»Dann hast du deinen Schwager ganz gut kennengelernt?«
» So gut, wie ich es als kleiner Bruder seiner Frau eben muß.«
»Und hast du auch die Bekanntschaft seines engeren Freundeskreises gemacht?«
»Du möchtest mich nach Chrysogonus fragen?«
»Ja.«
»Alle Geschichten sind wahr. Heute sind sie natürlich nur noch freundschaftlich verbunden. In fleischlichen Angelegenheiten ist Sulla sehr launenhaft, aber gleichzeitig treu, weil er seine Geliebten nie fallenläßt; wenn er jemand einmal seine Zuneigung geschenkt hat, entzieht er sie nie wieder. Wenn Sulla eins ist, dann standhaft, als Freund wie als Feind. Was Chrysogonus angeht, ich glaube, wenn du ihn sähest, würdest du es verstehen. Es stimmt, er hat als bloßer Sklave angefangen, aber manchmal gefällt es den Göttern, die Seele eines Löwen im Körper eines Lamms wohnen zu lassen.«
»Dann ist Chrysogonus also ein raubgieriges Lamm?«
»Ein Lamm schon lange nicht mehr. Es ist wahr, Sulla hat ihm das Fell geschoren, aber ihm ist eine Mähne aus purem Gold nachgewachsen. Chrysogonus trägt sie mit Anmut. Er ist sehr reich, sehr mächtig und völlig skrupellos. Und schön wie ein junger Gott. Dafür hat Sulla ein Auge.«
»Es klingt, als könntest du Sullas Liebling noch weniger leiden als ihn selbst.«
»Ich habe nie gesagt, daß ich Sulla nicht leiden kann, oder? So einfach ist die Sache nicht. Es fällt mir schwer, meine Gefühle in Worte zu fassen. Er ist ein großer Mann. Seine Aufmerksamkeit schmeichelt mir, auch wenn sie unschicklich ist, wo er doch mit meiner Schwester verheiratet ist.« Er warf mir einen Seitenblick zu, der ihn weit älter als sechzehn aussehen ließ. »Du hast wahrscheinlich gedacht, Caecilia macht Witze oder phantasiert, als sie neulich vorschlug, ich solle meinen Charme zugunsten von Sextus Roscia einsetzen.« Er schnaubte und rümpfte die Nase. »Mit Sulla? Unvorstellbar!«
Wir kamen an einer Gruppe von Senatoren vorbei. Einige von ihnen erkannten Rufus und blieben stehen, um ihn nach dem Fortgang seiner Studien zu fragen und ihm zu erzählen, daß sie von seinem Bruder Hortensius gehört hätten, daß er irgend etwas mit einem Fall zu tun hätte, der in Kürze vor der Rostra verhandelt werden sollte. Mit Männern seiner eigenen Klasse legte Rufus ein nahezu perfektes Verhalten an den Tag, gleichzeitig charmant und aufmerksam, zurückhaltend und doch selbstbewußt wie alle Römer; aber ich erkannte, daß ein Teil von ihm unnahbar und distanziert blieb, ein
Beobachter und Kritiker des eigenen künstlichen Gehabes. Ich begann zu begreifen, warum Cicero so erfreut war, ihn als Protégé um sich zu haben, und ich begann mich zu fragen, ob nicht in gewisser Weise Cicero der Schüler war, der von Rufus lernte, sich über seine eigene ländliche Abstammung und Anonymität zu erheben, um jene mühelose Selbstverständlichkeit des gesellschaftlichen Umgangs anzunehmen, die einem jungen Patrizier aus einer der bedeutenden römischen Familien in die Wiege gelegt war.
Die Senatoren zogen ihres Wegs, und Rufus fuhr fort, als wären wir nie unterbrochen worden. »Ich bin sogar morgen abend zu einer Gesellschaft geladen, die Chrysogonus in seinem Haus auf dem Palatin ganz in der Nähe von Caecilias Villa gibt. Sulla und sein engster Freundeskreis werden dort sein; Valeria nicht. Ich habe erst heute morgen eine Nachricht von Sulla erhalten, in der er mich auffordert, doch unbedingt zu kommen. >Bald wird man dir die Toga der Erwachsenen anlegen<, schreibt er. >Es ist Zeit, daß deine Erziehung zum Mann beginnt. Welcher Ort wäre dafür geeigneter als die Gesellschaft der vornehmsten Männer Roms?< Kannst du dir das vorstellen - er redet über seine Freunde von der Bühne, alles Schauspieler, Komödianten und Akrobaten. Zusammen mit den Sklaven, die er zu Bürgern gemacht hat, damit sie die Plätze derjenigen einnehmen, die er hat enthaupten lassen. Meine Eltern bedrängen mich hinzugehen. Hortensius sagt, ich wäre ein Dummkopf, wenn ich es nicht täte. Sogar Valeria meint, ich sollte hingehen.«
»Genau wie ich«, sagte ich leise und atmete tief ein, um den Aufstieg auf den Palatin zu beginnen.
»Um den ganzen Abend Sullas Annäherungsversuche abzuwehren? Dafür müßte ich Akrobat, Schauspieler und Komödiant auf einmal sein.«
»Tu es für Sextus Roscius und seinen Fall. Tu es für Cicero.«
Bei der Erwähnung von Ciceros Namen wurde sein Gesicht ernst. »Wie meinst du das?«
»Ich brauche Zugang zu Chrysogonus’ Haus. Ich muß sehen, welche von Sextus Roscius’ Sklaven sich noch in seinem Besitz befinden. Wenn es geht, möchte ich sie befragen. Es wäre leichter, wenn ich einen Freund in seinem Haus hätte. Hältst du es für Zufall, daß diese Feier und unser Bedürfnis sich treffen? Die Götter sind uns gewogen.«
»Fortuna, will ich hoffen, und nicht Venus.«
Ich lachte, obwohl es mich wertvollen Atem kostete, und stapfte dann weiter den Berg hinauf.
*
»Dann stimmt es also?« sagte ich. Ich starrte Sextus Roscius in die Augen und wollte ihn dazu bringen, eher zu blinzeln als ich. »Jedes Wort, das Titus Megarus mir erzählt hat? Aber warum hast du uns das nicht gleich gesagt?«
Wir saßen in demselben engen, erbärmlichen Zimmer, in dem wir uns schon einmal getroffen hatten. Diesmal hatte sich Caecilia Metella, nachdem sie eine Kurzfassung der Geschichte gehört hatte, uns angeschlossen. Die Vorstellung, ihr geliebter Sextus Roscius sei als Feind Sullas geächtet worden, sei absurd, erklärte sie, geradezu obszön. Sie war begierig zu hören, was sein Sohn dazu zu sagen hatte. Rufus saß direkt neben ihr, und eine ihrer Sklavinnen stand schweigend in der Ecke und wedelte ihr mit Pfauenfedern an einem langen Stiel frische Luft zu, als sei sie die Gemahlin eines Pharaos. Tiro stand mit Täfelchen und Stilus zappelnd rechts neben mir.
Sextus starrte zurück, nicht bereit zu blinzeln. Dieses Blickduell kostete bald soviel Kraft wie die Hitze. Die meisten Männer, die Zeit zum Erfinden einer Ausrede oder Lüge gewinnen wollen, wenden den Blick ab, betrachten irgend etwas, egal was, solange es nicht zurückstarrt. Sextus Roscius hingegen stierte mich ausdruckslos an, bis ich schließlich blinzelte. Ich meinte, ein Lächeln auf seinem Gesicht gesehen zu haben, aber das kann auch Einbildung gewesen sein. Ich begann zu glauben, daß er vielleicht wirklich verrückt war.
»Ja«, sagte er schließlich. »Es stimmt. Jedes einzelne Wort.«
Caecilia stieß ein eigenartig verzweifeltes Kichern aus. Rufus strich ihr sanft über die faltige Hand.
»Warum hast du Cicero dann nichts davon erzählt? Hast du irgend etwas gegenüber Hortensius erwähnt, als er noch dein Anwalt war?«
»Nein.«
»Aber wie sollen dich diese Männer verteidigen, wenn du ihnen nicht erzählst, was du weißt?«
»Ich habe keinen von beiden gebeten, meinen Fall zu übernehmen. Das hat sie getan.« Er zeigte unhöflich auf Caecilia Metella.
»Willst du damit sagen, daß du gar keinen Anwalt willst?« fuhr Rufus ihn an. »Was glaubst du, wie deine Chancen stünden, wenn du allein gegen einen Ankläger wie Gaius Erucius vor der Rostra erscheinst?«
»Wie stehen meine Chancen denn jetzt? Selbst wenn es mir irgendwie gelingen sollte, ihnen vor Gericht zu entkommen, dann spüren sie mich eben hinterher auf und machen mit mir, was sie wollen, genau wie mit meinem Vater.«
»Nicht unbedingt«, wandte Rufus ein. »Nicht, wenn Cicero die Lügen von Capito und Magnus vor Gericht bloßstellen kann.«
»Aber um das zu tun, müßte er Chrysogonus’ Namen ins Spiel bringen, oder nicht? O ja, man kann keine Flöhe fangen, ohne mit dem Hund zu kämpfen, und das geht nicht, ohne an der Leine seines Herrn zu ziehen. Der Hund könnte beißen, und seinem Herrn wird es gar nicht gefallen, sich von einem kleinen Bauernanwalt bloßstellen zu lassen. Selbst wenn er den Fall gewinnt, wird euer hochgeschätzter Meister Kichererbse mit seinem Kopf auf einem Stock enden. Erzähl mir nicht, daß es einen Advokaten in Rom gibt, der das Risiko eingehen will, Sulla offen ins Gesicht zu spucken. Und wenn es ihn doch gibt, ist er viel zu dumm, um mich erfolgreich zu vertreten.«
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