»Das glaube ich Euch gern, aber ich sagte schon, dass es nicht geht.« Der Dürre reichte ihm das Sendschreiben zurück. »Ihr habt mir noch keinen Grund dafür genannt«, beharrte Andreas. »Benötigt Ihr etwa ein Schreiben des Kanzlers persönlich?«
»Darum geht es nicht. Es ist einfach nicht möglich, weil wir in unseren Akten zwar einige Teufelspakte haben, es darüber aber kein Verzeichnis gibt. Ihr würdet Jahre brauchen, um sie zu finden.« Seine hohe Stimme hallte in dem alten Gewölbe schrill wider. Auf Andreas wirkte er wie eine Spinne, die in ihrem Netz saß und jeden aussaugte, der ihr zu nahe kam.
»Ich werde schon etwas finden; verlasst Euch darauf. Ich habe gehört, dass erst vor wenigen Wochen ein solcher Fall zur Verhandlung vor den erzbischöflichen Stuhl gekommen ist. Mit diesem möchte ich gern beginnen.«
»Was nutzt Euch ein einziger Fall, wenn Ihr vergleichende Forschungen anstellen wollt?«, fragte der Dürre mit einem schmierigen Lächeln. Er rieb sich die Hände; Staub schien von ihnen aufzusteigen.
»Wer nirgendwo beginnt, wird nie ans Ende kommen«, versetzte ihm Andreas. »Könntet Ihr mir diese Akte heraussuchen, wenn ich Euch den Namen des Delinquenten sage?«
»Möglicherweise.« Der Dürre wandte den Blick von Andreas ab und blätterte in einigen Akten vor sich, die genauso staubig wie er selbst waren.
»Hättet Ihr die Güte, mir die Akte des Ludwig Leyendecker herauszusuchen?«
»Ah ja, daran erinnere ich mich. Ein eindeutiger Fall, daher konnte sofort ein Urteil gefällt werden. Ganz hinten rechts.« Der Dürre deutete auf die Tür ihm gegenüber und versank wieder in seinen Akten.
Andreas querte den Flur und öffnete die Tür, die ihm angewiesen worden war. Dunkelheit hockte dahinter. »Habt Ihr ein Licht für mich?«, fragte er in die Finsternis hinein. Etwas hinter ihm zischte. Er drehte sich rasch um.
Der Dürre hatte ihm einen Kienspan angezündet und streckte ihn nun so weit wie möglich von sich ab. Der Geruch der Leuchtquelle war unangenehm. Andreas ergriff den Span, hielt ihn ebenfalls weit von sich und betrat die Gruft der moderigen Schriftstücke.
Die Akten schälten sich aus der Dunkelheit, wenn er mit dem Licht an ihnen vorbeiging. Manche waren so dick, dass sie mit Lederbändern zusammengehalten werden mussten; andere waren dünn, hohlbrüstig. Hinter jeder steckte ein Mensch. Ein Schicksal, meist mit ungutem Ausgang. Hier unten, in diesem fensterlosen Gewölbe, lagen die Hoffnungen, Träume und Untaten so vieler Menschen begraben.
Und eines dieser pergamentenen Grabmonumente gehörte seinem Freund Ludwig Leyendecker, der bei Andreas’ Abreise nach Bologna noch so vergnügt und fröhlich gewesen war, als könne ihn niemals ein Unglück treffen.
Ganz hinten rechts, hatte der Archivar gesagt. Tatsächlich fand Andreas die Akte recht schnell. Sie war dünn. Ludwig schien nur ein unwesentlicher Fall gewesen zu sein. Die Ledermappe enthielt einen kurzen Bericht über die Umstände, unter denen Ludwig Leyendecker aufgefunden worden war, sowie das Urteil der Exkommunikation.
Und dann fielen Andreas im zuckenden Licht des schwelenden Kienspans die beiden Schriftstücke in die Hand, die er so verzweifelt gesucht hatte.
Der Abschiedsbrief und der Teufelspakt.
Das angebliche Bündnis mit den Mächten der Hölle war in holperigem Latein abgefasst. Der Fürst der Finsternis verfügte offenbar nur über äußerst mangelhafte Lateinkenntnisse. Ludwigs Unterschrift jedoch – rot wie Blut – schien echt zu sein. Er kannte die Signatur seines Freundes, und eine Gänsehaut kroch ihm über den Rücken, als er las, wie Ludwig angeblich seine Seele dem Teufel im Gegenzug für weltliche Macht und Reichtum verkauft hatte. Bei diesem Vertrag konnte es sich nur um eine Fälschung handeln. Das dämonische Latein quoll über vor Fehlern, die Luzifer wohl nie gemacht hätte. So lautete die Überschrift in Großbuchstaben: »Pactus cum diabboli«; korrekt hätte es heißen müssen: »Pactum cum diabolo«. In dieser Art ging es weiter. Andreas hatte nie an einen Teufelspakt geglaubt, und er war froh, seine Vermutung bestätigt zu sehen.
Sehr froh.
Dann nahm er sich den Abschiedsbrief vor. Er las ihn immer wieder. Ludwig legte darin dar, dass er das Wissen um den mit dem Fürsten der Hölle eingegangenen Pakt nicht mehr ertragen könne und daher freiwillig aus dem Leben scheide. Wenn aber der Pakt eine Fälschung war, warum dann dieser Abschiedsbrief, der eindeutig von Ludwig selbst geschrieben war? Etwas stimmte mit dem Schreiben nicht. Andreas sah von dem Text auf und versuchte, die gewölbte Decke zu erkennen. Das Licht des Kienspans reichte nicht bis hinauf, sodass er von körperloser Schwärze umgeben war; nur der Boden wirkte fest. Doch als er den Brief erneut las, wankte auch der Boden unter ihm. Er fühlte sich, als stürze er ins Nichts.
Er hatte es gefunden.
Aufgeregt stand Andreas vor dem großen Giebelhaus in der Rheingasse, nicht weit vom Heumarkt entfernt. Einige Häuser weiter rechts erhob sich das prächtige Overstolzenhaus, das große, aber nicht erreichte Vorbild des Bonenberg’schen Anwesens. Elisabeth Leyendecker war von ihrem jüngeren Bruder vor mehr als einem Jahr an Heinrich Bonenberg verheiratet worden. Bonenberg handelte hauptsächlich mit Tuchen und Eisenwaren, hatte sich im letzten Jahr aber auch verstärkt mit dem Weinhandel befasst. Für Ludwig Leyendecker war die Hochzeit eine gute Möglichkeit gewesen, seinen Einfluss in der Stadt auszubauen und einen weiteren Verbündeten im Rat zu haben. Auch half man sich manchmal gegenseitig mit Transportgefährten und Eskorten aus. Das Leyendecker’sche Kontor setzte seinen Wein, der überwiegend von der Mosel und aus der Pfalz stammte, zum größten Teil in England ab, während Bonenberg mit seinen Waren den norddeutschen Raum belieferte, inzwischen aber auch versuchte, Wein von Rhein und Mosel in England zu verkaufen. Neben all diesen Interessen zählte natürlich eine so seltsame Regung wie Liebe nicht.
Andreas wusste, dass Elisabeth ihrem Gatten gegenüber eine gewisse Achtung und Dankbarkeit aufbrachte, die der junge Kaplan nie verstanden hatte, denn Heinrich Bonenberg war ein aufbrausender, jähzorniger und gewaltbereiter Mann. Doch wer verstand schon die Frauen? Er schüttelte den Kopf und betätigte den schweren Klopfer.
Elisabeth empfing ihn in der Wohnstube im Erdgeschoss. Alles hier atmete Reichtum: die Brokatkissen auf den Scherenstühlen, die Wandbehänge aus Flandern, von denen einige sogar als Bodenbelag dienten, die reich geschnitzten Eichentruhen und überdies ein gewaltiger Stollenschrank, wie ihn sonst nur die Adligen ihr Eigen nannten. Elisabeth saß auf einem der bequem ausgepolsterten Stühle. Sie trug wieder ein züchtig hochgeschlossenes Kleid und begrüßte Andreas, der von einer der Mägde hereingeführt worden war, mit einem Kopfnicken. Sobald die Magd jedoch das Zimmer verlassen hatte, sprang sie auf und lief auf Andreas zu. Er hatte schon befürchtet, sie würde ihm in die Arme fallen, doch kurz vor ihm blieb sie stehen, offenbar selbst über ihren Gefühlsausbruch verwirrt. Wie zur Warnung schlugen aus der Ferne die Glocken von Sankt Maria im Kapitol die dritte Stunde.
»Ich freue mich über Euren Besuch«, sagte Elisabeth atemlos. »Bringt Ihr Neuigkeiten?«
»Allerdings.« Andreas griff unter seinen schwarzen Priesterrock und zog ein zusammengefaltetes Pergamentblatt hervor. Er ging zu dem kleinen Tisch unter dem Fenster und breitete das Pergament darauf aus. »Das ist der Abschiedsbrief Eures Bruders.«
»Woher habt Ihr ihn?«, fragte Elisabeth erschrocken.
»Ich habe ihn aus dem erzbischöflichen Archiv… entliehen. Es gab keine andere Möglichkeit. Da die Akte geschlossen ist, wird niemand je den Verlust dieses Briefes bemerken. Ich bin in ihm auf etwas gestoßen, das ich Euch unbedingt zeigen wollte.« Er strich den Bogen mit der breiten, ausladenden Handschrift glatt. »Es ist seine Handschrift, nicht wahr?«
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