblick schlang Rufus seinen Arm um die Taille des Mädchens, zog sie an sich und preßte seinen Mund auf ihren.
Die Tür ging auf. Rufus küßte das Mädchen noch einen Moment länger, dann lösten sie sich voneinander.
Der Mann in der Tür war hochgewachsen und breitschultrig, so groß, daß er fast den ganzen Rahmen füllte. Von hinten fiel Licht auf sein Haar, das wie ein schimmernder goldener Heiligenschein um sein im dunkeln liegendes Gesicht lag. Er kicherte leise und trat näher. Die Lampe, die in der Hand des Mädchens zitterte, beleuchtete sein Gesicht von unten. Ich sah das Blau seiner Augen und das Grübchen in seinem breiten Kinn, die hohen Wangenknochen und die glatte, klare Stirn. Er war nur wenige Schritte entfernt von mir und hätte mich zwischen den Tontöpfen und Urnen bestimmt gesehen, wenn es nicht so dunkel gewesen wäre. Ich bemerkte, daß das Mädchen das Licht bewußt mit dem Körper abschirmte und ihn mit ihrer Lampe blendete, um uns in noch tieferen Schatten zu tauchen.
»Rufus«, sagte er schließlich, wobei er das Wort mit einem langgezogenen Zischen ausklingen ließ, als sei es kein Name, sondern ein Seufzer. Er sagte es noch einmal, diesmal mit einer merkwürdigen Betonung der Vokale. Seine Stimme war tief und voll, verspielt, angeberisch und so intim wie eine Berührung. »Sulla fragt nach dir. Sorex wird jetzt gleich tanzen. Eine Meditation über den Tod der Dido - hast du sie schon gesehen? Sulla wäre gar nicht froh darüber, wenn du es verpaßt.«
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