»Natürlich tust du das. Du sagst, dass Pater Ibor Téite nicht mochte?«
»Er liebte sie nicht so wie ich.«
»Und was hat Téite für Ibor empfunden?«
»Sie war von Pater Ibors Schläue geblendet. Sie dachte, sie liebte ihn. Ich habe die beiden gehört. Er sagte, sie solle aufhören, ihn zu … belästigen, das war das Wort … aufhören, ihn zu belästigen. Sie dachte, sie liebte ihn, so wie Pater Febal dachte, er liebte sie.«
Der Priester stand ärgerlich auf.
»Was redest du da, Junge?«, polterte er. »Du bist verrückt!«
»Du kannst nicht leugnen, dass du ihr gesagt hast, du liebtest sie«, antwortete Bruder Adag, von dem Aufbrausen des Priesters nicht eingeschüchtert. »Ich habe dich mit ihr streiten hören, am Tag vor Pater Ibors Tod.«
Pater Febals Augen wurden schmal. »Ach, jetzt bist du nicht so dumm, dass du Zeiten und Orte und Ereignisse vergisst. Dem Jungen kann man nicht vertrauen, Schwester. Ich würde seine Aussage nicht beachten.«
»Ich habe Téite geliebt, und man kann mir vertrauen!«, rief Bruder Adag.
»Ich habe sie nicht geliebt …«, beharrte Pater Febal. »Ich liebe niemanden.«
»Ein Priester sollte seine ganze Herde lieben.« Fidelma lächelte tadelnd.
»Ich meine die zügellose Liebe zu Frauen. Ich habe mich lediglich um Téite gekümmert, nachdem ihre Mutter gestorben war. Ohne mich hätte sie nicht überlebt.«
»Aber du dachtest vielleicht, dass sie dir etwas schuldete?«
Pater Febal sah sie fragend an.
»Wir sind nicht hier, um über Téite zu sprechen, sondern über Pater Ibors Verbrechen.«
»Sein Verbrechen? Nein, ich glaube, wir sind hier, um über ein Unrecht zu sprechen, das ihm angetan wurde, nicht eines, das er verübt hat.«
Pater Febal wurde blass.
»Was meinst du?«
»Téite wurde ermordet. Aber sie wurde nicht von Pater Ibor ermordet. Und sie hat auch nicht das Kruzifix oder den Kelch gestohlen, selbst wenn der Letztere bequemerweise neben ihrer Leiche gefunden wurde.«
»Wie kommst du darauf?«
»Schicke nach Bruder Finnlug. Dann können wir alle über die Lösung dieser Angelegenheit sprechen.«
Sie saßen ihr in der kleinen Sakristei gegenüber: Pater Febal, Bruder Finnlug und Bruder Adag. Ihre Gesichter drückten Neugierde aus.
»Die Menschen benehmen sich schon seltsam«, fing Fidelma an. »Selbst in den besten Zeiten kann ihr Verhalten merkwürdig sein. Aber ich bezweifle, dass sie sich auf die Weise verhalten würden, die mir hier präsentiert wird.«
Sie lächelte, während sie einen nach dem anderen anblickte.
»Was ist deine Lösung dieses Rätsels?«, fragte der Priester höhnisch.
»Jedenfalls nicht eine Lösung, bei der das Mordopfer lebendig und gesund herumläuft, nachdem sich der Mörder erhängt hat.«
Pater Febal blinzelte. »Adag muss sich irren.«
»Nein. Pater Ibor, das Kruzifix und der Kelch verschwanden vorgestern? Du schlugst sofort Alarm. Bruder Finnlug verfolgte Ibor in den Wald und ihr fandet ihn, an einem Baum hängend. Stimmt das nicht?«
»Es stimmt durchaus.«
»Hätte er Téite getötet, bevor er sich erhängte, wie jetzt behauptet wird, dann hätte sie nicht gestern hierherkommen können, um Kleider zum Waschen und Ausbessern abzuholen.«
»Warum lässt du die Möglichkeit außer Acht, dass Adag sich im Tag irren könnte?«
»Weil er Téite zwei Kutten gab, die auf der Suche nach Ibor zerrissen und mit Blut beschmiert wurden. Du und Finnlug habt sie getragen, als ihr Pater Ibor, am Baum hängend, fandet. Zweifelsohne wird man sie in ihrer Hütte entdecken, um dies zu beweisen.«
Fidelma machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Muss ich annehmen, dass niemand daran gedacht hat, dem Mädchen zu sagen, dass man Ibor gerade erhängt aufgefunden hatte? Immerhin liebte sie ihn.«
»Ich habe das Mädchen nicht gesehen«, sagte Pater Febal schnell. »Bruder Adag hat sie gesehen.«
»Und Bruder Adag gibt zu, dass er Téite geliebt hat«, fügte Bruder Finnlug zynisch hinzu.
Der junge Mann hob trotzig den Kopf. »Ich leugne es nicht. Aber sie hat meine Liebe nicht erwidert, sie liebte Ibor, der sie abgewiesen hat.«
»Und das hat dich wütend gemacht?«, fragte Fidelma.
»Ja. Sehr wütend!«, antwortete Bruder Adag heftig.
Bruder Finnlug warf Adag einen misstrauischen Blick zu.
»Wütend genug, um sie beide zu töten?«, flüsterte er.
»Nein«, antwortete Fidelma, noch bevor Bruder Adag es abstreiten konnte. »Ibor und Téite wurden nicht im Zorn getötet, sondern mit Vorbedacht. Nicht wahr, Bruder Finnlug?«
Bruder Finnlug fuhr zu ihr herum, seine Augen waren plötzlich ausdruckslos.
»Woher soll ich das wissen, Schwester Fidelma?«
»Weil du sie beide getötet hast«, sagte Fidelma ruhig.
»Das ist Unsinn! Warum sollte ich das tun?«, rief der Mönch, nachdem er den ersten Schreck überwunden hatte.
»Weil du, als du das Kruzifix und den Kelch aus der Kirche gestohlen hast, von Pater Ibor ertappt wurdest. Du musstest ihn töten. Du erstachst ihn und brachtest die Leiche anschließend in den Wald, wo du einen Selbstmord durch Erhängen vortäuschtest. Dann wurde dir klar, dass man die Stichwunde entdecken würde, deshalb ließest du das Messer bei der Leiche liegen. Als ob jemand, der an einem Strick am Baum hängt, in der Lage wäre, ein Messer hervorzuholen und sich selbst ins Herz zu stechen. Und wie ist der arme Mann überhaupt an den Ast herangekommen, an dem er sich angeblich erhängt hat? Keiner von euch hat mir von einem Hilfsmittel berichtet, mit dem er hinaufgeklettert sein könnte. Denkt nur daran, wie mühsam das gewesen wäre. Die Leiche wurde von jemand anderem dort aufgehängt.«
Sie blickte Pater Febal an, der in Gedanken versunken war. Er schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass auch er keine Erklärung parat hatte.
Fidelma richtete den Blick wieder auf Bruder Finnlug.
»Du hast einen raffinierten Plan ausgeheckt, um alle über das wahre Geschehen zu täuschen.«
Die Spannung in der Sakristei war geradezu greifbar.
»Du bist verrückt«, murmelte Bruder Finnlug.
Fidelma lächelte. »Du warst Jäger im Dienste des Lords von Maine. Wir haben bereits darüber gesprochen, wie großzügig er zu denen war, die ihm dienten. Ihnen fehlte es an nichts, nicht einmal, wenn die Ernte schlecht war. Als ich dich fragte, aus welchem Grund du einen solch vorteilhaften Dienstherrn verlassen hast, sagtest du, es sei aufgrund deiner Überzeugung geschehen. Bleibst du dabei? Dass du das weltliche Leben zugunsten eines geistlichen aufgabst?«
Pater Febal sah Bruder Finnlug verwirrt an. Der schwieg.
»Du hast mir auch, vielleicht unabsichtlich, deine Verbitterung über die Ordnung in dieser Gemeinde verraten. Wenn du ein geistliches Leben wolltest, dann sicher nicht so eines, nicht wahr?«
Pater Febal mischte sich leise ein: »Die Wahrheit ist, dass Finnlug vom Lord von Maine wegen Diebstahls entlassen wurde. Wir haben ihn hier aufgenommen.«
»Was beweist das schon?«, fragte Finnlug heftig.
»Ich versuche gar nicht, etwas zu beweisen. Ich werde dir sagen, was du getan hast. Ursprünglich hattest du gehofft, mit dem Diebstahl davonzukommen. Das Motiv war einfach, wie du mir selbst gesagt hast: Der Verkauf der wertvollen Gegenstände hätte dich ein Leben lang reich gemacht. Das hätte deinen Groll darüber beschwichtigt, dass andere Macht und Reichtümer besitzen, du aber nicht. Wie ich schon gesagt habe, Ibor ertappte dich und du erstachst ihn und brachtest seine Leiche in den Wald. Als du zurückkehrtest, stelltest du fest, dass du sein Blut an deiner Kutte hattest.
Der Diebstahl wurde nun entdeckt, und Pater Febal bat dich um Hilfe. Das Blut an deiner Kutte fiel keinem auf. Vielleicht hast du dir einen Umhang übergeworfen, um es zu verbergen. Du führtest Pater Febal zu Pater Ibors Leiche. Alles lief genau so ab, wie du es geplant hattest. Pater Ibor wurde des Diebstahls beschuldigt. Pater Febal musste glauben, dass sich Pater Ibor in einem Anflug von Reue selbst getötet hatte. Sogar die Herkunft der Stichwunde wurde erklärt. Die Tatsache, dass nur wenig Blut auf der Erde war, erweckte keinen Verdacht. Du konntest inzwischen vorgeben, dass die Blutflecke auf deiner Kutte von der Suche nach Ibor stammten. Vielleicht hast du, Finnlug, den Gedanken ins Spiel gebracht, dass das Kruzifix und der Kelch nach Ibors Tod von einem zufällig vorbeikommenden Dieb gestohlen wurden.
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