»Das ist es auch«, meinte der alte Mann. »Es handelt sich um eines der lächerlichsten und dümmsten Werke, das je über den Verkehr mit der Unterwelt geschrieben wurde.«
»Ihr kennt es?«, fragte Andreas und bemühte sich, neugierig zu klingen.
»Ich kenne viele dieser Pamphlete«, antwortete Heynrici ausweichend und sah herunter auf den kleinen Band in seinem Schoß. Andreas schaute auf die vielen Bücher in dem kleinen Raum, der ihm plötzlich sehr eng und stickig vorkam. Der weise Mann bemerkte den Blick des Geistlichen und sagte lächelnd: »Nein, hier stehen nur gottesfürchtige Werke. Ich gebe zu, dass ich einmal tiefe Studien auf allen Gebieten des Wissens getrieben habe. Aber alles, was ich fand, waren leere Worte. Nur Jesus hat Worte des ewigen Lebens.« Er faltete die Hände und schaute zur Decke. In diesem Moment sah er aus wie einer der Heiligen auf den vielen wunderbaren Bildern, die Andreas in Bologna und bei seiner kleinen Reise von dort aus nach Florenz gesehen hatte. Trotzdem gefielen ihm die Worte des alten Mannes nicht.
»Sicherlich habt Ihr Recht, aber ist es nicht gotteslästerlich, sich mit dem Teufel abzugeben, auch wenn man ihn schließlich verwirft?«
»Ja, das ist es«, sagte der alte Mann langsam und nachdenklich. »Das ist einer der Gründe, warum ich hier bin. Hier kann ich büßen für meinen eitlen Wissensdurst. Doch nicht nur die Niederungen der Hölle haben mich hergeführt, sondern auch die Niederungen der Politik. Glaubt mir, es gibt nichts Schlimmeres als diese Schlangengruben, die man Rat nennt. Ich habe lange genug im Kölner Rat gesessen, um zu wissen, was ich sage. Und ich habe dort viel Schuld auf mich geladen.«
»Wie Ludwig?«, fragte Andreas nach.
»Wie Ludwig. Niemand, der sich mit der Regierungskunst abgibt, bleibt ohne Schuld.«
»Wollt Ihr damit auf Ludwigs Rolle bei der Verhansung Kölns anspielen?«, fragte Andreas.
»Wie ich Euch damals schon sagte, glaube ich nicht, dass dies eine Rolle bei dem unseligen Ableben Eures Freundes gespielt hat, aber je länger ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich. Ludwig Leyendecker hat all jene Kaufleute gegen sich aufgebracht, die sich der Hanse beugen wollten, und er hat unsere Fraktion mit Bestechungen und anderen fragwürdigen Mitteln zusammengeschmiedet. Ich frage mich, ob er in London nicht zufällig Zeuge einer Verschwörung gegen ihn geworden ist. In der Sache hatte Ludwig jedoch Recht. Köln mit seinen alten Handelsbeziehungen zu England hatte nur die Möglichkeit, für den Fortbestand der Geschäfte mit der Insel zu stimmen. Ansonsten hätten wir uns zu sehr von den wetterwendischen Lübschen und ihren Spießgesellen abhängig gemacht. Ich fürchte, mit unserer harten Haltung haben wir einigen Kaufleuten das Leben sehr schwer gemacht. Ich selbst leide unter der Verantwortung, die ich mir damit aufgebürdet habe. Vielleicht ist es Ludwig auch zu viel geworden. Vielleicht hat er tatsächlich Selbstmord begangen, auch wenn ich es mir eigentlich nicht vorstellen kann, denn wie Ihr wisst, war er ein gottesfürchtiger Mann.«
Andreas schwirrte der Kopf. Er hatte gehofft, hier bei Heynrici ein wenig Klarheit in seine eigenen Gedanken zu bringen, doch stattdessen wurde er immer verwirrter. Die Verhansung, die Konkurrenten Ludwigs, von denen er zum Beispiel Dulcken in den Ruin getrieben hatte, eine mögliche Verschwörung seiner Gegner oder vielleicht doch Selbstmord, weil er die Schuld nicht mehr ertragen konnte. Schuld? Politik? Wäre er doch nicht hergekommen! Andreas bereute seine Reise. Beinahe hätte er deren unmittelbaren Grund vergessen.
»In diesem schrecklichen Zauberbuch gibt es eine seltsame Nachbemerkung, die auf Melaten hindeutet«, sagte er.
Heynrici kniff die Augen zusammen und drehte das Buch in den Händen. Dann schlug er es hinten auf und las die letzten Sätze. Ein wehmütiges Lächeln verzerrte seine rosig durch den weißen Bart schimmernden Lippen. »Wisst Ihr, ich habe so viele derartige Bücher gesehen«, sagte er. »Dieses hier gehörte tatsächlich einmal mir, aber ich habe es bei Ulrich Zell gegen das ›De Officiis‹ von Cicero getauscht. Soll ich es Euch einmal zeigen?«
»Das Buch hat Euch gehört? Habt Ihr es hier auf Melaten gehabt? Die Anmerkung ist von Euch? Aber da steht doch…«
»Nichts steht da!«, brauste Heynrici auf. »Ich habe mich über dieses Buch geärgert.«
»Dort steht, dass Ihr auf Melaten die Beschwörungen ausgeführt habt, und es ist sicherlich Euer Besitzvermerk, der auf dem Innenspiegel getilgt wurde.« Andreas hatte den Eindruck, als schwimme der Boden unter ihm.
»Das ist nicht richtig. Ich habe nichts ausgeführt«, meinte der alte Mann, der nun wieder ruhiger geworden war. »Ich gebe zu, dass ich auf meiner Suche nach Erkenntnis bisweilen seltsame Wege beschritten habe. Wenn Ihr mich jetzt der Inquisition übergeben wollt, habe ich es wahrscheinlich verdient. Ich gebe auch zu, dass ich Angst vor der Inquisition habe. Ich habe Angst vor Schmerzen. Aus diesem Grund habe ich sehr gezögert, Euch gegenüber meine Versuche zuzugeben. Aber ich hoffe, Ihr werdet mich nicht verraten.« Er warf das Buch angewidert zu Boden, stand erstaunlich rasch auf, trat vor Andreas und ergriff seine Hand. Seine Stimme klang ängstlich. »Ich will ehrlich zu Euch sein, denn Ihr habt es verdient. Ich habe mich hierher zurückgezogen, um meine Sünden zu büßen. Jeden Tag setze ich mich der Gefahr des Todes aus, nur um den armen Siechen zu helfen. Ich will büßen, Gott wieder nahe kommen, aber ich will nicht in die Hände der Inquisition fallen.« Er kniete vor Andreas nieder. »Habt Mitleid mit einem verirrten Schaf, das zu seinem Vater zurückgefunden hat.« Tränen traten in seine Augen. Er zitterte am ganzen Körper.
Andreas zog seine Hand zurück, der alte Mann ließ sie los. Der Geistliche stand auf und gebot Heynrici, sich zu erheben.
»Seht Euch hier um«, sagte er eifrig. »Ihr werdet kein Buch finden, das der heiligen Mutter Kirche ungefällig ist. Alles Schlimme, Falsche, Kranke habe ich ausgemerzt. Ich weiß, wie mein Ruf in der Welt ist, aber ich habe ihn nicht verdient.
Eigentlich muss der Tod mein Lohn sein, damit Gott mich richten kann. Aber ich habe so große Angst vor den Schmerzen, die mir die Inquisition bereiten wird.« Sein Blick war der eines geschlagenen Hundes.
Andreas wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Da stand er einem Mann gegenüber, den nicht nur er für heilig hielt, und dieser Mann hatte ihm soeben indirekt gestanden, gotteslästerliche Teufelsbeschwörungen durchgeführt zu haben. Auf was konnte man sich in dieser Welt noch verlassen? Sprach der Herr nicht durch solche gottergebenen Menschen wie Ulrich Heynrici? Aber wenn dem so war, wie konnte Gott es dann zulassen, dass sich gerade die Geschöpfe, die ihm in Demut ergeben waren, der Hölle verschrieben? Hieß es nicht, dass man für alle Zeiten verdammt sei, wenn man ein Bündnis mit dem Teufel errichtet hatte? Und jede Beschwörung des Erzfeindes war als Teufelsbündnis zu werten. Das hatte Andreas in Bologna in einer Strafrechtsvorlesung gehört. Wenn das stimmte, dann war Heynrici verdammt. Und Andreas war verpflichtet, ihn der heiligen Inquisition anzuzeigen. Konnte er das wirklich verantworten? Denn jetzt, auf Melaten, tat er Wunderbares, übermenschlich Gutes.
Er sah Heynrici an. Zweifel zernagten ihn. Sein Gewissen sagte ihm, dass Heynrici schon genug büßte und an diesem Ort wertvoller für die Christenheit war als in den Kerkern der Inquisition, aber die heilige Mutter Kirche war da anderer Meinung, und als Priester war Andreas an seine Oberen und ihre Lehren gebunden.
Heynrici sah den Zwiespalt in Andreas’ Blick. »Ich habe mich in Eure Macht begeben. Geht behutsam mit ihr um.«
»Helft Ihr mir?«
»Wie immer Ihr wollt.«
»An wen habt Ihr das Buch gegeben?«
»An Ulrich Zell.«
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