»Ich kann die auch nicht ausstehen«, pflichtete Rodger ihr ernst bei. »Die stoßen senkrecht auf dich herunter und picken dich. Dann heben sie ab und segeln davon. Ich würde jeden einzelnen töten, wenn ich könnte.«
»Was tut sich hier?« lenkte Tucker vom Thema Erlegen von Nagetieren und Vögeln ab. Ja, wenn sie darüber reden wollten, wie man Rinder oder Schafe hütete, dann könnte sie viele Geschichten beisteuern.
Rodger ließ seine Schnurrhaare nach vorn schnellen und trat nahe an die Tigerkatze und die Corgihündin heran. »Gestern abend hat jemand Orion aus seiner Box geholt, ihn auf die Querschwelle gebracht und in der Box herumgegraben, aber er wurde gestört. Wer immer es war, hat das Loch wieder zugedeckt und Orion in die Box zurückgebracht.«
»Kannst du in der Box was riechen?«
»Erde.« Rodger Dodger setzte sich auf sein Hinterteil.
»Sehen wir uns das mal an.« Mrs. Murphy flitzte den Gang entlang. Da Orion ein Jagdpferd war, tummelte er sich draußen auf einem Feld. Die Tiere konnten in seine Box gehen.
Tucker hielt die Nase an die Erde. Die Katzen scharrten mit den Pfoten die Holzspäne fort. Die Erde war tatsächlich frisch umgegraben.
Mrs. Murphy untersuchte vorsichtig die anderen Ecken der Box. Nichts.
Rodger beobachtete Tucker. »Kann man nicht draus schlau werden, oder?«
»Ich weiß nicht.« Sie hob den Kopf, atmete frische Luft ein, hielt die Nase dann wieder über die geglättete Stelle. »Wenn wir jemanden dazu bewegen könnten, hier zu graben, finde ich womöglich was. Wenn etwas entfernt wurde, würde ich es riechen.« Sie schnupperte. »Im Moment ist tote Hose.«
Die drei Tiere setzten sich in der Box nieder.
»Weißt du, wer es war?« fragte Tucker.
»Nein, ich war letzte Nacht draußen im Geräteschuppen. Reiche Beute. Als Orion es heute morgen auf seinem Weg nach draußen erwähnte, war ich zu groggy, um ihn auszuquetschen.«
»Gehen wir Orion fragen.« Mrs. Murphy verließ die Box just in dem Moment, als Bazooka von Chark Valiant in seine Box gebracht wurde.
»Ihr braucht Orion nicht zu fragen«, sagte der Stahlgraue zu ihnen. »Ich hab gesehen, wer's war. Coty Lamont.«
»Coty Lamont!« rief Mrs. Murphy aus. Rodger sprang auf die Sattelkiste vor Bazookas Box und stellte sich auf die Hinterbeine, um mit dem Pferd zu plaudern. »Bazooka, warum war er hier?«
»Das hat er nicht gesagt«, erwiderte Bazooka spöttisch. »Aber Mickey Townsend kam auf Zehenspitzen rein und schloß die Boxen tür, als Coty drin war. Coty wollte raus, aber Mickey hat ihn nicht gelassen. Er hat ihm gesagt, er soll 's wieder zudecken und mit ihm kommen.«
»Der alte Kotex haßt Mickey.« Mrs. Murphy benutzte Cotys Spitznamen. »Charles Valiant übrigens auch.«
»Wetten, Coty ist nicht mitgegangen« , sagte Tucker.
»Oh, ist er wohl.« Bazooka genoß die Geschichte. »Mickey hat eine Pistole auf ihn gerichtet und ihm gesagt, er muß mitgehen.«
»Und er ist mitgegangen?« Tuckers glänzende Augen weiteten sich.
»Klar doch. Hört mal, ich weiß nicht, wie er hierhergekommen ist. Mickey ist einfach in den Stall geschlichen« , fügte Bazooka hinzu. »Jedenfalls, Mickey hat ihm gesagt, er soll die Hände hinter den Kopf nehmen. Er hat den Riegel von der Box zurückgeschoben, und Coty ist vor ihm hergegangen.«
»Mann, ist das unheimlich.« Rodger Dodger kratzte sich die Flanke mit dem Hinterbein.
Es war mehr als unheimlich, denn an diesem Abend wurde Coty Lamont, der beste Hindernisjockey seiner Generation, auf einer Lehmstraße im Osten von Albemarle County nicht weit von der Route 22 gefunden. Man hatte ihn auf die offene Ladefläche seines Ford- 3 5O-Lieferwagens gelegt, der in seiner Lieblingsfarbe lackiert war, metallic Kastanienbraun. Die Pikdame lag auf seinem Herzen, das von einem Stilett durchbohrt war.
Rick Shaw verlor Feuerzeuge, wie kleine Kinder Handschuhe verlieren. Deshalb benutzte er Wegwerffeuerzeuge.
Während er ein durchsichtiges limonengrünes Feuerzeug aus seiner Manteltasche zog, betrachtete er den Leichnam in dem Lieferwagen.
Cynthia Cooper kritzelte etwas in ihr Notizbuch, wurde schwach und zündete sich auch eine Zigarette an.
Die Ambulanzmannschaft wartete in einigem Abstand. Kenny Wheeler jr. der die Leiche entdeckt hatte, blieb beim Sheriff und seiner Stellvertreterin.
»Kenny, Sie haben mir das alles schon erzählt, aber wiederholen Sie es bitte noch einmal, weil ich es in die richtige Reihenfolge bringen muß«, bat Rick den großgewachsenen jungen Mann mit der tiefen Stimme.
»Ich hab einen Zaun überprüft. Hatte es etwas eilig, weil ich nur noch wenig Licht hatte und im Rückstand war, Sie verstehen.« Er sah auf seine Stiefel hinunter. »Die alte Straße liegt eigentlich auf dem Grundstück meines Nachbarn, aber ich darf sie mitbenutzen, und da dachte ich, ich schwenke da durch, um auf die hinteren Felder zu kommen. Spart mir ein paar Minuten. Jedenfalls, ich hab diesen Lieferwagen gesehen. Kam mir bekannt vor. Und wie ich näher ran fuhr, sah ich ihn« - er wies auf den Leichnam - »auf der Ladefläche. Ich dachte, der Kerl ist vielleicht eingeschlafen oder so was - das heißt, bis ich näher kam. Na ja, da hab ich angehalten, bin ausgestiegen, hab über die Seite geguckt. Und da wußte ich, der Mann war tot, toter als mausetot, und ich weiß nicht, warum ich >He< gerufen habe. Ich bin eine Minute da gestanden, dann hab ich mich auf die Socken gemacht, hab erst Sie angerufen, dann Mom und Dad. Ich hab den Lieferwagen beschrieben. Sie kannten ihn nicht. Dad wollte sofort herkommen, aber ich hab ihm gesagt, er soll bleiben, wo er ist. Besser, ich bin der einzige, der damit zu tun hat. Dad hat das gar nicht gepaßt. Er ist ein praktischer Mensch, Sie kennen ihn ja, aber ich hab gesagt: >Dad, wenn du hierherkommst, dann gerätst du in die Mühle mit Protokoll und Papierkram und so, und du hast genug zu tun. Ich hab ihn gefunden, also kümmer ich mich drum.< Da hat er dann schließlich okay gesagt, und hier bin ich.«
Cynthia klappte ihr Notizbuch zu. »Rick, brauchen Sie Kenny noch?«
»Ja, warten Sie.« Rick hatte sich Handschuhe übergestreift und zog die Zulassung heraus. »Der Wagen ist auf Coty Lamont zugelassen. Sagt Ihnen der Name was?« Rick lehnte sich an die offene Tür des Lieferwagens.
»Coty Lamont.« Kenny runzelte die Stirn. »Ein Jockey. Ich bin ziemlich sicher, daß ich den Namen schon mal gehört hab. Wir haben mit Rennen nichts am Hut, aber, der Name kommt mir bekannt vor.«
»Danke, Kenny. Sie waren eine enorme Hilfe. Gehen Sie nach Hause. Ich rufe Sie an, wenn ich Sie brauche. Grüßen Sie Mom und Dad von mir. Ihre Frau auch.« Rick klopfte ihm auf den Rücken.
Als Kenny seinen Transporter wendete und losfuhr, warf Rick noch einen Blick auf die Ladefläche des Lieferwagens. »Irgendwas aufgefallen?«
»Ja, er wurde zusätzlich in den Rücken geschossen. Hat sich vermutlich gewehrt«, antwortete Cynthia.
»Ah ha! Sonst noch was?«
»So ziemlich derselbe Modus operandi wie beim letzten.«
»Die Karte, Cynthia, gucken Sie sich die Karte an.«
»Pikdame.« Sie stieß einen Pfiff aus. »Eine Menge Blut drauf.«
»Pik, Coop - die andere Karte war Kreuz.«
Cynthia rieb sich die Hände an ihren Oberarmen. Die untergehende Sonne über der südwestlichen Gebirgskette und die Abendluft fuhren ihr in Mark und Bein. »Kreuz, Pik - denken Sie, was ich denke?«
»Fehlen noch Karo und Herz.«
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