Daß Mim besser reiten konnte als ihre Tochter, verschärfte nur Little Marilyns lebenslangen Groll. Gelegentlich durchbrachen Anwandlungen töchterlicher Ergebenheit das Verhalten der jüngeren Mim.
Mutter und Tochter sahen zu, als Bazooka stolz an ihnen vorbeitänzelte.
»Er ist heute gut drauf«, rief Addie ihnen zu.
Mim grinste. »Er hat den Adlerblick.«
»Ich bin schön«, prahlte Bazooka.
»Mom, ich wußte gar nicht, daß Harry vorbeikommt.« Little Marilyn war mit Mary Minor Haristeen aufgewachsen, doch wenn sie auch nicht sagen konnte, daß sie Harry nicht mochte, so konnte sie auch nicht sagen, daß sie sie mochte. Mit Persönlichkeiten war es wie mit Farben: Entweder sie harmonierten, oder sie harmonierten nicht. Diese beiden harmonierten nicht.
Mim dagegen fiel es leicht, sich mit Harry zu unterhalten, obwohl sie den mangelnden Ehrgeiz der jungen Frau beklagte.
Der supermanblaue Ford-Transporter tuckerte auf den Parkplatz hinter dem Stall. Tucker und Mrs. Murphy erschienen eher als Harry. Sie sagten guten Tag und liefen dann in den Stall. Harry trat zu Big Mim und Little Mim, die sie gelegentlich, wenn Harry in giftiger Stimmung war, auch Mini Mim nannte.
»Was haben Sie da?« fragte Mim, die bemerkte, daß Harry eine kleine Schachtel trug.
»Die Etiketten für die Einladungen zum Wildessen. Little Marilyn wollte die Einladungen drucken lassen.«
»Haben Sie die auf einem regierungseigenen Computer geschrieben?« Mim verschränkte die Arme.
»Ah - ja. Sind Sie nicht froh, daß Ihre Steuern für etwas Produktives verwendet wurden?«
Little Mim riß Harry die Schachtel aus den Händen. »Danke.«
»Wie sehen die Einladungen aus?« fragte Harry.
Little Marilyn blinzelte Harry an, was ihr hübsch geschminktes Gesicht verzerrte. »Hab sie noch nicht abgeholt.« Was soviel hieß wie: Sie hatte vergessen, sie in Auftrag zu geben, und die Etiketten sagten ihr, sie solle sich sputen. »Ich glaube, ich mach das jetzt gleich. Brauchst du was aus Charlottesville, Mum?«
»Nein. Ich habe deinem Vater meine Liste mitgegeben.«
»War nett, dich zu sehen, Harry.« Die tadellos gekleidete junge Marilyn spurtete zu ihrem Range Rover.
Es hätte keinen Sinn gehabt, sie zu kritisieren. Sie wußten beide, daß sie ihrer Aufgabe nicht nachgekommen war, doch unter Druck würde sie es tun. Ebenso sinnlos wäre es, das nun untereinander zu diskutieren.
Harry ging mit Mim in ihre wunderschön getäfelte Sattelkammer. Die Luft war schneidend, obwohl die Sonne hoch am Himmel stand.
»Wo ist Chark?«
»Am anderen Ende vom Stall. Er trainiert die letzten Pferde. Will alle vor elf Uhr bewegt haben, sagt er.«
Harry setzte sich, nachdem Mim auf einen Sitz gewiesen hatte, der mit einem hübschen dunklen Karo bezogen war. Harry hätte ohne weiteres in Mims Sattelkammer leben können, die schöner war als ihr eigenes Wohnzimmer.
»Mim, ich weiß, daß Mickey Townsend hier war, um Sie über die haltlosen Anschuldigungen gegen Fair zu informieren. Fair war gestern abend bei mir. Es ist unerhört« - ihr Gesicht lief rot an -, »daß jemand einen der besten praktizierenden Tierärzte verleumdet. Haben Sie eine Ahnung, wer eine solche Dreckschleuder sein könnte?«
»Nein.« Mim setzte sich Harry gegenüber. »Ich habe heute morgen als erstes Colbert und Arthur angerufen und ihnen gesagt, die Ermittlung soll bloß schnell und still vor sich gehen, sonst würde ich allen die Hölle heiß machen.« Sie hob die Hand, als wolle sie einem Publikum Schweigen gebieten. »Ich habe ihnen außerdem gesagt, daß es Zeitverschwendung ist, wo sie doch viel wichtigere Dinge zu tun haben.«
»Ja, und deswegen bin ich hier. Sie sind eine der einflußreichsten Persönlichkeiten im Verband.« Mim murmelte abwehrend, dabei hörte sie es ausgesprochen gern, und Harry fuhr fort: »Ich war heute morgen bei Ned Tucker. Susan hat ihn aufgeklärt. Er sagte, er würde Fair vertreten, unentgeltlich. Er hat ein Schreiben entworfen, ich habe es hier.«
Während Mim las, runzelte sie die Augenbrauen, dann lächelte sie. »Gut gemacht, Ned.«
Das Schreiben besagte in verschlungenem Juristencode, daß Fair nicht beabsichtige, sich ohne formelle Anklage einer Ermittlung zu unterziehen. Wenn man dies einreißen lasse, dann könne jeder Tierarzt, Trainer und Jockey durch zersetzenden Klatsch lahmgelegt werden. Er verlange, daß sein Ankläger sich melde, daß formell Klage erhoben werde. Sobald dies geschehe, werde er sich verteidigen.
»Was denken Sie? Vielmehr, was denken Sie, was der Nationale Hindernisrennverband denken wird?« Harry nahm den Brief aus Mims ausgestreckter Hand, die heute nur ihren Trauring und ihren Verlobungsdiamanten zur Schau trug, wieder entgegen.
»Ich nehme an, sie werden den Ankläger auf der Stelle festnageln. Aber können Sie Fair dazu bringen, das hier zu unterschreiben? Ich weiß, wie genau er es mit der Ehre nimmt. Neunzehntesjahrhundert, aber das ist es ja gerade, was ihn zu so einem großartigen Menschen macht.«
»Natürlich kann ich ihn nicht dazu bringen, das zu unterschreiben. Er findet, die Menschen sollen ihre Differenzen auf jede nur mögliche Weise lösen, bevor sie sich an Rechtsanwälte wenden. Er versteht nicht, daß das in Amerika so nicht mehr funktioniert. Kaum sind wir auf der Welt, engagieren wir schon einen Anwalt.«
»Und was machen wir nun?«
»Äh - Mim, ich hatte gehofft, daß Sie Colbert dieses Schreiben faxen würden. Vielleicht schreiben Sie dazu, daß Ned Tucker hiermit zu Ihnen gekommen ist, weil er den Verband nicht noch mehr in Verlegenheit bringen will. Sie wissen, der Mord, Probleme mit dem öffentlichen Ansehen und so weiter. Sie werden Colbert und Arthur auch dringend warnen wollen, damit sie sich eine Antwort zurechtlegen können, sollte sich die Presse hierauf stürzen.« Harry atmete tief durch. Sie hatte nicht gemerkt, wie nervös sie war.
Mim ließ sich auf ihrem Stuhl zurückfallen, ihre lackierten Fingernägel tappten auf die Armstützen. »Harry, Sie sind viel raffinierter, als ich gedacht hatte - natürlich mache ich das.«
»Oh, vielen Dank. Fair wird nichts davon erfahren, wenn Colbert es ihm nicht erzählt.«
»Ich werde in meinem Begleitbrief andeuten, daß das unterzeichnete Schreiben nie ankommen wird, wenn diese Sache umgehend beigelegt werden kann. Fair werde kein gerichtliches Verfahren einleiten.«
Harry strahlte. »Sie sind so clever.«
»Nein - das sind Sie. Und Sie lieben ihn noch immer.«
»Das sagen alle, aber nein, ich liebe ihn nicht mehr«, erwiderte Harry schnell. »Ich hab ihn gern, das ist was anderes. Er ist ein Freund und ein guter Mensch, und er hat diese üble Nachrede nicht verdient. Er würde für mich dasselbe tun.«
»Ganz bestimmt.«
Während Mim und Harry über Fair, die Liebe, Jim, Bazooka, Mirandas Kirchenchorveranstaltung zur Spendensammlung für die Kirche zum Heiligen Licht und über Gott und die Welt redeten, hielten Mrs. Murphy und Tucker ein Schwätzchen mit der Stallkatze, einem kräftigen, großen rötlichbraunen Kater namens Rodger Dodger. Seine schildpattfarbene Freundin Pusskin schlief auf dem Heuboden, erschöpft, weil sie am morgen ein Streifenhörnchen gejagt hatte.
Bazooka, der in der Waschbox abgerieben wurde, lauschte, enttäuscht, weil die anderen Tiere nicht über ihn sprachen.
»Wie steht's mit der Jagd?« fragte Rodger Dodger Mrs. Murphy.
»Gut.«
Tucker kicherte. »O ja, sie erlegt jeden Abend ihre Spielmaus.«
»Halt 's Maul. Ich leiste meinen Beitrag an Mäusen und Maulwürfen.« »Nicht zu vergessen den Blauhäher. Da ist Mom total ausgeflippt« , höhnte Tucker schadenfroh.
»Ich konnte den Blauhäher nicht ausstehen.«
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