Ich schlug mir die Hand vor den Mund und wich angeekelt zurück. Irgend jemand zupfte mich am Ärmel. Es war der stumme Junge, der sich mit verheulten Augen auf die Lippen biß, um nicht zu wimmern. Er versuchte, mir ein Messer zu geben, aber ich weigerte mich, es anzunehmen. Er schubste mich wütend beiseite und stürzte sich dann auf die kopulierenden Gestalten.
Er stach wahllos und brutal auf sie ein. Doch sie wollten nicht aufhören, als ob die Stiche ein geringfügigeres Ärgernis wären, verglichen mit der Lust, die es sie kosten würde, voneinander abzulassen und den Jungen beiseite zu stoßen. Ich wußte, daß sie nicht loslassen konnten, als ob ihr Fleisch irgendwie eins geworden wäre. Während sie ineinanderdrangen und sich wanden, bildete sich eine Lache von Blut, das von ihren verschlungenen Körpern rann. Es breitete sich auf dem Boden aus wie ein tiefroter Teppich. Es floß unter meine Füße. Ich versuchte, einen Schritt nach vorn zu machen, war aber wie festgewachsen, unfähig, mich zu bewegen oder auch nur zu sprechen, starr wie eine Leiche.
Ich öffnete die Augen, aber - nichts schien sich zu ändern. Alles, was ich sah, war eine rote Flut. Mir wurde klar, daß meine Augen immer noch geschlossen waren und ich gegen meinen Willen weiterträumte. Ich hob die Hand, um meine Augen mit den Fingern zu öffnen, aber die Lider blieben fest geschlossen. Ich kämpfte, keuchend und außer Atem, ohne mich aus dem Traum reißen zu können.
Im nächsten Augenblick war ich dann auf einmal wach. Meine Augen waren offen. Meine Hände waren auf dem Tisch. Tiro saß mir gegenüber und schlief friedlich.
Mein Mund war trocken wie Alaun. Mein Kopf fühlte sich an wie mit Wolle ausgestopft. Mein Gesicht und meine Hände waren taub. Ich versuchte, nach dem Wirt zu rufen, brachte jedoch kaum einen Ton heraus. Es war sowieso egal; der Mann war selbst auf einem Stuhl in der Ecke eingedöst, die Arme verschränkt und das Kinn auf der Brust.
Ich stand auf. Meine Glieder fühlten sich an wie trockenes Holz. Ich taumelte auf den Eingang zu, die Treppe hoch, auf die Gasse und um die Ecke auf den Platz. Er lag jetzt völlig verlassen im blendenden Sonnenlicht; selbst die Bengels waren verschwunden. Ich schleppte mich zu der Zisterne, kniete mich nieder und starrte ins Schwarze. Das Wasser war zu tief unten, um ein Spiegelbild zurückzuwerfen, aber ich spürte die aufsteigende Kühle im Gesicht. Ich zog den Eimer hoch, spritzte mir Wasser ins Gesicht und goß den Rest über meinen Kopf.
Danach fühlte ich mich langsam wieder wie ein Mensch. Ich wollte nur noch zu Hause sein und nichts tun, unter dem Portico sitzen und in den Garten blicken, mit Bast, die an meinen Füßen döste, und Bethesda, die mir ein kühles Tuch für meine erhitzte Stirn brachte.
Statt dessen spürte ich eine zögernde Hand auf meiner Schulter. Es war Tiro.
»Alles in Ordnung, Herr?«
Ich atmete tief ein. »Ja.«
»Es ist die Hitze. Die schreckliche, unnatürliche Hitze. Wie eine Strafe. Sie macht einen ganz dumm im Kopf, sagt Cicero, und dörrt den Geist aus.«
»Komm, Tiro, hilf mir auf die Beine.«
»Du solltest dich hinlegen und schlafen.«
»Nein! Bei dieser Hitze ist der Schlaf der schlimmste Feind des Menschen. Bringt schreckliche Träume...«
»Sollen wir lieber zurück in die Taverne gehen?«
»Nein. Oder doch: ich nehme an, wir schulden dem Mann etwas für den Wein.«
»Nein. Ich habe aus deiner Börse gezahlt, bevor ich gegangen bin. Er hat selbst geschlafen, aber ich habe das Geld auf den Tresen gelegt.«
Ich schüttelte den Kopf. » Und hast du ihn geweckt, bevor du gegangen bist, damit ihn niemand bestiehlt, während er schläft?«
»Natürlich.«
»Tiro, du bist ein Ausbund an Tugendhaftigkeit. Du bist die Rose inmitten der Dornen. Die süße Beere zwischen den stacheligen Zweigen.«
»Ich bin lediglich ein Spiegel meines Herrn«, sagte er und klang dabei eher stolz als bescheiden.
12
Eine Weile wurde die noch immer hochstehende Sonne von einem Band weißer Wolken verhüllt, die aus dem Nichts aufgezogen waren. Die schlimmste Hitze war vorüber, aber die Stadt gab jetzt nach und nach die im Laufe des Tages gespeicherte Wärme ab, Pflastersteine und Ziegel glühten wie Wände eines Ofens; wenn nicht ein erneutes Gewitter sie abkühlte, würden die Steine die ganze Nacht über Wärme abgeben und die Stadt und alle, die in ihr lebten, ausdörren.
Tiro drängte mich, kehrtzumachen, eine Sänfte für meinen Heimweg zu mieten oder doch zumindest zu Fuß zu Ciceros Haus zurückzugehen. Aber es wäre unsinnig gewesen, sich dem Haus der Schwäne so weit zu nähern, ohne ihm einen Besuch abzustatten.
Wir gingen ein weiteres Mal durch die enge Straße, vorbei an der kleinen Sackgasse, in der die Mörder gelauert hatten und die jetzt wieder von der Tür des Lebensmittelladens verdeckt war. Aus seinen düsteren Winkeln drang der übersüße Geruch verdorbener Früchte; ich blickte nicht hinein. Wir mieden den Blutfleck und passierten die Tür, die zu der Wohnung der Witwe führte. Der hagere Wächter saß dösend auf der Treppe. Als wir vorbeikamen, öffnete er die Augen und sah uns erstaunt und übellaunig an, als ob unser Gespräch bereits so lange zurückläge, daß er unsere Gesichter schon wieder vergessen hatte.
Das Haus der Schwäne lag sogar noch näher, als ich vermutet hatte. Die Straße verengte sich und bog, den Blick auf das hinter uns liegende Stück
Weges verdeckend, nach links ab. Unser Ziel lag gleich rechts und war nicht zu verfehlen.
Wie luxuriös mußte es auf Männer mit bescheidenen Mitteln wirken, die hergelockt von Mund-zu-Mund-Propaganda und geleitet von den Fackeln und primitiven Schwan-Emblemen, die die Straße säumten, nachts hier ankamen. Wie herrlich ordinär mußte es einem Mann von gewisser Vornehmheit wie dem alten Sextus Roscius erschienen sein, wie einladend für die fleischlichen Gelüste, von denen er besessen war.
Die Fassade hob sich deutlich von allen anderen in der Straße ab. Die Gebäude in der Nachbarschaft waren verputzt und in blassen Schattierungen von Safran, Rost oder fleckigem Weiß getüncht. Die verputzte Fassade des Hauses der Schwäne war von einem leuchtenden, schrillen Rosa, hier und da, wie etwa um die Giebeldreiecke über den Fenstern, mit roten Kacheln verschönert. Eine halbkreisförmige Säulenhalle ragte auf die Straße. Auf der Spitze der Halbkuppel thronte eine Venusstatue, die für den zur Verfügung stehenden Platz viel zu klein war; die bildhauerischen Bemühungen waren wahrhaft schmerzlich anzusehen, ja beinahe blasphemisch zu nennen. Selbst Tiro kicherte, als er sie entdeckte. Von der Kuppel der Säulenhalle hing eine Lampe, die man wohlwollend als schiffsförmig bezeichnen konnte, obwohl ich wegen der leichten Krümmung und der abgeflachten Spitze des Objekts argwöhnte, daß es ein menschliches Anhängsel darstellen sollte, das auf obszöne Weise zu groß geraten war. In wie vielen Nächten war Sextus Roscius ihrem Schein wie einem Leuchtfeuer gefolgt, drei Marmorstufen hinauf zu dem schwarzen Rost, auf dem ich jetzt mit Tiro stand und schamlos im hellen Tageslicht an die Tür klopfte?
Ein Sklave öffnete die Tür, ein großer, muskulöser junger Mann, der eher den Eindruck eines Leibwächters oder Gladiators als den eines Türstehers machte. Er hatte ekelhaft unterwürfige Manieren. Er hörte gar nicht auf zu lächeln, sich zu verbeugen und zu nicken, während er uns zu einem flachen Diwan in dem plüschig eingerichteten Vorraum führte. Wir mußten nicht lange auf den Eigentümer warten.
Mein Gastgeber war eine in jeder Beziehung rundliche Erscheinung, vom Bauch bis zur Nase und der kahlen Krone seines Hauptes. Das wenige verbliebene Haar war sorgfältig geölt und frisiert worden. Seine Wangen waren auf groteske Weise gepudert und mit Rouge überzogen. Seine Vorliebe für Schmuck schien von derselben Vulgarität wie sein Geschmack in allen Fragen der Inneneinrichtung. Alles in allem bot er den Anblick eines heruntergekommenen Epikureers, und seine Bemühungen, die Atmosphäre eines levantinischen Bordells nachzuempfinden, grenzten ans Parodistische. Der Versuch der Römer, den Orient nachzuahmen, gelingt selten. Eleganz und echter Luxus sind nicht so leicht zu kopieren oder zu Großhandelspreisen zu kaufen.
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